Kritik: Ronin (USA 1998)

Eine Gastkritik von Marc Trappendreher

Ronin Film 1998

No questions. No answers. That’s the business we’re in.

Als “Ronin” bezeichnet man einen in Ungnade gefallenen Samurai, der keinen Lehnsherren und keine Ehre mehr hat. Es sind Söldner, die ihr Schwert demjenigen in Dienst stellen, der dafür bezahlt. Der Regisseur John Frankenheimer entwarf 1998 mit Ronin, einem der letzten Filme dieses bedeutenden Filmemachers des New Hollywood (Der Zug; Der Mann, der zweimal lebte), eine Verbrechergeschichte, die weit entfernt des japanischen Kulturkreises von Auftragskriminellen in Europa erzählt.

Die erste Szene in den dunklen Gassen von Paris gibt bereits den filmhistorischen Rückverweis vor und deutet auf die Tradition, in die dieser Film sich stellt: Da schält sich die Silhouette eines Mannes in einem langen grauen Regenmantel heraus, auf dem Kopf trägt er einen dunklen Béret – die Bezüge zu Jean Gabin, dieser mythischen Schauspielgröße des Französischen Kinos, sind unverkennbar. Gerade das Französische Kino des Poetischen Realismus der Dreißigerjahre, mit Filmen wie Marcel Carnés Der Tag bricht an (Le jour se lève, 1939), kommt einem in den Sinn. Die Bezüge zu Jean-Pierre Melville, insbesondere seinen Filmen Der Teufel mit der weißen Weste sowie Vier im roten Kreis, mit dessen kalt-effizient operierenden Gangsterfiguren, sind ebenfalls unverkennbar.

Zunächst steht da ein arrangiertes Treffen in einer Bar – es ist ein zwielichtiger Hafen für diese gestrandeten Seelen: Da gibt es den kühl-bedächtigen Amerikaner, Sam (Robert De Niro), der Mann fürs Strategische, den aufgeschlosseneren Franzosen Vincent (Jean Reno), ein Organisationstalent, den zwielichtigen Computerfachmann Gregor (Stellan Skarsgard), den Fahrer Larry (Sudduth) und den hitzköpfigen Iren Spence (Sean Bean), der Waffenexperte. Zusammengebracht hat sie Irin Deirdre (Natascha McElhone). Sie ist die zwielichtige Auftraggeberin, die diese Söldner für den Diebstahl eines mysteriösen Koffers gekauft hat, hinter dem auch mörderische IRA-Mitglieder und schurkische Russen her sind.

Flüchtige Begegnungen, brüchige Allianzen

Dieser Koffer, den es aus den Händen einer französischen Verbrecherorganisation zu beschaffen gilt, ist der reinste MacGuffin. Egal wie oft auf ihn verwiesen wird – seinen Inhalt kennt niemand. Er dient lediglich als handlungsstiftendes Zeichen, um das herum die Figuren agieren. Cannes, Nizza, Arles und Paris bilden dabei die exotischen Schauplätze, die mit ungemeiner Rasanz durchquert werden. Das Aufschlüsseln der Mission, die misslungene Waffenübergabe, der Überfall oder noch die rasanten Verfolgungsjagden, sie prägen diesen Film auf besondere Weise, es ist das spürbare Abrufen der Standardsituationen des Genres, das diesen Film äußerlich ausmacht.

Darunter aber vermittelt sich ein diffuses Gefühl von moralfreier, skrupelloser Beliebigkeit in einer Welt des allumfassenden Misstrauens. Alles ist handelbar, austauschbar in dieser Gangstergeschichte, in der auch die Loyalität letztlich nur eine Frage des Geldes ist. Ronin zeigt diese kriminelle Welt als riesige Schauspielbühne, als Spektakel aus Maske, falscher Identität und Täuschung, die der Film mit dem Schauplatz des Amphitheaters in Arles augenfällig mit verhandelt. Flüchtig sind die Begegnungen, brüchig die Allianzen, eine tiefere Verbundenheit zwischen diesen käuflichen Menschen wird da nur mit dem Hauch eines Lächelns angedeutet. Die Filmmusik des tschechischen Komponisten Elia Cmiral nutzt prominent ein Flöten-Motiv, um diese desolaten Figuren ins Melancholische zu heben.

Die schöne 4K-Ausgabe bei Capelight Pictures besticht vorerst durch die Hochglanz-Ästhetik des Steelbooks. Die Bild- und Tonqualität sind gegenüber der HD-Blu-ray-Version deutlich verbessert worden. Die größeren Kontraste, der verbesserte Schwarzwert und die satteren Farben verleihen diesem Film einen sinnlich anregenden Gesamteindruck, der nun durch diese 4K-Aufwertung möglich gemacht wurde – umso mehr verliert man sich jetzt in den regennassen verwinkelten Gassen von Paris oder noch in den spärlich belichteten Interieurs, die Ronin entfernt auch als Noir-Erlebnis anregend machen.

Das 4K Steelbook ist seit dem 25. Januar 2024 erhältlich.

★★★★★★☆☆

 

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