Eine Gastkritik von Michael Gasch.
“The ballad of a true original.”
Musiker-Biopics können den Anfang einer großen, lebensverändernden Reise für den Zuschauer sein. In den besten Fällen, wie Walk the Line (Johnny Cash) oder Ray (Ray Charles), sind es Filme, die die Faszination für den Künstler aufkeimen lassen. Natürlich gibt es dem gegenüberstehend auch die Art Biografien, die sich wie ein cineastischer Wikipedia-Artikel anfühlen. In jenen Worst-Case-Szenarios sind die Filme so schnell wieder vergessen, wie die dokumentierten Subjekts. Like a Complete Unknown könnte ein großer Film über einen großen Musiker sein, keine Frage – doch das Gegenteil ist der Fall.
Bob Dylan, weltbekannt durch Songs wie “The Times They Are a-Changin” oder “Blowin’ in the Wind”, gilt als Künstler, der poetische und oft gesellschaftskritische Texte besang. Seine Songs handeln von Protest, Liebe, Wandel und das Licht des Lebens, verflossene Freundschaften, fast vergessene Erinnerungen, schlichtweg von menschlicher Existenz. In den Musikstücken liegt daher sowohl eine traditionelle als auch eine subversive Komponente. Viel gibt es daher über den großen Musiker zu erzählen. Doch wie kommt man dieser schillernden Figur der amerikanischen Musikgeschichte bei? James Mangold (Indiana Jones und das Rad des Schicksals sowie der bereits erwähnte Walk the Line) entschied sich für die Charakteristika eines Slowburners – definiert durch die Kunst, nichts zu überstürzen.
Ganz langsam beginnt die Geschichte in einem Krankenhaus, um Bob Dylans im Sterben liegenden Helden Woodrow Wilson Guthrie Respekt zu zollen. Der Weg wird geebnet für den Aufstieg, wie man es von so vielen anderen Werken kennt. Doch ist es wirklich eine ganz klassische Narrative, inklusive Aufstieg, Fall und Neugeburt? So viel sei verraten: Jene Narrative, die schon so oft im Kino zu erleben war, findet sich hier nicht wider.
Davon ist ebenfalls die emotionale Inszenierung betroffen. Während es in anderen Biopics ein Auf und Ab gibt, lässt sich in vielen Fällen mit dem Menschen hinter der Kunst mitfiebern. Die Lesungen der selbsterfüllenden Prophezeiung, die Reise des (Anti-)Helden oder der Auferstehung mitsamt Läuterung, wenn beispielsweise eine Drogenphase überwunden wurde, bieten sich an. All das findet sich in Like a Complete Unknown an keinster Stelle. Ein seltsames Gefühl stellt sich ein. Ist diese bewusst gewählt nihilistische Inszenierung so gewollt, passt sie gar zu Dylans Persona? Nichts ist hier nämlich wichtig – weder die Liebe, noch der gesellschaftliche Wandel, der so oft besungen wird.
Um es ganz profan zu sagen: Die Potraitierung durch Timothée Chalamet erweckt immer den Eindruck, als sei Dylan zu seinen Lebzeiten in den 1960ern ziemlich viel egal gewesen. Doch wenn dem tatsächlich so ist, wie kommt dies zustande? Das Biopic versucht dies nur sehr selten ergründen zu wollen, stattdessen bleibt es in den meisten Situationen nur bei ganz seichten Andeutungen.
Es sind Andeutungen, die sich sowohl auf das Individuum als auch auf die damalige Zeit beziehen. Immer nur das absolut Notwendige wird hierbei präsentiert: Kalter Krieg, die Entwicklung einer neuen Musikära sowie die schwierigen Situationen, in denen sich viele Künstler wiederfanden. Zu sehr fokussiert sich Mangold also auf den Star und lässt die Welt, und wie sie auf Dylan Musik reagiert, sehr oft links liegen. Und das, obwohl das New York der 60er in einem schillernden Tanz aus Licht und Schatten lebhaft wiedererweckt wird.
Die Annahme kommt auf, dass sich zumindest mitnehmen lässt, was das Besondere an Dylans Wesen ist. Es ist paradox, dass dies nicht der Fall ist. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Man ist nach dem Film weder schlauer über die Persona und deren Musik, noch erfährt man über die Transformation vom Künstler zur Legende. Am Ende kommt nicht das Bedürfnis auf, sich intensiver mit diesem bedeutenden Musiker auseinanderzusetzen – ein Todesurteil für eine Biopic.
Dies liegt auch daran, dass sich Mangold vielmehr auf die großen Songs beschränkt, womit dieses Biopic sich jeder Tiefgründigkeit beraubt. Beispielsweise dann, wenn der junge Dylan einen Brief von dem Weltstar Johnny Cash erhält und dem Film nichts Besseres einfällt, als wegzuschneiden und den nächsten Big Hit zu präsentieren. Mangold kommuniziert damit ganz deutlich: Diese und viele weitere bedeutsamen Situationen sowie auch historische Kontexte sind eigentlich nicht wichtig. Viel mehr wird gezeigt: Das Produkt (der Song) ist wichtiger als der künstlerische Prozess, das Ziel wichtiger als die Reise.
Fein säuberlich nach den Stationen der dylanschen Karriere seziert, muss sich Like a Complete Unknown ebenfalls die Kritik gefallen lassen, es handle sich nur um einen Wikipedia-Artikel in cineastischer Form. Etwaige Kritik am Künstler, wie es beispielsweise Walk the Line oder La vie en rose sehr viel präziser im Blick hatten, sucht man daher vergebens. Trotz einer kurzweiligen, deutlich über zweistündigen Laufzeit sowie einer sagenhaften Ausstattung, schrammt Chalamet so sehr an Dylans Persona vorbei, wie Mangold dem titanischen Erbe dieses Musikgenies fern bleibt.