Eine Gastkritik von Nora Schloesser
(Redakteurin beim Luxemburger Wort)
– gesehen im Rahmen der 81. Filmfestspiele von Venedig 2024, Kritik erstmals zu lesen am 1.9.2024 –
“Die Politik ist das Gegenteil von dem, was mich das ganze Leben lang erfüllt hat.”
Wie viel Nationalsozialistin steckte in Leni Riefenstahl?
Die deutsche Regisseurin ist eine der strittigsten Figuren der Filmgeschichte. Andres Veiel nähert sich in Riefenstahl ihrem Schaffen und Leben auf neue Weise an.
„Kunst ist das Gegenteil von Politik.“ So lautet eine ausschlaggebende, kritisch zu begutachtende Aussage von der bis heute umstrittensten deutschen Filmemacherin überhaupt. Leni Riefenstahl (1992–2003) dürfte den meisten Menschen ein Begriff sein – auch jüngeren Generationen. Mit ihrem Regiedebüt Das Blaue Licht (1932) erlangte die Regisseurin und Schauspielerin vor allem in Deutschland größere Bekanntheit. Mit Werken wie Triumph des Willens (1934) und Olympia (1938) verdeutlichte sie ihre Nähe zum nationalsozialistischen Regime – auch wenn sie diese Absicht bis zu ihrem Tod bestritt. Sie gelten als NS-Propaganda-Filme, wurden diese doch im Auftrag von Hitler und Goebbels realisiert.
Aber wie viel Nationalsozialistin steckte in Leni Riefenstahl? Wie nah war sie der NSDAP wirklich? Und wusste sie tatsächlich nichts von den unmenschlichen Taten, die unter der Führung Hitlers in Deutschland und darüber hinaus passierten? Riefenstahl ist eine Persönlichkeit, die genauso fasziniert wie aneckt, gar abstößt. Ihre Filme sind ebenso kontrovers wie sie selbst. Während sich Frank Hoffmann Anfang des Jahres im Théâtre National du Luxembourg (TNL) in seiner Inszenierung von Albert Ostermaiers „Stahltier. Ein Exorzismus“ mit der Causa Riefenstahl beschäftigte, feierte am Donnerstag Andres Veiels neuer Dokumentarfilm Riefenstahl Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Venedig.
Die angeblich unwissende NS-Propagandistin
Das Werk, das außerhalb des Wettbewerbs präsentiert wurde, basiert auf neuen Archivdokumenten und auf Materialien aus dem Nachlass von Leni Riefenstahl. Der Stuttgarter Regisseur greift hierfür sowohl auf Ausschnitte aus Talkshows als auch auf private, aufgezeichnete Telefonate, Briefe und Film- sowie Bildaufnahmen zurück. Eine gelungene Mischung, die hier einwandfrei funktioniert. Gelegentlich ertönt eine Stimme aus dem Off, ein Erzähler, der das Leben und Schaffen Riefenstahls kommentiert, die gezeigten Bilder in Kontext setzt.
Die erzählerischen Anmerkungen bleiben dabei recht neutral: Sie sind weder wirklich kritisch noch negativ oder positiv. Vielmehr lässt Andres Veiel die Bilder, die Beweise, für sich sprechen. Genauso handelt er auch Riefenstahls Aussagen ab, die oft mit einem bitteren Beigeschmack daherkommen. Immer wieder widerspricht die Filmemacherin sich selbst. Sie pflegte engen und regelmäßigen Kontakt zu Joseph Goebbels und Adolf Hitler, doch habe angeblich nichts von der Vergasung von Millionen Menschen gewusst.
Ihre Filme hätten, so Riefenstahl, keine politische Gewichtung. Und auch wenn die Regisseurin mehrmals betonte, dass Kunst und Politik Gegensätze seien, sie mit ihren Werken keine Politik und NS-Propaganda betrieben habe, möchte und kann man ihr nicht so ganz glauben. Denn letztlich tragen Kunst und Kultur doch eine gewisse politische Verantwortung. Und diese gilt es nicht zu unterschätzen. Kultur ist nicht ausschließlich, aber unter anderem dazu da, politische und gesellschaftliche Strukturen zu hinterfragen, diese zu diskutieren.
Profitables Geschäft für beide Seiten
Und dann gibt es Werke, und dazu gehören eben Riefenstahls Filme aus den 1930er- und 1940er-Jahren, die, ob die Regisseurin es nun bewusst oder unbewusst machte, eine politische sowie populistische Botschaft senden. Sicher ist: Leni Riefenstahl war, wenn es um Ästhetik und filmisches Schaffen geht, ihrer Zeit voraus. Doch sie profitierte genauso von ihrer Nähe zur NSDAP wie die faschistische Partei von ihren Filmen. Andres Veiels Riefenstahl präsentiert sich allerdings nicht als Doku, die das vollständige Leben der Regisseurin beleuchten möchte. Es sind Schnipsel, die hier gezeigt werden, keine komplette Biografie. Der Fokus liegt besonders auf Riefenstahls Schaffen während der Zeit des Dritten Reichs und ihren Rechtfertigungsversuchen danach. Es geht darum, die Ambivalenz der Filmemacherin, die sich stets als unwissend und naiv gibt, weiterzuspinnen und zu verdeutlichen, wie sie sich selbst etwas vormacht.
Filmfanatisch war die Regisseurin und Schauspielerin auf jeden Fall – und eine Sympathisantin, eine Mitläuferin des NS-Regimes ebenfalls. Eine Position, die Veiels Film zwar nicht ganz konkret einnimmt, indem diese ausgesprochen wird. Eine Feststellung, die allerdings problemlos aus dem zusammengeschnittenen Material herauszulesen ist. Riefenstahl ist kein eindringliches oder besonders gewagtes Werk, aber eine Dokumentation, die auf behutsame Weise das Riefenstahl-Dossier angeht und dieses nicht nur für Filmkennerinnen und -kenner aufarbeitet. Ein Werk über die Verführungsgefahr und Leugnung von Propaganda, welches in den kommenden Monaten sicherlich noch viel diskutiert werden wird.
Kinostart: 31. Oktober 2024
Regie: Andres Veiel
Darsteller: u.a. mit Leni Riefenstahl und Ulrich Noethen
FSK-Freigabe: ab 12
Verleih Kino: Majestic-Filmverleih
Laufzeit: 1 St. 56 Min.
★★★★★★☆☆