"25 Stunden" (USA 2002) Kritik – Edward Nortons längster Gang

“Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind sollte die Wüste einmal gesehen haben, bevor sie sterben.”

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Filme erzählen uns viele Geschichten. Die einen machen uns Mut, die anderen nehmen uns jegliche Hoffnungen. Einige bringen uns zum Lachen und andere dagegen lassen uns weinen. Wieder andere langweilen und nerven uns nur. Wie Melville schon sagte, es ist die Glaubwürdigkeit die den Unterschied ausmacht. Denn wenn wir keine Gefühle zu einer Geschichte aufbauen können, dann erzählen oder empfehlen wir sie auch nicht weiter. Regisseur Spike Lee widmet sich mit seinem Charakterdrama ’25 Stunden’ von 2002 einer durch und durch schwerverdaulichen Geschichte. Doch zwischen dem Tonnenschweren Pessimismus lässt Lee immer wieder einen Funken Hoffnung aufkommen und inszeniert so eines der besten und tiefgründigsten Dramen überhaupt.

Rodrigo Pinto zählt inzwischen vollkommen zu Recht zu den besten Kameramännern im Filmgeschäft. Auch in ’25 Stunden’ beweist er sein Können. Ruhige Einstellungen bestimmten den Film, keine überhasteten Momente, keine schnellen Schnitte, die Kamera dient zur reinen Beobachtung, genau das was der Film auch von ihr verlangt. An dieser Stelle sollte man noch vor allem die beeindruckende Aufnahme des Ground Zero aus dem Hochhauszimmer loben. Die Großstadtatmosphäre wurde in packenden und dichten Bildern eingefangen, wie zu besten ‘Taxi Driver’-Zeiten. Auch musikalisch bewegt sich ’25 Stunden’ auf höchstem Niveau. Der melancholische Score von Terence Blanchard ist immer tiefberührend und gleichermaßen aufrütteln, dazu bekommt man im Abspann noch Springteens ‘The Fuse’ zu hören, der deutlich auf den damaligen Zustand von New York hinweisen soll.

Vor allem kann ’25 Stunden’ durch seine hervorragenden Darsteller beeindrucken. An erster Stelle Edward Norton der Monty Brogan verkörpert. Das Norton ein fantastischer Schauspieler ist hat er spätestens in ‘Fight Club’ bewiesen. Schade, dass ihm heute Unterhaltungsfilme wichtiger geworden sind. Denn Norton bringt auch hier wieder eine grandiose Leistung und meistert seinen gescheiterten Charakter mit unglaublicher Präzision und ausgefeilter Mimik. Doch Norton stiehlt hier niemandem die Show, bei den anderen Darstellern auch schier unmöglich, denn neben Norton darf niemand geringes als Philip Seymour Hoffman wieder groß Aufspielen. Er spielt den schüchternen Lehrer Jacob, hält sich mit seinem Schauspiel wie gewohnt dezent zurück und reißt trotzdem die Kamera immer wieder durch sein perfektes Schauspiel an sich. Und der letzte in der Männerrunde wäre Barry Pepper der Frank spielt. Pepper beweist wieder einmal dass er mehr als nur ein Nebenrollen-Darsteller ist und überzeugt durch unglaublich authentisches und vielschichtiges Schauspiel und hätte endlich eine Hauptrolle verdient. Dazu auch die weiteren kleinen Nebenrollen mit Brian Cox als Montys Vater wunderbar besetzt und Rosario Dawson als Montys Freundin.

Spike Lee nimmt in seinen Filmen zu gerne die Rolle des Richters ein. Er verurteilt seine Figuren und bestraft sie. In ’25 Stunden’ ist das jedoch anders. Lee hält sich mit seiner Stellungnahme im Hintergrund und verzichtet auf die Preisgabe seiner Meinung. Er will niemanden Manipulieren und überzeugend von dem was er denkt. In ’25 Stunden’ rutscht der Zuschauer in die Rolle des Beobachters, doch es bleibt nie beim bloßen beobachten. Viel zu mitreißend werden wir in Monyts aussichtlose Lage gezogen.

