Kritik: Ein fürsorglicher Sohn (USA/DE 2009) – Werner Herzog wieder in Topform

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Ich geb’s zu, ich hab in letzter Zeit viel geweint. Komisch ist nur, die Tränen kommen bloß aus meinem linken Auge, niemals aus dem rechten. Wieso ist das so?

Werner Herzog und David Lynch sind zwei der Regisseure, die sich seit den Einstiegen in die Filmwelt durch ihre unverkennbare Eigenarten auszeichneten und sich ihren großen Namen mit Exzentrik erarbeiten. Als sich 2009 ankündigte, dass der Vater des Surrealistischen und der deutsche Regietitan ein gemeinsames Projekt fertiggestellt hatten, bekamen die Cineasten weltweit Herzflattern und feuchte Augen. Das Interesse und die Vorfreude auf dieses Werk waren in Fankreisen wohl kaum in Worte zu fassen. Doch um eines gleich klarzustellen, David Lynch war hier „nur“ als ausführender Produzent tätig, seine Anwesenheit ist dennoch spürbar. Der Regiestuhl gehört einzig und allein Herzog, der mit Filmen wie Rescue Dawn oder Bad Lieutenant schon in Amerika angekommen war und dort mit internationalen Weltstars drehte. Mit My Son, My Son, What Have Ye Done, so der Originaltitel bekommen wir erneut einen hundertprozentigen Herzog-Film, der mit seiner schwierigen Art sicher nicht jedem zusagen wird.

Die Polizei wird zu einem Tatort in einer ganz normalen Siedlung in einem Vorort von San Diego gerufen. Hier begann jemand einen Mord und der Verdächtige des Opfers soll der eigene Sohn sein, der sich im Haus gegenüber verschanzt hat und scheinbar Geiseln genommen hat. Nach und nach treffen Freunde des Verdächtigen ein, doch helfen können sie augenscheinlich nicht. In Rückblicken eröffnet sich langsam die eigenartige Geschichte von Brad McCullum.

In der Hauptrolle des eigenartigen Brad McCullum hat Werner Herzog den tollen Michael Shannon besetzt. Shannon konnte sich schon in einigen Nebenrollen beweisen und zeigt hier wieder einmal sein riesiges Potenzial und füllt den schwierigen Charakter mit viel Impulsivität aus. Seine Mimik und Gestik ist grandios und die Türen zum großen Charakterdarsteller sollten Shannon eigentlich längst geöffnet sein. Aber auch die Nebenrollen sind hier gut besetzt. Da hätten wir Willem Dafoe und Michael Pena als Polizisten-Duo, Udo Kier als Theaterregisseur, Brad Dourif als Brad Onkel und Chloe Sevigny als Brads Freundin. Ein weiteres Highlight im Cast ist allerdings auch Grace Zabriskie als Brads Mutter, die wie schon unter Lynchs Regie eine tolle Leistung bringt.

Die glorreichen Zeiten des Werner Herzog fanden in den 70er und 80er Jahren statt, in denen er mit der darstellerischen Urgewalt Klaus Kinski ein Meisterwerk nach dem anderen drehte und mit Fitzcarraldo oder Aguirre Filmgeschichte schrieb. Doch mit der Trennung der beiden Extreme kam die große Durststrecke und Herzog musste zurück zu seinen alten Stärken zurückfinden, die er bei Filmen wie Invincible vermissen ließ. Sein Können lag immer in der Bildersprache, in der visionären Kraft, die den Zuschauer beinahe zu erdrücken drohte und ein energiegeladenes Erlebnis der Sonderklasse entfachte. Aber auch im Dokumentarbereich wusste Werner Herzog mit seiner ruhigen und sachlichen Art wie in Mein liebster Feind oder Grizzly Man immer zu überzeugen. In My Son, My Son, What Have Ye Done nahm er sich einem auf wahren Begebenheiten beruhenden Kriminalfall aus den 70ern an und machte daraus alles andere als einen Unterhaltungsfilm. Brad hat sich nach einem Urlaub in Peru deutlich verändert und tötete seine Mutter mit einem Schwert. Darauf verbarrikadierte er sich im vom Polizisten umstellten Haus und lässt die Zeit sprechen. Durch Bekannte die am Tatort erscheinen bekommen wir Einblicke in sein Leben, wie auch den bizarren Charakter von Brad, dessen Vorgarten geziert ist mit Kakteen und Flamingos, vorgestellt. Daraus machte Herzog keinen düsteren Thriller, sondern eine Reise in das tiefe Chaos der triebhaften Menschlichkeit.

“Ab heute interessieren mich meine Grenzen nicht mehr.”

Werner Herzog schert sich einen Dreck um das Verbrechen, die Überführung oder irgendwelche moralische Anklagen des Täters, sondern geht von Anfang an auf den Charakter des Mörders selbst ein. Motive und Antworten bekommen wir zwar auch nicht und wer sich hier gute Unterhaltung erhofft hatte, ist an der falschen Adresse gelandet, das sollte bei Namen wie Werner Herzog und David Lynch jedoch von vornherein klar sein. Wir machen uns auf einen Weg, der gepflastert wurde aus Veränderungen, der Vergangenheiten und zerstörerischen Stillstand. Die unkonventionelle Erzählstruktur wird durchgehend untermalt von verstörenden Klängen, die die unvergleichliche Ausstrahlung des Films in einen düsteren, aber keinesfalls ausweglosen Sog treibt. Wir dringen in die unberechenbare, befremdliche, besessene und gebrochene Seele eines bemutterten Wahnsinnigen ein, der den schlummernden Trieben seiner Zerrissenheit folgt und sich der inneren Verkrüppelung hingibt. Das ist sicher nicht gerade ansprechender Stoff für ein breites Publikum und auch für viele andere wird der Film in seiner anspruchsvoll-künstlerischen Art schwer zugänglich sein. Doch dieser Mix aus Gefühlen und Symbolen ist in seiner intensiven Skurrilität einfach faszinierend.

Fazit: Straußen, Flamingos, Wackelpudding, Pizza und ein Basketball angereichert mit wunderbaren Naturaufnahmen und einem Rausch in die Tiefen eines unergründlichen Charakters – das ist My Son, My Son, What Ye Done – eigenwillig, schwer, ernst und doch humorvoll. Werner Herzog inszenierte endlich wieder einen ganz eigenen Film und dabei herausgekommen ist ein einzigartiger wie besonderer Streifen, der sicher nicht an seine Blütezeit herankommt, aber dennoch ein starker Bestandteil seiner Filmografie ist.

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