"Miss Bala" (MX 2011) Kritik – Drogenkrieg und Schönheitswahn

Das ist Mexiko.

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Der nordmexikanische Drogenkrieg stellt schon lange nicht mehr nur eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Drogenkartellen, sondern inzwischen einen nationalen Konfliktherd dar, in dem die mexikanische Polizei und Armee hart durchgreifen muss, um aus Mexiko ein sichereres Land zu machen. Dass die Regierung bei der Verbrechensbekämpfung gegen den Drogenhandel kaum Erfolge aufweisen kann, zeigt sich auch in der steigenden Zahl der Todesopfer. Dabei macht das Morden vor keinem halt: Journalisten, Politiker, Drogenbosse oder Farmer, sie alle trifft es gleichermaßen. Wie ausweglos die Situation für viele Mexikaner ist, ließ sich bisher für Außenstehende allerdings nur schwer nachvollziehen.

Der mexikanische Regisseur Gerardo Naranjo allerdings nahm sich vor, der Welt zu zeigen, wie aussichtslos die Lage seines Landes ist. In „Miss Bala“ beschreibt er das Schicksal einer jungen Mexikanerin, die unfreiwillig Zeuge eines tödlichen Überfalls wird. Ihr bleibt nur eine Wahl, um nicht selbst zum Opfer zu werden. Sie muss sich als Kurier für das Kartell, welches für den Überfall verantwortlich ist, zur Verfügung stellen.

„Miss Bala“ bietet keine Hoffnung auf Besserung. Knapp zwei Stunden begleitet man ein Individuum, das stellvertretend für eine ganze Nation im Chaos steht. Naranjos Drogenthriller ist eine Bestandsaufnahme, der es daran gelegen ist, eine möglichst realistische und klischeefreie Geschichte über Korruption, Machtkämpfe, Mord und verlorene Seelen zu erzählen. Aus der anfänglichen Aufsteigergeschichte, in der sich Laura Guerrero (Stephanie Sigman) für die Miss Baja California, also die schönste Frau Mexikos bewirbt, entwickelt sich alsbald ein Drama, welches sich nicht dadurch definiert alles möglichst dramatisch, sondern in einem möglichst wahrheitsgetreuen Umfeld darzustellen. Und das gelingt Naranjo bis auf wenige absurde Szenen, denen eine detailliertere Ausarbeitung noch mehr Wucht verliehen hätte, tadellos.

Wo Oliver Stone zuletzt aus seinem missglückten „Savages“ ein Unterhaltungsfilmchen gebastelt hat, welches sich an Gewalttätigkeit und Naivität ergötzt, reicht bei Naranjos Inszenierung allein die Fantasie, um einen schlucken zu lassen. Er bleibt konsequent seinem dokumentarischen Stil treu und entwickelt dadurch eine sogartige Bildsprache, die den Zuschauer immer weiter in die Tiefen der Korruption und Machtkämpfe Mexikos hineinzieht. Dem Sumpf aus Drogen, Gewalt und Korruption zu entkommen, scheint unmöglich.

Die Idee, sich mit dem nicht enden wollenden, mexikanischen Drogenkrieg, komplett aus der Perspektive einer aufstrebenden Schönheitskönigin auseinanderzusetzen, ist interessant, denn das eröffnet vollkommen neue Perspektiven. Am besten kommt das in den Actionszenen zur Geltung. Die Kamera bleibt stets bei Laura, beobachtet ihre Verzweiflung entweder aus nächster Nähe oder schildert ihr Umfeld aus ihrem Blickwinkel. So ist Gerardo Naranjo ein überaus realistischer, dokumentarisch anmutender Drogenthriller gelungen, der durch seine eigenwillige Bildsprache punktet, die vom Zuschauer einiges abverlangt. Wie Laura muss auch er sich in jeder Situation aufs Neue zurechtfinden, denn ihr Blick streift Kampfszenen nur ganz beiläufig, und in tiefster Finsternis sucht man wie sie vergebens nach einem Orientierungspunkt.

Naranjo bewegt sich inszenatorisch auf einem höchst anspruchsvollen Niveau, schöpft jedoch erzählerisch seine Möglichkeiten nicht voll aus. Denn am Ende geht es ihm weniger darum, Lösungen zu offenbaren, als zu verdeutlichen, dass Mexiko keiner schönen Zukunft entgegenblickt. Die Frage, die man sich unweigerlich stellt: Was soll man als Normalsterblicher mit dieser schwarzseherischen Weltsicht anfangen? Wenn Laura in der finalen Einstellung verloren durch ein Stadtviertel irrt, dann ist die Aussage zwar klar, aber mehr als dieses ernüchternde Fazit hat das Drogendrama letzten Endes nicht zu bieten. „Miss Bala“ ist ein erschütternder Film, hat aber streng genommen nicht mehr als eine realistische Bestandsaufnahme der momentanen Probleme Mexikos zu bieten. Naranjo verpasst es, dem Geschehen einen universellen Sinn zu geben als den, dass man sich nicht zum falschen Augenblick am falschen Ort aufhalten sollte. Und so wird das Publikum schließlich genauso ratlos und verloren sein wie Laura. Abgesehen davon wünscht man sich, dass Lauras Motivationen doch ab und zu nicht ganz so unerklärt bleiben würden.

Fazit: „Miss Bala“ ist ein Schlag in die Magengrube, denn nur selten wurde so konsequent die Hoffnungslosigkeit einer Nation widergespiegelt. Für eine Nominierung für die Kategorie „bester fremdsprachiger Film“ könnte es bei den kommenden Oscars also reichen, denn wie man an den herausragenden US-Kritiken sieht, trifft „Miss Bala“ bei den Amerikanern genau den richtigen Nerv. Bei mir zwar auch, aber es hätte in der Story auch noch einiges an Luft nach oben gegeben.

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