Zu wissen, was man nicht weiß, ist die Gabe des höheren Geistes.
Jean-Luc Godard ist eines der prägendsten Gesichter der Filmgeschichte – und das nicht nur in Bezug aufs französische Kino. Nicht wenige Menschen halten ihn für die Speerspitze der Filmkunst. Nachvollziehbar und verständlich, wobei Godard in jedem Fall absolute Geschmackssache ist und nicht selten mehrere Anläufe braucht. Eine Sache ist jedoch unumstritten und glasklar: seine Filme sind immer etwas ganz Besonderes, einzigartig und radikal in ihrer Form. Mit Die Verachtung, seinem vierten Langfilm und einer seiner gefeierten Klassiker, geht es zurück in das Jahr 1963. Jean-Luc Godard inszenierte damit ein äußerst künstlerisches Drama, in wunderschönem Technicolor offenbart er seine Leidenschaft zum Kino und offenbart die Kraft des mächtigsten, aber auch brüchigsten Gefühls: der Liebe.
Filmproduzent Jeremy Prokosch lädt den Drehbuchautor Paul und seine Frau Camille in seine Villa ein. Paul soll das Drehbuch zu einem Odysseus-Film, unter der Regie von Fritz Lang, umschreiben und publikumsfreundlicher machen. Mit diesem neuen Job verliert er seine Frau jedoch immer mehr aus den Augen und die Trennung wird immer greifbarer.
Visuell ist Die Verachtung ein unantastbarer Hochgenuss. Das Spiel mit den warmen Farben und die wunderschönen Aufnahmen, vor allem im letzten Abschnitt von der Felseninsel Capri, reihen eine fantastische Einstellung an die Nächste. Dass der Film in CinemaScope gedreht wurde, sieht man ihm natürlich an, doch gerade das macht den Unterschied. Die breiten Bilder sind satt und prächtig. Nicht minder toll ist der legendäre Score von Georges Delerue, der dem Film durch seine zarte Melancholie einen feinen Grundton gibt und den Zuschauer in seine Arme schließt.
Brigitte Bardot und Michel Piccoli spielen das Paar Paul und Camille zeitlos. Bardot, die nicht von ungefähr eine der Sex-Ikonen ihrer Zeit darstellte, weiß natürlich perfekt mit ihren Reizen umzugehen. Sie füllt ihren Charakter mit zarter Zerbrechlichkeit und Emotionalität und bleibt in ihrer Rolle durchgehend anziehend und interessant. Piccoli steht dem natürlich in nichts nach und kann mit seinem standhaften, aber auch sanftem Auftreten ebenso sehr überzeugen. Natürlich bildet das Zusammenspiel der beiden die klaren Highlights des Films. Aber auch die Nebenrollen sind mit Fritz Lang als er selbst und Jack Palance als Jeremy Prakosch passend besetzt.
Die Verachtung besitzt zwei ganz klare Handlungspunkte. Auf der einen Seite haben wir das Filmleben. Wir sehen die Arbeiten am Set, bei denen uns Jean-Luc Godard ganz bewusst die Gerätschaft und das Drumherum immer wieder offen zeigt. Er verdeutlicht uns die Arbeit und zeigt, dass der Film selbst keine Realität ist, aber in jedem Fall eine bebende Kunstform. Wir sehen den geldgeilen amerikanischen Produzenten, dem es nur um den Profit und nicht um den Inhalt des Films geht. Hauptsache das Geld stimmt. Im Gegenzug der Regisseur Fritz Lang: Ein Denker voller Philosophie und Weisheiten. Ein poetischer Stein in der oberflächlichen Brandung. Dann wäre da noch Paul, der durch den gewonnenen Job erheblich eigensinniger wird und seine Frau dadurch immer schlechter behandelt. Er bringt die gepflegte Beziehung dadurch nicht nur in Gefahr, sondern zerstört sie auch. Und da kommen wir auch schon zum nächsten Punkt. Die Beziehung zwischen Paul und Camille.
