"Citizenfour" (USA 2014) Kritik – Wenn Alpträume Realität werden

Autor: Pascal Reis

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„I am not the story here.“

Nachdem bei der letztjährigen Oscar-Verleihung berechtigte Frustration lautstark zu Wort kam, dass nicht etwa Joshua Oppenheimers meisterhafte Dokumentation „The Act of Killing“ den Goldjungen überreicht bekommen hat, sondern Morgan Nevilles „20 Feet from Stardom“, standen die Zeichen der diesjährigen Academy Awards eigentlich relativ deutlich dahingehend, dass es Laura Poitras’ Edward-Snowden-Dokumentation „Citizenfour“ ebenfalls nicht vergönnt sein wird, ein Plätzchen auf dem Siegerpodest zu ergattern. Überraschenderweise aber war dies nicht der Fall: „Citizenfour“ wurde mit dem Academy Award ausgezeichnet, was ja prinzipiell nichts über die Qualität des Filmes aussagt, aber wohl darüber, dass es auch in der Jury angekommen scheint, endlich Mut zu beweisen und jenes sondierte Material zu honorieren, welches sich in unseren Köpfen festsetzen wird, welches die Menschen rundum den Globus nicht nur im Moment bewegt, sondern auch in Zukunft gewaltig unter den Nägeln brennt. Die Durchschlagskraft, die „Citizenfour“ permanent resorbiert und aussendet, ist eine berauschende, weil sie uns daran teilhaben lässt, wie Geschichte geschrieben wird.

Unscheinbar hockt er auf seinem Bett in einem Hotel in Hongkong: Edward Snowden. Dass dieser Mann im T-Shirt es sein wird, der einen der größten, wenn nicht sogar DEN größten Skandale der US-Regierung aufdecken wird, möchte man angesichts seiner bleichgesichtigen Gestalt kaum in Erwägung ziehen. Heute sind wir schlauer, Edward Snowden unlängst zum Staatfeind Nr. 1 der Vereinigten Staaten avanciert und wir, die Otto Normalbürger, die, die wir doch eigentlich nichts zu verbergen haben, sehen uns der privaten Unversehrtheit beraubt. Bis wir zusammen mit dem The-Guardian-Journalisten Glenn Greenwood und der investigativen Dokumentarfilmerin Laura Poitras jenes Hotelzimmer betreten dürfen, sind es James Clappner (Chef von Amerikanisch Geheimdienstapparat) und Keith Alexander (Chef der Überwachungsbehörde NSA), die sich vor laufenden Kameras dafür verbürgen, dass keinerlei Abhörmaßnahmen im Umlauf sind. Dass der „Citizenfour“ diese augenscheinlich seriösen Aussagen in unglaublich erschütternder Fasson noch herbe Lügen strafen wird, hat uns die Realität längst schon bewiesen.

Es genießt selbstverständlich höchste Priorität, eine Dokumentation durchweg aus objektiver Perspektive zu schildern. Bei „Citizenfour“ erübrigt sich die Frage nach unvoreingenommener Nüchternheit von vornherein, weil es in Bezug auf den NSA-Skandal offenkundig keine Unbetroffenen mehr zu geben scheint; weil durchweg die Gefahr besteht, dass die eigenen Gespräche, E-Mails, Chat-Verläufe und Amazon-Bestellungen durchleuchtet, protokolliert, archiviert und komprimiert werden, um aus dem Wunst an Metadaten Bewegungsprofile und Kommunikationsverläufe machen, die nicht nur bestimmte Bereiche eines Individuums abdecken, sondern den Werdegang dieses in jedweder Hinsicht nachempfinden. Der ehemalige NSA-Systemadministrator Edward Snowden hat sich dazu bereit erklärt, Geheiminformationen an das Tageslicht zu rücken, nicht um einer seltsamen Neigung zum Personenkult ein Ventil zu verleihen. Snowden hingegen erweist sich als antizipierender Idealist, einer, der weiß, was auf dem Spiel steht und mit welch ungemeiner Risikobereitschaft diese Produktion realisiert wurde. Recht darf in einer intakten Gesellschaft niemals von den Launen sonstiger Privilegierter aus den höheren Etagen abhängen.

Sollte dieses allerdings geschehen, muss mit sofortiger Wirkung für Transparenz gesorgt werden, um die Macht des Staates im Vergleich zu den Möglichkeiten des Volkes nicht gänzlich aus dem Ruder laufen zu lassen: Letzten Endes muss es sich schließlich um Gewählte und Wählende, nicht um Herrscher und Beherrschte handeln. „Citizenfour“ macht sie wieder deutlich, die beißende Paranoia, die sich seit jener Aufdeckung, jener Preisgabe, in unseren Köpfen breitgemacht hat. Laura Poitras’ Dokumentation aber zeigt auch unmissverständlich auf, dass der Kampf um die geistige Freiheit der Allgemeinheit ein uneigennütziges Vorhaben des gesunden Menschenverstandes ist, denn wer sich mit intellektuellen Einschränkungen anfreunden kann, hat bereits aufgegeben und wird sie keinesfalls nachvollziehen können, die tiefen, schwarzen Augenringe in Edward Snowdens Gesicht. Was „Citizenfour“ hier berichtet, wie „Citizenfour“ uns einen unverfälschten Einblick in die Hintergründe des erdbebenartigen NSA-Skandals gewährt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der wohl wichtigste Dokumentarbeitrag der letzten 15 Jahre. Die Alpträume nämlich, sie sind erschreckende Wirklichkeit geworden.

1 Comment

  • Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass CITIZENFOUR einen Oscar gewinnt, gehofft habe ich es aber sehr. Der Film ist einfach unglaublich gut. Besonders die Schluss gefällt mir sehr: Greenwald kommt im Sommer 2014 nach Moskau und erzählt Snowden von einer neuen Quelle. Dieser ist von den Enthüllungen überrascht. “That’s ridiculous” sagt er und lacht ungläubig. Die Ungläubigkeit der Weltöffentlichkeit über die Snowden-Enthüllungen wird zur Ungläubigkeit von Snowden selbst. Was für eine Pointe.

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