Hier geht es um Abschied nehmen. Monty wird uns nach und nach vorgestellt. In Rückblenden wird uns sein Charakter nähergebracht. In der Gegenwart sehen wir seinen Fall. Wir sehen Monty und wie er sich von allem abgrenzen muss. Er muss sich von seiner Familie und seinen Freunden verabschieden. Sein Leben wird ihm für sieben Jahre genommen, auch wenn es ein schmutziges war, es war seins. Er konnte tun und lassen was er wollte, doch diese Zeit hat ihr vorläufiges Ende gefunden. Wir begleiten eine gescheiterte Existenz in den schwersten Minuten seines Lebens. Er hat sich alles selbst verbaut, aber ein Mensch dem er immer vertraut hat, hat ihn verpfiffen. Verrat und Freundschaft lagen schon immer eng beieinander. Monty sieht im Knast sein Ende kommen. Er hat Angst vor den Nächten, vor den Angriffen der Mitgefangenen. Er steuert auf seinen eigenen Untergang zu. Doch er gibt nicht vollständig die Hoffnung auf ein neues Leben nach dem Gefängnis auf und bereitet sich auf schmerzhafte Weise auf seine Zeit hinter Gittern vor, in dem er von seinen Freunden einen schrecklichen Gefallen fordert. Er will es versuchen, auch wenn er in Wahrheit keinen Sinn im Leben danach sieht.

Wir sehen hier wie ein Mann einen Weg beschreiten muss den niemand gehen will. Doch täglich müssen Menschen ihn gehen. Und die Gedanken und Handlungen die Lee uns hier vorführt sind in jeder Art und Weise glaubwürdig und realitätsnah. Lee drückt nicht auf die Tränendrüse. Er will mit seiner tragischen Figur kein Mitleid erzeugen. Monty hat Fehler begangen und die muss er nun ausbügeln. In ’25 Stunden’ sehen wir einen unglaublich interessanten und gleichermaßen mitreißenden Leidensweg.

Aber auch die Nebenfiguren sind keineswegs weniger interessant. Zum einen Lehrer Jacob, dessen Unterricht von Schüler als äußerst belanglos und langweilig angesehen wird. Auf der Abschiedsfeier von Monty wird Jacob allerdings mit einer seiner minderjährigen Schülerinnen konfrontiert. Der standhafte Jacob gerät ins Wanken. Versuchung und Verlangen drängen sich immer stärker auf. Die Frage nach Richtig und Falsch pocht immer mehr in seinem Kopf. Welcher Schritt geht zu weit und was ist erlaubt? Dabei sollte man natürlich immer an das Ausnahmetalent Hoffman denken, der den Außenseiter-Charakter in Perfektion beherrscht. Und Frank, der obercoole Börsentyp. Seine Fassade scheint unzerbrechlich und selbst der Abschied von seinem besten Freund scheint ihn zu schockieren. Alles war zu erwarten. Doch alles ist nur Täuschung, wie so oft. Frank ist voller Ängste und Verzweiflung. Ein völlig unzufriedener und zerrissener Mensch. Meisterhaft wie Lee diesen Charakter Stück für Stück auseinandernimmt und in bittere Tatsachen zerlegt.

Lee zeigt uns Charaktere, die wir zwar in den meisten Handlungen verstehen können, aber zu keiner Zeit mit ihnen identifizieren. Und dennoch drängt sich die eigene Frage, wie wir wohl mit dieser Situation umgehen würden, immer wieder auf. Dass erzeugt eines der furchtbarsten Gefühle überhaupt. Immer wieder Monty vor Augen. Der Weg aus der Freiheit. Vielleicht sein letzter Gang. Verändern wird es ihn, das steht fest. Sein altes Leben weiterleben? Nach sieben Jahren Abwesenheit? Unmöglich. Zu viel Zeit ging ins Land. Er weiß genau, dass jeder seiner Freunde sich weiterentwickeln wird und er erneut bei 0 anfangen muss. Allein und verlassen, wenn es überhaupt einen Neuanfang geben wird.

Fazit: Mit ’25 Stunden’ inszenierte Spike Lee ein unglaublich berührendes und gleichermaßen doch so distanziertes Drama. Schwierig zu beschreiben was Lee dem Zuschauer hier abverlangt, aber er gönnt ihm keine Gnade. Wir werden in eine Welt gezogen, die wir nicht berühren können, aber durchgehend fühlen. Ein schmerzhafter, ein trauriger, ein bitterer Film, der aber zwischen den Zeilen immer wieder etwas Mut machen kann. Ein Funke in purer Dunkelheit. Nun liegt es am Zuschauer selbst, ob er sich an den Funken klammert oder ob er den anderen realistischeren Weg nimmt. ’25 Stunden’ ist Schauspielkino der Meisterklasse, gesegnet mit tollen und ruhigen Großstadtaufnahmen und einem fantastischen Soundtrack, der aus dem Film einen ganz Besonderen macht. Sicher nicht für jeden geeignet, aber wer sich darauf einlassen kann, erlebt einen Film, der noch Tage nachwirken wird. Versprochen.

Bewertung: 9/10 Sternen

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