Eingeleitet wird sie mit einer belanglosen und auch fast provokativen Szene, in der Camille nackt auf dem Bett liegt und die Kamera ganz klar auf ihren Po gerichtet ist. Das Bild nimmt dabei abwechselnd die Farben der französischen Nationalflagge ein und Camille fragt Paul über ihren Körper aus. Der Körper von Bardot, der nun wirklich jeden Blick auf sich zieht, spielt auch im weiteren Verlauf des Films immer wieder eine Rolle und wird zu freien Erinnerungen an die vergangene Zeit. Doch Camille und Paul entfremden sich. Die Zeit heilt keine Wunde und öffnet die alten Narben immer wieder aufs Neue. Erste Risse zeichnen sich an der reinen Oberfläche. Enttäuschungen durch erhofftes Verhalten folgen. Ständige Reibungen scheinen unausweichlich und das Schicksal ist vorbestimmt: die Verachtung hat eingesetzt. Beziehungen scheinen von außen immer so leicht zu durchschauen und man erlaubt sich nicht selten Urteile über andere Leute und deren Probleme. Doch das Paar in der Beziehung weiß nicht im Geringsten, in welche Richtung es überhaupt treibt. Ein geschliffener Scherbenhaufen sammelt sich. An den Rändern makellos und glatt. Ohne Ecken und Kanten. Aber es ist eben doch kein Ganzes und in unzählige Teile zerbrochen.
Jean-Luc Godards Film in Worte zu fassen ist sicher nicht leicht, denn Die Verachtung lebt von so vielen Dingen und Einzelheiten, die den Inhalt schier endlos ausweiten können. In erster Linie zeichnet er uns ein Bild der Liebe und lässt es Stück für Stück zerbrechen. Allerdings wird er dabei nicht melodramatisch und drückt zu keiner Sekunde unnötig auf die Tränendrüse. Seine Inszenierung ist leichtfüßig, luftig, frei und voller Charme, der jeden in einen lebhaften Sog zieht. Ein Rausch, der umso nachhaltiger wirkt. Die eigentlichen Kernthemen des Films sind natürlich ernst, doch Jean-Luc Godard verkauft uns diese auf den ersten Blick gar nicht so. Die Verachtung enthält so viel Wahrheit über das Leben und über die Liebe, ohne dabei auch nur eine Sekunde den Zeigefinger zu erheben und belehren zu wollen. Es ist dieses unvergleichliche Auftreten, diese Mischung aus jugendlichem Leichtsinn und Verspieltheit, die immer wieder mit dem Ernst des Lebens verbunden wird. Die Verachtung lässt sich ohne weiteres als Film über das Leben bezeichnen, obwohl Godard uns hier eigentlich erzählte, dass Filme niemals wie das Leben sind und doch ist seine Darstellung so lebensnah, greifbar und voller Seitenhiebe auf die von ihm verhassten amerikanischen Produktionsfirmen aus Hollywood. Mit Sicherheit ist der Film nicht für jeden geeignet und auch um das Wort gewöhnungsbedürftig kommt er nicht herum. Die eine oder andere ebenso mythische wie diskutable Szene weißt er auch auf. Doch für diejenigen, die Godards Eigenart verstehen und sich ihr hingeben können, wird das hier zu einer wahren Offenbarung. Ein Film zwischen Illusion, Traum und Realität. Ein Film über Wünsche und Verluste. Ein Film über dich und mich. So ist das Leben, so sind nur wir.
Fazit: Die Verachtung ist unnachahmliches Kino eines Ausnahmekünstlers. Zwar nicht mein absoluter Lieblingsfilm von Jean-Luc Godard, doch die fantastischen Bilder, der unglaublich schöne Score, die brillanten Darsteller sowie die exzellente Inszenierung machen den Film zu einem von der Art, die berühren und im gleichen Moment ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Ein Kunstwerk zwischen Weinen und Lachen und nicht selten beides gleichzeitig. So ungebunden, so ehrlich und doch so träumerisch.
★★★★★★★☆
Ein echtes Juwel
Nach Außer Atem ist Die Verachtung der erst zweite Film von Jean-Luc Godard, welcher frisch restauriert in 4K erscheint (in Deutschland ab dem 8. Juni 2023 zurück im Kino und ab dem 29. Juni 2023 auf 4K Blu-ray erhältlich)*. Ich konnte mich bereits am 17. Mai bei der Erstvorstellung im Rahmen der Eröffnung der diesjährigen Cannes Classics von der Qualität überzeugen und kann euch sagen, dass Studiocanal mal wieder eine super Restaurierung in Sachen Bild und Ton abliefert, welche dem Klassikerstatus mehr als gerecht wird. Jean-Luc Godard konnte den Film 1963 aufgrund der damals limitierten technischen Möglichkeiten nicht in solch strahlenden Farben präsentieren, wie er es sich gewünscht hatte. Die Restaurierung holt dies nun passend zum 60. Geburtstag nach, Die Verachtung erstrahlt wahrlich in neuem Glanz. Die 4K-Edition wird zudem folgendes Bonusmaterial enthalten: Featurette – “Es war einmal: Die Verachtung”; Einführung von Colin MacCabe; Kurzfilme: “Paparazzi – Die Verfolgung der B.B.”, “Bardot und Godard”; Booklet und Trailer.