Autor: Pascal Reis
“I’m ashamed that you came out of my body.”
Trompeten werden durch laue Stöße angekurbelt, die repetitiven Trommelschläge wirken wie Gewehrschüsse, bis die sakrale Chormusik ertönt und die in traurigem Schwarz-Weiß gehaltene Aufnahme der Strandpromenade von Venice Beach in ihrer bleiernen Schwere abrundet. Später hören wir das lustvolle Stöhnen einer junge Frau, sehen sie beim Geschlechtsverkehr, bis kurz darauf wirklich Schüsse aufschreien und die Leichen dreier Afroamerikaner die Auffahrt der Familie Vinyard zieren: Ein Verbrechen aus ideologischer Überzeugung, keine Notwehr, kein Akt der Verzweiflung. Die ersten Minuten von American History X fordern den Zuschauer bereits einiges ab und führen ihm seine Stärken konkret vor Augen. Die Bildsprache nämlich ist derart suggestiv, das sie es schafft, den Zuschauer einem Sog gleich ganz nah vor die Mattscheibe zu locken. Filmisch ist American History X zweifelsohne etwas ganz Besonderes, die visuelle Ebene wird vitalisiert von ausdrucksstarken Impressionen, die sich geradewegs ins Gedächtnis brennen.
Das von Tony Kaye (Detachment) realisierte und von David McKenna (Blow) geschriebene Milieu-Drama hat sich seinen sicheren Platz in der Filmgeschichte ja bekanntlich schon längst gesichert. Nur wie viel ‘Meisterwerk’, von dem der allgemeine Tenor nur zu gerne in diesem Fall spricht, steckt wirklich in American History X? Man würde dem Projekt Unrecht tun, würde man sich dazu gezwungen sehen, es von aufgrund zu verdammen. Genauso wie man eine Rezension Lügen strafen müsste, die es sich nicht hat nehmen lassen, American History X über den grünen Klee zu loben. Ein guter Film ist Tony Kaye hier mindestens gelungen, doch inhaltlich besteht eine Diskrepanz, die sich zwischen dem inhärenten Anspruch des Drehbuches und der Realität, der Wahrhaftigkeit des Ganzen, spannt. Dabei muss man die Inszenierung von American History X zuerst einmal dahingehend loben, dass es ihr gelingt, eine wirklich authentische Illustration der amerikanischen Unterschicht in Venice Beach anzufertigen, die eben nicht von bloßen White Trash-Karikaturen zehrt.
Edward Norton (Fight Club) zeigt in der Rolle des Derek Vinyard, dass er zu jener Zeit nicht umsonst zum heißesten Eisen der Branche gezählt hat und macht als mit breiter (Hakenkreuz-)Brust und Glatze auftretender Neo-Nazi-Anführer eine genauso gute Figur, wie auch als geläuterter Ex-Knacki. Ihm gebühren die schauspielerische Sternstunden des Films, sieht er sich doch in der Lage dazu, inbrünstige Reden mit reichlich Feuer abzulassen und seine schiere Physis einzubringen, hat aber gleichzeitig auch das Zeug dazu, seinen emotionalen, seinen menschlichen Kern an das Tageslicht zu kehren und Tränen über sein Gesicht laufen zu lassen. Nicht minder hervorragend ist Edward Furlong, den wir als Dreikäsehoch John Connor im Klassiker Terminator 2 Tag der Abrechnung ins Herz geschlossen haben, um einige Jahre später davon zu erfahren, dass auch er im Drogensumpf allmählich versackt. Als Danny Vinyard verleiht er American History X Fallhöhe, in dem er sich die Sympathien für seinen Charakter erhascht, in dem wir mit ihm leiden, obwohl wir wissen, dass sein Weg der offensichtlich falsche ist. Und das ist eigentlich auch die Crux an der gesamten Konzeption.
Eigentlich möchte American History X nur das richtige Verlauten lassen, er möchte als Plädoyer gegen Rassendiskriminierung verstanden werden und lugt weiterbestehend auch in die angemessene Richtung, in dem er das Milieu der Neo-Nazis aufbaut, salbungsvolle Parolen durch die Szenerie mäandern lässt, um all die verbalen wie tätlichen Vorfälle im letzten Drittel zu destruieren und folgerichtig als falsch zu manifestieren. Dass das Porträt des Rassismus sich erst einmal als reines White Trash-Diorama zur Kenntnis gibt, lässt sich anhand seines Milieu-Anspruchs noch irgendwo legitimieren, allerdings geht ihm dadurch die konkrete, die meditative Handhabung mit dem Wesen des Rassismus verloren, in dem er sich gänzlich auf einen klaren Raum forciert. Noch defizitärer ist nicht nur sein tendenziöser Habitus, mit dem er den Rassenhass von der afroamerikanischen Seite aus undifferenziert verenden lässt, sondern auch die psychologische Entwicklung seine Katharsis, seine Besinnung – des engagierten Nazi-Leaders, bei der er in vehemente Erklärungsnot gerät. Warum? Weshalb? Wieso? Hier bleiben einzig Behauptungen stehen, die Resozialisierung letztlich noch als ‘Zufall’ abstempeln.
Das Ende, welches an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden soll, könnte daher auch als Sahnehäubchen auf dem unreflektierten Gestus des Films gelten und somit diametral zur eigentlichen Botschaft stehen. Andererseits macht American History X dadurch auch wieder deutlich, dass Hass auf allen ethnischen Seite pulsiert und zu jeder Zeit seine Früchte des Zorns tragen kann. American History X ist nicht fehlerfrei, doch ein so sensibles Thema richtig anzugehen ist schon eine Kunst für sich. Schlussendlich scheitert American History X ein Stück weit an seinen eigenen Ansprüchen, möchte im Kern aber doch nur das Beste und Hoffnung schenken. Dabei spielen ihm nicht nur die rein handwerklichen Aspekte in die Karten, sondern vor allem die famosen Schauspielleistungen.