Kritik: Spring Breakers (USA 2013)

Autor: Conrad Mildner

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„Pretend it’s a video game!“

Schlagwörter wie „Skandal“ oder „Kult“ haben eine ganz besondere Anziehungskraft und ein Film, der mit diesen Labels geschmückt wird, hat sich seinen festen Platz im Herzen des Publikums redlich verdient. Denn anders als es viele Produzenten_innen gerne hätten, ist Kult ebenso wenig kalkulierbar wie der Erfolg eines Films. Das Publikum wählt seine Kultfilme selbst. Dennoch haben sie alle eines gemeinsam, nämlich die Grenzüberschreitung, sei sie ästhetisch oder inhaltlich. Der Kultfilm des letzten Jahres, „Drive“ von Nicolas Winding Refn, verband die zeitgenössische 80er-Nostalgie mit der Kompromisslosigkeit des aktuellen Gewalt-Kinos – Jean-Jacques Beineix’ „Diva“ trifft auf Gaspar Noés „Irreversibel“. Oftmals sind Kultfilme auch Skandalfilme und ihre Autor_innen werden zu enfants terrible ernannt. Diesen ganzen Zirkus hat Harmony Korine bereits hinter sich und trotzdem entfacht sein neuer Film wieder das Feuer, denn Korine, dessen Filme bisher eher unter dem Radar die Kinos unsicher machten, wagt sich nun mit „Spring Breakers“ mitten in das finstere Herz des Mainstreams.

Faith (Selena Gomez), Candy (Vanessa Hudgens), Brit (Ashley Benson) und Cotty (Rachel Korine) sind College-Studentinnen und blicken sehnlichst dem Spring Break entgegen. Doch das gesparte Geld reicht bei weitem nicht für den Trip nach Florida. Daraufhin rauben sie die Gäste des örtlichen Diners aus und flüchten aus der Stadt. Beim Spring Break treffen sie auf den Gangster-Rapper Alien (James Franco), der sie in sein Reich aus Drogen, Gewalt und Überfluss einlädt.

Kein Bild, kein Moment in „Spring Breakers“ kommt ohne doppelten Boden aus. Jede Oberfläche weist auf ihre darunterliegenden Schichten, ihre Mediengeschichte, ihr Kontext in der Handlung, ihre ästhetische Kraft auf der Leinwand. Gleich zu Beginn reibt uns der Film in einer traumartigen Zeitlupen-Montage förmlich die nackten Brüste ins Gesicht. Junge Menschen -nackt, halb-nackt- tanzen, feiern und trinken. Dazu läuft zeitgenössischer DubStep von Skrillex, der zusammen mit Cliff Martinez (Musik zu „Drive“) den Soundtrack beigesteuert hat. Korine wiederholt diese Sequenz mehrmals im Film, die durch die vorherigen Szenen immer wieder ihre Stimmung verändert. Sie ist ein Ankerpunkt, eine filmische Koordinate des urbanen Mythos Spring Break, der in Korines Film nicht nur treffend geschildert, sondern auch ebenso zerfetzt wird. Die Ironie ist ein ständiger Begleiter und auch wenn „Spring Breakers“ ebenso mühelos als kommerzieller Partyfilm lesbar ist, der satirische Grundton ist kaum zu überhören. Plakativ bis zum geht-nicht-mehr eignet sich der Film die abgenudelten Teen-Träume des MTV-Fernsehens an, verkürzt die Phrasen seiner Figuren auf die Twitter-Länge von 140 Zeichen und retweetet sie in Warhol’scher Tradition bis zum Erbrechen.

Die Wiederholung als zentrales Motiv, als Werkzeug, das selbst der schönsten Oberfläche mit der Zeit ihre Faszination abschleift. Der Reiz des Tabubruchs, der nackten Haut, der bi-neugierigen Frauenküsse und des exzessiven Drogenkonsums wird schnell zur hohlen Symbolik einer westlichen Wohlstandgesellschaft, dessen Jugend und Nachahmer weder vor noch zurück können. Spring Break als Initiationsritus, der nur vordergründig Grenzüberschreitungen verspricht. Zu Beginn des Films fahren die Mädels in einem riesigen Bus Richtung Florida. Der Bus ist überfüllt mit Partyvolk. Die ansässigen Gauner haben sich darauf spezialisiert Spring Breaker auszurauben. Selbst vor Gericht drückt der Richter bei Drogenmissbrauch gegenüber den vier Protagonistinnen nochmal ein Auge zu. Eine von Staat und Kirche autorisierte Woche des Ausschweifens, des grenzenlosen Konsums bis die letzten Gehirnwindungen verbrannt sind und jeder wieder zurück ins College fährt, um Mama und Papa stolz zu machen.

„Spring Break forever!“, eine dieser leeren Tweets, die uns das Drehbuch zig mal um die Ohren haut, scheint unmöglich und dennoch suchen Brit, Candy und Hobby-Rapper Alien nach nichts anderem. Es geht um den amerikanischen (Alp)Traum, den wir alle träumen sollen, Geld wie Heu, furchteinflößend bewaffnet und mit einem weißen Flügel am Pool. James Francos Figur ist die Parodie eines weißen Rappers/Gangsters, der gerne so cool wie seine Schwarzen Homies wäre. Bei so viel Understatement überrascht es auch nicht, dass Franco stimmungsvoll eine Britney-Spears-Ballade performt und die Mädels mit rosafarbenen Sturmhauben und Maschinengewehren dazu tanzen. Harmony Korine durchpflügt erfolgreich die Popkultur. Symbole der Unschuld werden gewaltsam gebrochen und Britney Spears liefert den Soundtrack dazu.

Die Liste der Verweise ließe sich ganz einfach weiterführen. Wie eingangs erwähnt, sollte man keinem Bild einfach vertrauen. Sie sind so trügerisch wie ihre Vorbilder aus der Werbung und dem Reality-TV. „Spring Breakers“ ist kein leichter Film, aber immer noch der zugänglichste des enfant terrible Harmony Korine. Ob der Film allerdings ähnliches Kultpotenzial hat wie sein Debüt „Gummo“, wird sich noch zeigen. Das Kalkül ist dennoch offensichtlich. Ehemalige Disney-Stars unter der Fuchtel des „Ken Park“-Autoren. Dazu gibt es stylische Neon-Bilder von „Irreversibel“-Kamermann Benoît Debie und einen elektronischen Soundtrack mit Hip-Hop angereichert. Zum Glück geht „Spring Breakers“ immer einen Schritt weiter als erwartet. Das ist kein Möchtegern-Kult wie „Hobo with a Shotgun“, sondern aufregend forderndes Kino zwischen gestalterischer Perfektion und improvisiertem Chaos, ein Reigen einmaliger Momente und unendlicher Wiederholungen. „Scarface on repeat.“ wie Alien sagen würde.

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