Kritik: Blue Moon (USA, IRL 2025)

Eine Gastkritik von Hendrik Warnke, gesehen im Rahmen der 75. Berlinale.

Blue Moon Film 2025 Richard Linklater

Richard Linklater (zuletzt A Killer Romance) ist schon wieder mit einem neuen Film zurück. Mal wieder im Doppelpack mit Ethan Hawke (Before-Trilogie, Boyhood), mal wieder als kontinuierliche Handlung innerhalb von ein paar Stunden, aber dafür erstmals in den Vierzigern. Genauer gesagt ist es der 31. März 1943. Das Musical Oklahoma! von Richard Rodgers und Oscars Hammerstein hat gerade seine Premiere im legendären St. James Theatre in New York hinter sich und steht am Anfang seines Erfolgs. Einige Straßen weiter in Sardi’s Bar sitzt Rodgers’ alter Partner Lorenz Hart und sinniert über die Liebe, das Leben und die Kunst. Welcher Satz ist der schlechteste in Casablanca? War das Leben früher besser? Und natürlich, wieso erkennt denn niemand, dass Oklahoma! furchtbar ist?

Blue Moon fackelt nicht lange, sondern mach schnell klar, worum es geht. Das hier ist ein Dialogfilm über Kunst, Künstler und Sinnfindung. Der im Mittelpunkt stehende Lorenz Hart ist dabei omnipräsent und in fast ausnahmslos jeder Szene beteiligt. Denn, und auch das wird schnell klar, Hart ist kein gewöhnlicher Protagonist. Ja, er verhält sich wie ein ganz normaler Mensch, hat Wünsche, Ambitionen, Meinungen, fungiert aber trotzdem mehr als filmisches Vehikel als als Person. Wie ist das zu verstehen? Nun, Blue Moon eröffnet verschiedenste Metaebenen. Positioniert sich selbst in den Diskurs, passt seine Figuren und seine Handlung daran an. Wenn Lorenz Hart in beeindruckender, aber zugleich selbstgefälliger Rhetorik über Musicals herzieht, dann kann der Film den Inhalt des Gesagten zwar als Meinung der Figur benutzen, wenn die Figur aber ewig lange Monologe hält, dann sind das nicht seine Monologe. Es sind die Monologe des Films. Egal, wie die Figur inszeniert wird. Wenn Lorenz Hart selbstgefällig redet, dann tut Blue Moon das auch. Und das Interessanteste daran: Blue Moon weiß das.

Durch diese Haltung ist gerade die erste halbe Stunde des Films vollgepackt mit textlichen Querverweisen, Metawitzen und -kommentaren sowie einem gewissen Kreislauf der Selbstreflexion. Das kann mitunter etwas erschlagen, bietet aber wahnsinnig viel zum Nachdenken. Was muss bzw. kann Kino und Kunst leisten? Wen erreicht es, wenn es simpel ist? Wen erreicht es, wenn es komplex ist? Ist Komplexes inhärent Selbstverherrlichung oder kann es gleichzeitig auch gefühlvoll mit seinem Publikum sein. Blue Moon stellt all diese Fragen, beantwortet sie aber höchstens indirekt, indem er selbst seine Dynamik immer wieder wechselt. Mal witzelt er gefällig vor sich hin, mal ergötzt er sich an seiner Dialogpoetik und gelegentlich schafft er es sogar, diesen Metastrudel zu verlassen, indem er neue Themen aufmacht oder sich teilweise sogar ganz in ein Melodrama zu verwandeln scheint.

Dieser Wechsel in der Dynamik ist analytisch spannend, guckt sich mitunter aber etwas eigenartig bzw. fühlt sich erzählerisch oft etwas unrund an. Manche Szenen fühlen sich regelrecht überladen an, während andere vor sich hinplätschern und man darauf wartet, dass es „weitergeht“. Außerdem werden einige Themenkomplexe aufgemacht, aber nicht wirklich geschlossen. Nebenfiguren finden statt und dann wieder nicht. Auch das wird zwar alles filmisch kommentiert, wirkt oftmals aber unsauber, chaotisch oder fast belanglos selbst für die Metaerzählung des Films. Blue Moon ist in dieser Hinsicht schwer in Worte zu fassen, weil er den Interpretationsspielraum zulässt, dass sämtliche seiner Schwächen Teile der Erzählung sind. Insgesamt verschlingt sich der Film damit aber einfach etwas selbst und funktioniert Szene für Szene besser als zusammenhängender Film.

Dadurch gehen auch einige seiner eigentlich anderen interessanten Themen etwas unter. Die Fragen rund um Einsamkeit, Sexualität, Neid und Freundschaft rauschen regelrecht dahin, sodass es schwerfällt sich wirklich auf sie einzulassen. Da hilft die sehr eingeschränkt männliche Perspektive des Films auch nur wenig. Frauen finden kaum statt, höchstens um über Männer zu sprechen oder wenn man will, aufgrund ihrer Abwesenheit wieder als Teil der Metaerzählung.

Zusammengehalten wird Blue Moon deshalb meist von seinem schieren Unterhaltungswert – ironisch, wenn man bedenkt, dass auch das Teil des großen Kunstdiskurses war. Wenn man Linklaters Filme betrachtet, sollte das aber eigentlich nur wenig überraschen. Denn Unterhaltung war noch nie seine Schwäche, so auch nicht hier. Viele der Dialoge sind zwar selbstgefällig; clever, gut pointiert und oftmals einfach sehr witzig sind sie aber dennoch. Nicht zu missachten ist auch Ethan Hawke, der sich hier schauspielerisch wirklich vor wenigen verstecken muss und einen körperlichen, energetischen und irgendwie einfach passenden Beitrag zum Film liefert.

Insgesamt ist Blue Moon sicherlich kein perfekter Film, aber er gehört definitiv zu einem der interessanteren des diesjährigen Berlinale Wettbewerbs. Entzieht sich durch seine Metaebene fast etwas die Einteilung in gut oder weniger gut, ist wirklich unterhaltsam und zu dem auch noch so voll, dass in dieser Kritik keinerlei Platz mehr war, über die Musik, das Theaterhafte des Films, die Frage nach Nostalgie und filmischen Reliquien sowie die Frage, warum man sich hier auf echte Personen bezieht, zu behandeln. Blue Moon muss man sehen, um ihn zu begreifen, ein Text reicht da nur sehr bedingt.

Hier könnt ihr euch nachträglich die Blue Moon Pressekonferenz von der Berlinale anschauen.

Kinostart: noch unbekannt

Regie: Richard Linklater
Darsteller: u.a. mit Ethan Hawke, Margaret Qualley und Andrew Scott
FSK-Freigabe: noch unbekannt
Produktionsländer: USA, IRL
Verleih International: Sony Pictures Classics
Laufzeit: 1 St. 40 Min.

★★★★★☆☆☆

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