Eine Kritik von Michael Gasch, erstmals zu lesen am 14. Februar 2025.
“One of the most groundbreaking animated films about nature since Bambi.” (Indiewire)
Der Animations-Stummfilm Flow profitiert von seiner immensen Beachtung, die vielen anderen Animationsfilmen vermutlich doch eher verwehrt bleiben. Zuerst war er Teil von den Filmfestspielen in Cannes, diverse weitere Nominierungen gesellten sich hinzu, darunter: BAFTA Awards, César Awards sowie die Kirsche auf der Torte: Zwei Oscar-Nominierungen, darunter in der Kategorie Bester Animationsfilm. Alles spricht also dafür, dass es sich um einen herausragenden Film handelt. Denn immerhin ist auch sein Sujet ein ganz aktuelles: Es geht um den Klimawandel und eine düstere Zeit für den Menschen.
Die Mittel der Aufklärung kennen die unterschiedlichsten Gesichter – und das ist auch gut so, denn wer möchte schon rund um die Uhr mit niederschmetternden Bildern konfrontiert werden? Nicht nur die Welt der Videospiele hat dies erkannt (Gibbon: Beyond The Trees als ein Beispiel, in dem Umweltbewusstsein und niedliche Atmosphäre zusammenkommen), auch im Kino zeigt sich diese Entwicklung. Letztes Jahr lief beispielsweise Das Geheimnis der Perlimps in den Kinos – über die Abholzung des Urwalds – und auch Flow reiht sich in die Liste jener Werke ein. Einige Gemeinsamkeiten lassen sich dabei ausmachen: Alle diese Werke verweisen auf ein hochaktuelles Problem der Gegenwart. Alle nutzen kindliche Stilistik als inszenatorisches Mittel – Informationen werden kindlich aufbereitet, würde man im Fernsehen wohl sagen. Zu guter Letzt: Alle Werke sind so ausgelegt, dass sie einen emotionalen Nerv beim Zuschauer treffen sollen – zurückgegriffen wird dabei besonders auf Tiere, die besten Freunde des Menschen. Geht es Ihnen schlecht, geht es auch dem Menschen schlecht. Im Falle Flow eine Katze, in Begleitung von einem Hund und anderen Tieren. Das Ziel: Es ist eine Reise in eine ungewisse und menschenleere Zukunft.
5 vor 12 steigt die Geschichte dabei ein – kurz vor der großen Flut. Es ist nur ein Beispiel für den symbolischen Unterbau der Geschichte. Von der Arche Noah-Symbolik, bis hin zu einer Art Erlösungsszene finden sich dabei auch biblische Bilder wieder. Doch wie passt das zusammen – wenn der Film sich augenscheinlich der Klimaproblematik widmen will? Überflüssig erscheinen diese Subtilitäten, genauso wie eine Szene, in der die Tiere vor die Wahl gestellt werden: Lieber das Gesetz des Stärkeren oder doch eher Gnade walten lassen und Mitgefühl zeigen? Nicht nur erinnert dieser Moment an Terrence Malicks The Tree of Life, in dem es heißt: “Es gibt zwei Wege des Lebens: Den Weg der Natur und den Weg der Gnade.” Es ist darüber hinaus auch problematisch, weil Flow auf der einen Seite einen Realismus festhalten will und sich andererseits mit biblischen und anti-realistischen Motiven selbst konterkariert.
Darüber hinaus lohnt es sich auch, über das Verhältnis Mensch und Tier zu sprechen. Dass Tiere gern herhalten müssen, um den Menschen zu ersetzen und Geschichten interessanter zu machen, ist keine neue Erkenntnis. Dieser so genannte Anthropomorphismus findet sich dabei in den unterschiedlichsten Formen wieder – vom fürsorglichen Clownfisch-Vater Marlin in Findet Nemo, bis hin zum abenteuerlichen Paddington. Flow hingegen fühlt sich indes mehr wie ein Film an, in dem auf übermäßige Vermenschlichung verzichtet wird. Anknüpfend an das Sujet, zeigt sich auch hier die Tendenz zum Realismus: Die Katze ist keineswegs nur ein eigensinniges Wesen mit sturem Kopf, sondern vereint ein breites Verhaltensspektrum – vom Komfortliebhaber bis hin zum ängstlichen Geschöpf in unsicheren Momenten. Sehr viel Wert legt der Film darauf, der Komplexität der Tierwelt gerecht zu werden. Bereits festgehaltene Momente sorgen dann jedoch dafür, dass sich das nie zur ganzen Größe entfalten kann und dies mag letztlich auch an der Inszenierung liegen. Denn durch die hinzukommende Videospiel-Optik fühlt sich Flow zu sehr nach einem Katzensimulator oder Videospiel im Allgemeinen an. Noch nie lagen die Grenzen zwischen Film- und Spielwelten so nahe beieinander.
Leider sorgen zwei Komponenten in der Gesamtheit dafür, dass Flow dann doch nur durchschnittlich ausfällt. Zum einen liefert der lettische Filmregisseur Gints Zilbalodis eine zu einfache Zeichnung, wie man sie eigentlich bei Disney erwarten würde. Diverse Elemente stehen damit immer wieder in Widerspruch: Symbolik und Realismus, wie oben erwähnt, Niedlichkeit und Erleuchtung ebenso. In Flow wurde der Versuch unternommen, all das irgendwie zusammenzubringen, doch in der Gesamtheit erscheint es dann doch wie ein Kartenhaus, welches in sich selbst einstürzt. Zum anderen liegt diese Durchschnittlichkeit aber auch an dem Schlauchlevel-Design. Ein Begriff, der eigentlich aus der Videospielwelt kommt. Vereinfacht gesagt wird mit diesem Begriff ein Leveldesign formuliert, das den Spieler auf einen strikt vorgegebenen Pfad beschränkt, ohne Möglichkeiten, die Umgebung frei zu erkunden oder alternative Routen zu nehmen.
Es ist auffällig, dass Flow in dem gemütlichen Zuhause der Katze beginnt und fortan den Weg in unterschiedliche Kapitel nimmt. Fein säuberlich folgen wir diesen Stationen der Katze, ganz im Sinne eines Videospiels und einer dahinplätschernden Geschichte, die am Ende doch nicht viel auszusagen hat. Es sollte dem Standard entsprechen, keine Freifahrtscheine zu verteilen, nur weil etwas niedlich aussieht. Insbesondere dann, wenn es Animationsfilme von Tom Moore (Die Melodie des Meeres) oder Ghibli-Klassiker wie Prinzessin Mononoke gibt, die sehr viel eigenständiger auf Füßen stehen, auf komplexere Weise ein Bewusstsein für Umweltthemen schaffen sowie Form und Inhalt gelungener zusammenbringen. So flüssig die Stilistik auch sein mag, weist Flow dennoch zu viele narrative und symbolische Schwächen auf und erreicht das Niveau solcher Filme bei weitem nicht. Von einem bahnbrechenden Animationsfilm à la Bambi kann hier also definitiv nicht die Rede sein.
Kinostart: 6. März 2025
Regie: Gints Zilbalodis
FSK-Freigabe: ab 6
Verleih Kino: MFA+ FilmDistribution
Laufzeit: 1 St. 25 Min.
★★★★☆☆☆☆