Kritik: Snowden (DE/FR/US 2016)

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The modern battlefield is everywhere.

Zuerst emuliert Snowden Bilder, die uns noch allen bestens aus Laura Poitras’ Oscar-prämierter Dokumentation Citizenfour in Erinnerungen geblieben sind: Ein steriles Hotelzimmer in der City von Hongkong, in dem sich zwei Reporter des britischen Guardian und ein unscheinbarer, barfüßiger, mit runder Hornbrille ausgestatteter Mann zusammenfinden. Der Türspalt wird mit Kissen versiegelt, die Mobiltelefone in einer Mikrowelle verstaut, um UHF-Frequenzen zu unterbinden, und wenn ein Kennwort in den Laptop eingegeben wird, dann nur mit übergeworfener Decke – die unsichtbaren Augen sind überall. Edward Snowden, der via verschlüsselter Mails ein Treffen mit Laura Poitras und Glenn Greenwald arrangierte, sollte diese Augen, jedenfalls im übertragenen Sinne, im Zuge dessen sichtbar machen, in dem er die illegalen, globalen Abhörpraktiken der NSA respektive anderer Geheimdienste über die beiden Investigativjournalisten an die Öffentlichkeit trug.

Dass es wenig ergiebig wäre, Citizenfour noch einmal filmisch, also fiktional, aufzubereiten, wusste auch Kult-Regisseur Oliver Stone (Natural Born Killers), der sich Zeit seines Schaffens immer als politischer, gleichzeitig aber auch als kulturpessimistischer und moralistischer Filmemacher verstand. Und wer wäre angesichts dieser Eigenschaften schon besser für die Umsetzung von Snowden geeignet gewesen, als dieser Mann? Sicherlich hat sein klangvoller Name in den letzten Jahren ein wenig Federn gelassen, Alterssenilität wurde dem Filmemacher aus New York City nachgesagt, sein Mojo soll er verloren haben. Ist Snowden nun endlich wieder eine Rückkehr zu vergangener Stärke? Nicht wirklich, aber er ist um Lichtjahre besser als Rohrkrepierer der Marke World Trade Center oder Savages, weil Oliver Stone auf seine alten Tage noch einmal unter Beweis stellt, dass er über ein äußerst kompetentes Händchen dahingehend verfügt, gewichtige Botschaften einem Massenpublikum näher zubringen.

Das aus Citizenfour bekannte Hotel-Szenario bildet quasi den roten Faden der Narration, zu dem Snowden immer wieder zurückkehrt, nachdem er sich in Rückblenden ausgiebig mit dem Privatleben des weltbekannten Whistleblowers beschäftigt hat. Stone ist vorerst daran interessiert, seinen Zuschauern die Figur des Edward Snowden vorzustellen, den Autodidakten, Konservativen und externen Systemadministrator der NSA und CIA, der nach und nach in seinen patriotischen Idealen erschüttert wird und den mutigen Schritt wagt, den Sicherheits- und Überwachungsapparat, der jeden Menschen durchleuchtet, offenzulegen. Aus juristischer Sicht zum Hochverräter erklärt, muss Edward Snowden heute, bei Wiederkehr in die Vereinigten Staaten, eine Haftstrafe von dreißig Jahren erwarten. Für Oliver Stone aber entspricht Edward Snowden seinem klassischen Heldentypus: Eine Persönlichkeit, die sich erst durch ihre eigene Enttäuschung entfaltet und an dieser gedeiht und wächst.

Dramaturgisch mag sich Snowden dabei kaum aus der Wohlfühlzone traditioneller Charakter-Porträts bewegen, perspektiviert fein säuberlich den Konfliktherd, der sich aus der Verquickung vom Privaten mit dem Beruflichen ergibt und veranschaulicht, wie sich Edward Snowdens libertäre Enthüllungsarbeit immer gravierender auf seine sozialen Kompetenzen auswirkt – ganz zum Leidwesen seiner Frau Lindsay (Shailene Woodley, The Spectacular Now). Oliver Stone aber gelingt es, den komplexen Sachverhalt der globalen Überwachungs- und Spionageaffäre effektiv in 135 Minuten aufzubereiten, ohne den Zuschauer maßgeblich zu unterschätzen: Die Erkenntnis, dass der Kampf gegen den Terrorismus im Umkehrschluss auch eine politische Nutzbarmachung des Terrorismus in all seinen Ausformungen bedeutet, ist zweifelsohne eine sinnstiftende. Und nicht zu vergessen: Joseph Gordon-Levitt (The Dark Knight Rises) in der Hauptrolle. Eine wahrlich beeindruckende Performance.

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