Autor: Pascal Reis
Man muss nicht mit jeder Art von Regisseur zurechtkommen, keine Frage, man braucht sich auch nicht, nachdem man es bereits kläglich versucht hat, weitere Male durch die Kraft des eigenen Optimismus durch die Werke eines bestimmten Filmemachers prügeln und hoffen, doch noch irgendwie einen Zugang zu finden, der die Tore zur Schaffensintention in gewisser Weise endlich offenbart, dem Betrachter diese Absichten dementsprechend näherbringt und auch die Augen endgültig öffnet. Was man jedoch tunlichst unterlassen sollte, ist die plumpe Unterstellung persönlicher Interessen des Regisseurs, nur weil seine Filme eine symptomatische und wesenseigene Handschrift tragen und bestimmte Prozesse oder Vorgänge darstellen, die man schnell in eine postulierte oder missbilligende Schublade bugsieren könnte.
Es ist zwar immer eine Frage der subjektiven Auffassungen und der filmischen Implementation, die ein Regisseur seinem Zuschauer zumutet, doch wieso einen Künstler verurteilen, wenn seine Vorsätze nicht der eigentlichen Provokation dienen, sondern sich dem authentischen Realismus verschrieben haben, der sich eben nicht mit den fälschlichen Vorwürfen von fadenscheinigen Offensichtlichkeiten verankert. Ein Regisseur, der in Vergangenheit und in der Gegenwart (und mit Sicherheit auch noch in der Zukunft) genügend unverdiente Schelte kassierte, ist der in Tulsa geborene Larry Clark. Spricht man in sogenannten Fachkreisen seinen Namen an, dann wird bereits schwermütig geschnauft und der Kopf abwertend geschüttelt. Von Pädophilie und Hebephilie ist die Rede, von der Präferenz und Neigung Jugendliche beim Geschlechtsverkehr zu filmen, natürlich nur um die eigenen Bedürfnissen hinter der Kamera vollends zu befriedigen.
Was Clark in seinen Filmen in Wahrheit vollzieht, ist effektive Konsequenz, festgehalten für die Ewigkeit, und das, obwohl seine Milieustudien per se nie eine Zukunft besitzen, sondern im eigentlichen Sinne durchweg im Hier und Jetzt existieren, atmen und schließlich an ihrem sozialen Umfeld auch zerbrechen. Dass Clark in seinem fraglos guten Ken Park in einer überspitzten Szene durchaus über das Ziel hinausschießt, kann man ihm unter Umständen problemlos ankreiden, vor allem dann, wenn man sich in den Vorurteilen gegen seine Person bereits penibel festgefahren hat, im Großen und Ganzen ist ein breiter Teil des Publikums einfach schon an dem Punkt angelangt, dass jede unverblümte Darstellung der Jugendsexualität verdammt wird und daraufhin gerne entweder als abstoßende Altherrenfantasie oder perverse Lustbefriedigung abgetan wird. Wer sich mit Clark und seinem Leben mal etwas präziser auseinandergesetzt hat, darf feststellen, dass er in seinen Filmen ganz persönliche und ebenso intime Adoleszenzerfahrungen reflektiert und verarbeitet, die er sich über all die Jahre angeeignet hat und vorerst in seinem ästhetisierten Fotoband The Perfect Childhood festhielt.
In Filmen wie Kids, Ken Park und auch Bully wird die Entwicklung der modernen Jugend in das (un)sittliche Zentrum der herben Orientierungslosigkeit gelenkt. Ungeschützter Sex, frappanter Drogenkonsum und der exzessive Partyrausch sind Gang und Gäbe, jedoch nicht in einer trügerischen Form, in der wir von übertriebener Realitätsverzerrung sprechen müssen, sondern in einer Aufmachung, die in ihrer Deutlichkeit genau die ehrlichen Hebel betätigt, die Clark auch bewegen möchte. Und mit dem Wort Ehrlichkeit sind wir genau an dem Punkt angelangt, der Clarks uvre weitestgehend auszeichnet. Gesellschaftliche Problematiken wie familiärer Missbrauch, Geschlechtskrankheiten, Paranoia und Angst, fatalistische Generationskonflikte und das damit verbundene Versagen der Kommunikation und Verständigung, die sich wiederum auf das Zerschellen von elterlicher Führung und Erziehung zurückführen lässt. Letztlich sind es bei Clark nicht einfach die Verhältnisse, die die Jugendliche hier in ihrer Perspektivlosigkeit ohne jeden Halt ohnmächtig wanken lassen. Es ist die Zeit, ihre Generation, die aus Pubertierenden schlussendlich Opfer und Verlorene macht.
Larry Clarks Milieuschilderungen, ob Kleinstadt oder Metropole, sind immer dann von eindringlicher Stärke gezeichnet, wenn die Charaktere im Sumpf der Selbstreflexion versinken und mit der Realisierung ihres Lebensstils konfrontiert werden. Da ist nicht nur der aus dem Delirium erwachende Casper und sein Jesus Chris, what happened? in Kids gemeint. Vielmehr sind es auch die letzten Minuten in Bully und die unzähligen Zwischentöne von Ken Park. Wenn aus unüberlegtem Spaß plötzlich bitterer Ernst wird, wenn unterdrückte Zuneigung, extreme Machtspiele, ergreifende Gruppendynamik und die brennende Wut im Herzen der Generationsopfer aufflammt, nur um irgendwann dem harten Asphalt der Realität zu erliegen. Das ist unangenehm, kontrovers und schert sich zudem einen Dreck um usuelle Konventionen, doch genau diesen Ton muss Clark anschlagen, um den Gelegenheitsgucker vor Augen zu führen, was vor den Türen seiner wohlbehüteten Welt vorgeht. Was bringen leise Andeutungen und behutsame Annäherungen, wenn sie Clark in seinem Vorhaben nicht helfen. Clark spricht Tacheles, in seinem Filmen gibt es keinen stilisierten Zerfall. Alles ist real, alles entblößt sich durch die puren Bestandsaufnahmen, direkt von der Straße und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wirken in seiner Aussage verknüpfend.
Der Anspruch auf ein prägendes Meisterwerk im Hinblick auf die Filmhistorie wird dabei nie gehegt, es ist nur der lobenswerte Versuch den Menschen vor der Mattscheibe zu zeigen, was sich an vielen Ecken der Welt nun mal abspielt, der Versuch sie wachzurütteln, mit Tatsachen kämpfen zu lassen, die sie nur zu gerne verdrängen. Und dabei ist Sex eben nicht nur süßes Liebemachen, da steht Sex auch für die letzte Intimität, für die letzte Station vor dem schweren Aufprall. Man muss die Filme von Larry Clark nicht mögen, man muss sie sich auch nicht anschauen, doch wenn man es tut, sollte man sich vorher überlegen was der Regisseur uns da zeigt, bevor man von aussagelosem Rumgeficke faselt, denn genau DAS sind Clarks Outputs sicher nie.