Kritik: Vier im roten Kreis (FR 1970) – Melvilles Opus Magnum

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© StudioCanal Germany

Sie kommen unschuldig auf die Welt, aber sie bleiben es nicht.

Heute war es wieder soweit. Ich habe mich auf die Reise direkt in das Jahr 1970 begeben. Alleine war ich zum Glück nicht. Ich hatte gute alte Bekannte dabei. Bekannte, auf die ich mich immer verlassen konnte. Bekannte, die es immer wieder schaffen, mich glücklich zu machen und restlos zu begeistern: Regisseur Jean-Pierre Melville und Schauspieler Alain Delon, die schon bei anderen Meilensteinen des Film Noir, wie Der eiskalte Engel, zusammengearbeitet haben. Zwei prägende Gesichter der französischen Filmkunst und zwei der besten in ihrem Fach. Wie erwähnt, begab ich mich ins Jahr 1970 und damit ist klar, dass die Rede vom Thriller Vier im roten Kreis ist. Und wenn die beiden einen Film zusammen machen, kommt dabei, wie könnte es anders sein, nichts Geringeres als ein großartiges Stück Filmgeschichte heraus.

Nicht mal am Nordpol ist es so kalt wie im Paris dieses Gangsterfilms. Alain Delon, Gian Maria Volonté und Yves Montand spielen ein ungleiches Trio: Der eine wurde gerade aus dem Gefängnis entlassen, der zweite ist von dort geflohen, der dritte ein Ex-Polizist. In einem Juweliergeschäft am Place Vendôme wollen die Drei den großen Coup landen. Gejagt werden sie von einem grimmigen Kommissar und der kriminellen Konkurrenz.

Der einzigartige Kameramann Henri Decaë leistet in Vier im roten Kreis mal wieder eine absolut grandiose Arbeit ab und schafft es einige der besten Einstellungen überhaupt abzuliefern. Hier ganz klar zu erwähnen der Einbruch in das Juweliergeschäft oder eine Verfolgungsjagd, die zu den Unvergesslichsten der Kinogeschichte zählt. Ständig unterstrichen mit einem melancholischen Blauton, der die Farbe der Gewalt, der Nacht und ganz klar des Lebens ausstrahlt. Perfekt. Auch die Optik, welche durch eine trostlose, stille und farblose Stimmung dominiert wird, ist fantastisch und macht den Film allein deswegen schon absolut erstklassig. Die Musik von Éric Demarsan wechselt zwischen schnelleren, wohlbekommenden und langsamen, tragischen und schweren Klängen ab, die vor allem in der letzten Szene voll ins Schwarze treffen.

Meinen persönlichen großen Star des Films hab ich ja im ersten Abschnitt schon erwähnt: Alain Delon. Er spielt Corey, den frisch entlassenen Häftling und er spielt ihn so, wie er es am besten kann: verboten cool und absolut konsequent. Corey braucht kaum ein Wort, ein Blick in sein Gesicht erzählt dem Zuschauer bereits mehr als tausend Worte. Alain Delon beherrscht es einfach seine minimalistische Mimik exzellent einzusetzen und durch die kleinste Regung einen Orkan auszulösen. Perfektioniert hatte er dieses Schauspiel bereits drei Jahre früher in Der eiskalte Engel. Neben Alain Delon glänzen aber auch noch andere große Gesichter des französischen Kinos. Bourvil als Kommissar Mattei, der in seinem Charakter viel Ähnlichkeit mit Lino Venturas Le Goff aus Der Clan der Sizilianer hat, zeigt seine Klasse in einer ernsten Rolle und überzeugt durch seine ebenfalls sehr standhafte und ausdrucksstarke Darstellung. An dritter Stelle wäre Yves Montand zu nennen. Ebenfalls ein großer Darsteller, der auch hier eine starke Leistung abliefert, als versoffener Ex-Polizist Jansen fügt er sich nahtlos in den Cast ein und sorgt für einige Höhepunkte des Films. Und Gian Maria Volonté als entflohener Verbrecher Vogel darf sich zwar als unbekanntestes Gesicht von unserem Quartett nennen, bringt aber eine ebenfalls gute Darstellung, die sich nicht vor den großen Stars verstecken braucht.

