"Lohn der Angst" (FR/IT 1953) Kritik – Die Angst zerfrisst uns alle

Autor: Pascal Reis

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“Ihr wisst nicht was Angst ist. Ihr werdet sehen. Die Angst überfällt einen wie die Pocken. Und wer sie kriegt, behält sie für sein Leben.”

Las Pietras, Venezuela. Ein staubiges Kaff am Ende der Welt. Bevölkert von heimatlosem Pack. Gesindel, Tagelöhner, Verstoßene, immer auf der Suche nach dem schnellen Geld; mit der leisen Hoffnung bepackt, diesem tristen Elend im südamerikanischen Nirgendwo schnellstmöglich zu entfliehen. Heldenhaft wirkt hier niemand, vom Leben gezeichnet sind sie hingegen alle. Auftakt für „Lohn der Angst“. Auftakt für einen der spannendsten Filme, der je auf Zelluloid gebannt wurde. Henri Clouzot lässt sich fast 45 Minuten Zeit um dem Zuschauer die wichtigen Figuren vorzustellen, ohne ihre Charakteristika vollends zu entblättern. Als große Stärke von „Lohn der Angst“ erweist sich im Verlauf der Geschichte daher auch die Entfaltung dieser Charaktere, die sinnbildliche Glaubwürdigkeit in Bezug auf ihre Veränderungen, die sie im Angesicht der Todesängste durchmachen. Wenn alte Hasen plötzlich von ihrem hohen Ross steigen sich als Feiglinge kennzeichnen, im Gegenzug aber der beeinflussbare Neuling zum durchgreifenden Fels in der Brandung wird.

Eine Fahrt durch die Hölle könnte das Ticket in die Freiheit sein. Nach besagten 45 Minuten zur Einführung werden dann die mit Nitroglycerin beladenden LKWs gesattelt und das Wort „Himmelsfahrtkommando“ scheint für dieses Vorhaben erfunden worden zu sein. „Lohn der Angst“ ist Existentialismus auf vier Rädern. Jede Pfütze könnte das Ende bedeuten, hinter jeder Kurve könnte der große Traum in Flammen aufgehen und die Umgebung mit einer markerschütternden Explosion zerfetzen. Dass die antiamerikanische Kapitalismuskritik dabei nicht zu kurz kommt, versteht sich von selbst. Doch „Lohn der Angst“ ist eine ebenso brillante Menage aus physischer Grenzerfahrung und der Konfrontation mit menschlichen Urängsten. Hier sind die Männer keine machohaften Abziehbilder, die immer einen trockenen Spruch auf den Lippen haben und sich durchgehend selbst zu helfen wissen, die Ambivalenz in jedem Einzelnen entscheidet. Und um das Ziel zu erreichen, werden ehemalige Freundschaften auch in einem sumpfigen Bad aus Öl überrollt.

Je weiter die Laster in ihr (Un-)Glück rollen, desto mehr weiß Clouzot die Spannungsschrauben anzuziehen und – vordergründig – simple Angelegenheiten zu einem wahren Adrenalinrausch zu stilisieren. Es wird immer nervenzerrender, die Lage ist dabei durchweg unvorhersehbar, auf eine klare Sympathiefigur wird förderlich verzichtet, Helden gibt es in diesem Sinne erst recht nicht und wer sich aus dieser progressiven Suspense-Höllenfahrt wirklich retten kann, steht bis zur letzten Minute in den von Abgasen verschleierten Sternen. „Lohn der Angst“ hat seine humorvollen Einlagen, bleibt aber ein düsterer und mühseliger Ritt durch ein alptraumhaften Szenario, in dem das eigene Leben für läppisches Geld aufs Spiel gesetzt wird und nicht die Scheine den Reiz ausmachen, sondern die Möglichkeit, die den Menschen durch sie geboten wird. Und um die Superlativenschlammschlacht nun zu einem gebührenden Ende zu führen: Erstklassiges, maßgebendes, konsequentes, unfassbar spannendes Kino, bei dem der schweißige Ölfilm förmlich auf der Zunge zu schmecken scheint und nicht auf Schablonen gesetzt, sondern den Figuren ein Profil gegeben wird. Muss man gesehen haben.

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