Kritik: The French Dispatch (US / FR 2021)

– gesehen im Rahmen des Wettbewerbs der 74. Internationalen Filmfestspiele von Cannes –

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Die passenden Gesichtsausdrücke zu Wes Andersons neuester Regiearbeit

Je weiter das diesjáhrige Cannes Filmfestival voranschreitet, desto mehr häufen sich die Enttäuschungen an, und das nicht nur in den ersten Tagen mit Leos Carax’ Annette und Andrea Arnolds Cow (zu den beiden habe ich hier bereits etwas geschrieben). Seitdem habe ich beispielsweise auch eine der filmischen Gurken des Jahres (Sean Penns Flag Day), das uninteressante finnische Roadtripdrama (in dem der Desireless-Song “Voyage Voyage” gefühlt in Dauerschleife läuft und trotzdem das Beste am Film ist) und Nanni Morettis nicht enden wollenden Three Floors (dieser erzählt unvergleichbar ermüdend von drei Familien, die im selben Gebäude in Rom wohnen) gesehen. Doch wie sieht es nun eigentlich mit dem lang erwarteten Cannes-Highlight The French Dispatch von Wes Anderson aus, der bereits 2020 an der Croisette seine Weltpremiere feiern sollte?

Übrigens war ich in der dritten Cannes-Episode vom Cutspodcast zu Gast, wo ich mit Christian Eichler u.a. über meine beiden bisherigen Festivalhighlights, Paul Verhoevens Benedetta (zu diesem habe ich auch eine Kritik geschrieben) und Joachim Triers The Worst Person in the World, spreche. Hört doch mal rein!

Eine nur semi-unterhaltsame Liebeserklärung an den Journalismus und das französische Kino

Der fantastische Mr. Fox (2009) und Isle of Dogs (2018) sind kleine Perlen des Animationsfilms, Moonrise Kingdom (2012) eine eigensinnige, jedoch sehenswert erzählte Coming-of-Age-Geschichte. Drei Filme von Wes Anderson also, die ich mir immer wieder gerne anschaue. The French Dispatch bietet aber dieses Mal wieder, wie schon Grand Budapest Hotel hauptsächlich eine an Einfällen überladene Geschichte, was beim gestrigen Cannes-Pressescreening einerseits durchaus für einiges an Gelächter, andererseits aber auch für Buhrufe beim Abspann sorgte. Für mich fühlte sich Wes Andersons neueste Regiearbeit am Ende wie der Cannes-Eröffnungsfilm Annette an: Beide haben ihre begeisterungswürdigen Passagen, sind zwischendrin aber auch echt einschläfernd. Wer bisher schon nichts mit Andersons Filmen anzufangen wusste, wird sich von The French Dispatch wohl sehr schnell gelangweilt abwenden. Fans von Wes Anderson hingegen werden zumidnest zeitweise sehr gut unterhalten.

Das liegt inbesondere an dem unglaublichen Potential, welches insgesamt in The French Dispatch steckt. Die episodenhaft erzählte Komödie hätte eine unvergessliche Liebeserklärung an den Journalismus und an das französische Kino (damit auch an Wes Andersons Wahlheimat) werden können. In den Fokus gerückt wird der Außenposten einer amerikanischen Zeitung in einer fiktiven französischen Stadt des 20. Jahrhunderts und hierbei wird eine Sammlung von Geschichten zum Leben erweckt, welche im ebenfalls imaginären The French Dispatch Magazine veröffentlicht wurden. Jedoch hat Wes Anderson hierbei rein gar nichts zu erzählen, sondern begnügt sich mal wieder am laufenden Band mit Blödel- und Slapstick-Humor, hier der Marke Louis de Funès, Jacques Tati und Co…. ja Wes Anderson liebt das französische Kino (das wissen wir schon länger), doch so herzhaft Andersons pointierter Humor ist, er erreicht nie die Bedeutsamkeit dieser Vorbilder. Und die Pointen selbst sitzen zu selten, auch wenn manche Szenen wirklich amüsant sind.

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Wes Anderson amüsiert sich auch in Schwarz-Weiß, u.a. mit T. Chalamet, F. McDormand und L. Khoudri

Der Film wäre wahrscheinlich deutlich besser geworden, hätte man Wes Anderson nicht so viel Narrenfreiheit gewährt. Eines muss man ihm ja lassen: Er kann seine Visionen wie nur wenige andere Regisseure auf die Leinwand zaubern. Und kriegt dabei gefühlt all die Schauspieler*innen vor die Kamera, die er sich wünscht. The French Dispatch ist eine, selbst im Anderson-Universum (Grand Budapest Hotel), noch nie dagewesene Ansammlung der Crème de la crème des internationalen Schauspiels, wird aber auch genau deshalb all dem Talent vor der Kamera überhaupt nicht gerecht. Aus Europa sind dies u.a. Timothée Chalamet, Léa Seydoux, Christoph Waltz, Saoirse Ronan und Mathieu Amalric. Und auf latein- und us-amerikanischer Seite des Atlantiks Frances McDormand, Tilda Swinton, Benicio del Toro, Edward Norton, Owen Wilson und viele mehr. Die extreme Dichte an Stars ist Segen und Fluch zugleich, sorgt diese doch vor allem nur für eines: Jede*r Schauspieler*in soll mindestens ein paar Pointen in den Mund gelegt bekommen. Und während einer Laufzeit von gerade einmal 103 Minuten. Ob die Jokes dann im jeweiligen Moment passend sind, oder eben auch nicht, spielte offensichtlich keine relevante Rolle mehr.

Der andere Haken: Die Laufzeit ist auch insofern problematisch, dass The French Dispatch gefühlt Tausend Filme in einem ist. Obwohl der Film eigentlich nur drei Episoden beinhaltet, gefühlt sind es viele mehr, da Wes Anderson innerhalb dieser auch noch nach Lust und Laune zwischen verschiedenen Genreversatzstücken hin- und herwechselt und es sich dabei obendrein nicht nehmen lässt, mal in eine Nachrichtensendung in den 70ern mit Liev Schreiber zu springen. Das Resultat: Ein einziges inszenatorisches Auf und Ab. Am spektakulärsten fällt am Ende eine Verfolgungsjagd durch die hügeligen Straßen von Ennui-sur-Blasé (ein Synonym für die französische Hauptstadt), die komplett als animniert wurde und am meisten heraussticht.

Fazit: The French Dispatch ist einfach nur ein weiterer Wes Anderson Film, welcher nach Lust und Laune zwischen allen denkbaren Genres hin- und herwechselt und dabei zahlreiche originelle comichafte Figuren präsentiert. Doch die Journalismuskomödie ist mit einer Laufzeit von nicht einmal zwei Stunden auch viel zu überladen und kommt insofern ins Straucheln, weil sich aus den gegebenen Voraussetzungen irgendwann nur noch eine schnarchige Aneinanderreihung von oberflächlichen Situationen und Pointen entwickelt. In dieser Hinsicht ist das alles bestens mit The Ballad of Buster Scruggs (2018) von den Coen Brüdern zu vergleichen. Beide Filme sind als Hommage an ihre Vorbilder durchaus charmant und ansehenswert präsentiert, packen jedoch nicht durchgehend und sind bereits kurz nach Verlassen des Kinosaals schon wieder vergessen.

The French Dispatch startet am 21. Oktober 2021 deutschlandweit im Kino.

Hier geht es zum Trailer auf Youtube.

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