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Jean-Pierre Melville erzählt mit Vier im roten Kreis im Grunde wieder die simpelste Gangster- bzw. Heistgeschichte. Zwei Verbrecher tun sich zusammen, sammeln den nötigen dritten Mann für ihren geplanten Coup und werden von einem zielstrebigen Polizisten auf Schritt und Tritt verfolgt. Kennen wir schon, klar. Was den Unterschied aber macht, ist die Art diese Geschichte zu erzählen und das beherrscht Jean-Pierre Melville in Perfektion. Wir kriegen eine Einführung in die Charaktere, dabei verliert der Film nie viele Worte und es kommen kaum richtige Dialoge auf. In Vier im roten Kreis zählen ganz klar Bilder, Gestik und Mimik. Allein dadurch erzählt uns der Film viel mehr, als man auf den ersten Blick erwartet.

Corey, der von einem Polizisten im Gefängnis auf die Idee des Juweliereinbruchs gebracht wird und kurz darauf aufgrund von guter Führung aus dem Gefängnis entlassen wird, hat seinen Plan ganz klar vor Augen. Dann Vogel, der sich auf seiner Flucht vor dem Kommissar im Kofferraum von Corey versteckt und so seinen optimalen Partner für den Raub gefunden hat. Kommissar Mattei, der Vogel schon sicher in den Händen hatte, ihn aber dann im Zug oder besser gesagt im Wald aus den Augen verloren hat, nimmt die Verfolgung auf und denkt zu keiner Zeit ans Aufgeben. Jansen, der versoffene Ex-Polizist, der von Corey und Vogel angeheuert wird, wegen seiner Scharfschützenkünste, die beim Raubüberfall extrem wichtig sind, ist der Vierte im Kreise. Vier Charaktere, alle in ihren Eigenschaften verschieden und doch so erschreckend gleich. Jean-Pierre Melville schafft es, wie von ihm gewohnt, Charaktere zu zeichnen, mit denen man sich unglaublich schnell anfreunden kann, egal wie man zu ihrem Handeln steht. Denn sie sind einfach authentisch, greifbar und Jean-Pierre Melville versteht es ihnen Leben einzuhauchen.

Der Regisseur erzählt uns hier nicht nur eine der üblichen Verbrecher-Cop-Geschichten, wie es auf dem Papier scheint. Hier geht es um mehr: Die Kontrolle der eigenen Lage und die Abhängigkeit von anderen Menschen. Vertrauen und Verrat, Vergeblichkeit und Macht. Und Eigenschaften, die jeder unserer Charaktere auf seine Weise besitzt und verliert. Die Schwächen und die Stärken der eigenen Art, mit denen man sich auseinandersetzen und eingestehen muss, egal was sie für Folgen haben, auch wenn die eigene Zerbrechlichkeit viel zu deutlich wird. Es geht um die Euphorie im Hier und Jetzt und das folgende Unglück, welches deutlich länger anhält als der glückhafte Moment. Vor allem aber geht es in Vier im roten Kreis unverkennbar um Schicksal. Das Schicksal braucht keine Worte, denn es sagt schweigend, in welche Richtung wir steuern.

Dazu natürlich die einmalige Stilsicherheit der Inszenierung. Egal, ob wir von der Anfangsszene im Zug, der darauffolgende Flucht durch den dichten Wald oder die meisterhaft inszenierte Einbruchsszene, die an Spannung nicht mehr zu toppen ist, sprechen, alles hängt am seidenen Faden. Eine Unachtsamkeit und alles war umsonst. Wunderbar hier der Aufbau von der Vorbereitung und Planung über die Durchführung und die Folgen. Jean-Pierre Melville will uns keine Schuldigen oder Unschuldigen vorführen und er verzichtet ganz klar auf den typischen Hollywood-Helden. Alle bekommen ihre Zeit und der Zuschauer darf sich sein eigenes Bild von den Charakteren und der Situation machen. Zum Ende bekommen wir dann noch einen fast epischen Showdown geliefert, der an Kraft und Ausdruck wohl kaum noch zu überbieten ist und den Film spitzenmäßig abrundet.

Fazit: Für viele gilt Vier im roten Kreis als Jean-Pierre Melvilles definitives Meisterwerk, als sein reifstes Werk. Inwieweit das stimmt, davon sollte sich aufgrund der sagenhaften Filmografie des französischen Regisseurs, der den europäischen Film der 50er bis 70er Jahre wie wenige andere Regisseure prägte, jeder seine eigene Meinung bilden. Vier im roten Kreis ist auf jeden Fall ein prägendes Werk und bis heute ein Wegweiser für viele andere Thriller und Regisseure.

Vier im roten Kreis ist zum 50-jährigen Jubiläum ab dem 10. Dezember 2020 restauriert als 4K Ultra HD Blu-ray Special Edition, aber auch als reguläre Blu-ray-Edition erhältlich. Falls unsere Kritik Dein Interesse geweckt hat, dann unterstütze uns gerne, indem Du den Film über einen der folgenden Links bestellst.*

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