Kritik: Horace and Pete – Episode 1 (USA 2016)

Horace and Pete

These aren’t customers, they’re alcoholics.

„Sometimes you wanna go where everybody knows your name, and they‘re always glad you came.“ Diese Worte begrüßten über ein Jahrzehnt lang Millionen von Zuschauern zu einer neuen Episode der US-Kult-Sitcom „Cheers“. In der Serie trafen sich nächtlich alle unsere Lieblingsfiguren am Tresen einer Bar, erzählten von ihren Problemen und ließen sich von ihren Freunden aufmuntern. Jedoch würde der berühmte Intro-Songtext wohl auch zu jeder anderen Sitcom passen. Schließlich ist in ihm der wesentliche Reiz dieser Art von Serie kurz zusammengefasst: Immer wieder, zu einer gewohnten Zeit, zu einem vertrauten Ort zurückkehren, um seine ‘Freunde‘ im Fernsehen wieder zu sehen. Sitcoms wirken an schlechten Tagen wie Medizin, es tut einfach gut in eine bunt-einladende Welt einzutauchen, die einen nicht zu sehr mit Konflikten und Wendungen herausfordert. Der Comedian Louis C.K. versteht diesen Trick, der uns entwaffnet und empfindlich macht, gut (mit „Louie“ und „Lucky Louie“ zählt er immerhin auch zu der TV-Elite) und nutzt den altertümlichen Charme einer billig produzierten Sitcom für ganz andere Zwecke. Unter dem unscheinbaren Titel „Horace und Pete“ versteckt sich nämlich keine niedliche Pilotenfolge einer kurzweiligen Comedy-Serie, sondern ein erschütterndes Drama, welches die Zeile des „Cheers“-Songs auf den Kopf stellt: Du bist gezwungen, täglich an einen Ort zurückzukehren, wo jeder deine Schwächen und Fehler kennt und dich dafür hasst.

Horace (Louis C.K.) betreibt zusammen mit seinem Bruder Pete (Steve Buscemi) eine 100 Jahre alte Bar in Brooklyn. Die Bar wurde seit ihrer Gründung innerhalb der Familie immer von einem Horace und einem Pete betrieben, was regelmäßig vom stolzen Barkeeper Uncle Pete (Alan Alda), dem Pete der alten Garde, laut verkündet wird. Ob man jedoch wirklich stolz auf das Familiengeschäft sein sollte, wird im Laufe der Folge immer stärker hinterfragt. Zuerst wird klar, dass die Kundschaft der Bar weniger wie ein alter Freund behandelt wird, sondern wie eher wie ein unerwünschter Eindringling. Dann erfahren wir, dass Horaces erwachsene Tochter Alice (Aidy Bryant) sich von ihrem Vater und der Familie distanzieren möchte und dass Pete unter einer schwerwiegenden Geisteskrankheit leidet, für die ihm bald die nötige Medizin fehlen wird. Dazu kommt schließlich noch, dass Sylvia (Edie Falco), das dritte Geschwisterkind neben Horace und Pete, die Bar pünktlich zum einjährigen Todestag ihres Vaters verkaufen möchte.

Der Start der Serie wurde Beyoncé-mäßig von C.K. per E-Mail an seine Fans bekannt gegeben, die einstündige Episode konnte man sich direkt auf seiner Webseite downloaden. Dass niemand etwas von der Produktion (an der immerhin einige berühmte Namen beteiligt waren) mitbekommen hat, ist beeindruckend. Szenen, in denen über Donald Trump und seine jüngsten Attacken auf den FOX Nachrichtensender geredet wird, deuten auf recht kurzfristige Aufnahmearbeiten zu. C.K. scheint seine Freunde kurzerhand zu einem Dreh versammelt zu haben, ohne lange davor zu proben. Das Ding wurde, offensichtlich, mit nur wenigen Takes und einem Mehrkamera-Setup gefilmt. All das trägt zu dem merkwürdigen Experiment-Charakter bei, welcher das Projekt zu durchlaufen scheint. C.K. wollte wohl etwas Neues wagen, ohne jedoch viel Wirbel zu generieren.

Die eigenartige Qualität der Show ist schon ab der ersten Minute der ersten (und bislang einzigen) Folge zu fühlen. An seinem Loser-Image arbeitet Louis C.K. sowohl in seinen Stand-Up-Specials, als auch in seiner brillanten Fernsehshow („Louie“), schon länger. Hier kommt diese bemitleidenswerte Figur zum vollen Einsatz, Horace kann sich nicht klar verständigen, kann es keinem recht machen. C.K., Autor und Regisseur der Episode, weigert sich eloquente und/oder intelligente Dialoge für seine Schauspieler zu schreiben. Der Live-Charakter des Stücks trägt zu dem treffenden Realismus bei. Hier wird sich verhaspelt, versprochen und, vor allem, geschwiegen. Umso effektiver sind die wenigen Momente, in denen man kurz aus diesem Trott herausbricht, wenn plötzlich eine gut-durchdachte Meinung am Stück geäußert wird. In diesen Szenen beeindrucken C.K. und Schauspiel-Veteranen wie Alda (der einen brutal-unverfrorenen Misanthropen spielt), Buscemi und Jessica Lange mit ihrem tiefen Verständnis für diese tragischen Gestalten am Bartresen.

Man könnte, aus reiner Faulheit heraus, C.K.s neuestes Werk mit dem Existentialismus eines Beckett Stücks, oder einem Familiendrama a la Arthur Miller, vergleichen. Tatsächlich würde die Episode auch gut auf einer Theaterbühne funktionieren. Doch in Wahrheit ist dieses Sitcom-Experiment voll und ganz in der Fernsehwelt und seiner jungen Geschichte als Kunstform verankert. C.K. versteht das amerikanische Kulturwesen, die Dunkelheit unter der freundlichen Oberfläche. Er hat die Natur der Sitcom-Form als Krücke im Alltag genau erkannt und nutzt unsere Schwäche gnadenlos aus. So spielt das bunte, billig-wirkende Set mit unseren Erwartungen, wir wissen ja schließlich, wie eine Sitcom abläuft. Doch „Horace and Pete“ schlägt ganz schnell einen anderen Pfad ein und führt uns an Stellen, die uns unbekannt sind und herausfordern. Eine große Leistung und willkommene Abwechslung in der zurzeit extrem überfüllten Serienlandschaft. Ich begrüße diesen Versuch, wobei C.K. bei vielen seiner Comedy-Fans wohl auf Unverständnis und Wut stoßen wird. Hoffentlich lässt er sich dadurch in seiner Arbeit nicht beirren, denn diese Show verdient ein nächstes Kapitel.

Fazit: Louis C.K. beweist, was seine Fans schon lange vermutet haben, nämlich dass der Komiker tiefe Tragik genauso gut beherrscht, wie billige Lacher. Mit „Horace und Pete“ startet er ein Projekt, welches Barrieren durchbricht und dabei das bewährte Sitcom-Genre dekonstruiert.

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