Autor: Pascal Reis
Popularity is the slutty little cousin of prestige.
Wie schnell läuft man als Schauspieler doch Gefahr, immer und immer wieder auf eine markante Rolle reduziert zu werden. Hören wir beispielsweise den Namen Daniel Radcliffe, dann denken wir automatisch an seine Performance in der achtteiligen Harry Potter-Reihe, nicht etwa an seinen Auftritt in Nico Muhlys Kill Your Darlings Junge Wilde, genau wie wir Heath Ledger nicht mit Terry Gilliams Das Kabinett des Doktor Parnassus assoziieren, sondern mit dem die Zunge schnalzenden und den Speichel durch die Wagentaschen schiebenden Joker in Christopher Nolans The Dark Knight. Die Konsequenzen dieser forcierten Gleichsetzung lassen sich in den eingefallenen Gesichtern, sowie den versiebten Karrieren vieler Künstler ablesen: Der Erwartungsdruck belästigt und bremst etwaig anvisierten Entwicklungsprozess und am Ende heißt es womöglich billige Ostblock-Reißer zu drehen, weil es ein Ding der Unmöglichkeit geworden ist, sich aus dem Schatten ehemaliger Box-Office-Mirakel zu winden. Auch Michael Keaton kann davon ein Lied singen, deswegen ist Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) in erster Linie auch sein Film.
Viel wurde vorab über Alejandro Gonzalez Inarritus neusten Streich geschrieben, überall hat man sich das Maul über die tonale Kehrtwende zerrissen, offerierte der Trailer doch ganz eindeutig, dass in Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) auf direktem Wege auch eine humoristische Komponente in das Geschehen integriert wird. Das kommt natürlich einer Art Quadratur des Kreises gleich, denn wer sich mit Alejandro Gonzalez Inarritus bisherigem Schaffen auseinandergesetzt hat, der weiß, dass bei dem Mann nicht gerade unbekümmert-legere Witzigkeit oberste Priorität inne trägt, sondern betonschwere Melodramatik, die dann auch in seiner 150-minütigen Passionsgeschichte Biutiful mit Javier Bardem in erdrückender Formung kulminierte. Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) ist in seiner narrativen Strukturierung aber letzten Endes gar nicht so distanziert von Filmen wie Amores Perrors Wilde Hunde, 21 Gramm oder Babel anzusiedeln, sondern auch ein Film, der seine episodische Zergliederung durch seine Form beibehält und es den Akteuren sowie ihren charakterlichen Eigenarten so das Überschneiden und Differieren ihrer Wege ermöglicht.
Im Mittelpunkt steht, wie erwähnt, Michael Keaton, der den abgeschlagenen Birdman-Darsteller Riggan Thomson verkörpert. Vor mehr als 20 Jahren hat er in der Rolle dieser Comic-Figur Weltruhm erlangt und die Kassen zum Klingeln gebracht, als er es allerdings abgelehnt hat, den vierten Teil der Birdman-Saga zu drehen, ging es mit seiner Karriere nur noch bergab. Die letzte Chance, um wenigstens noch einmal etwas in den Fokus der Medien zu geraten, sieht Riggan darin, Ryamond Carvers What We Talk About When We Talk About Love für den Broadway zu adaptieren. Ambitioniert wie er ist, zeigt er sich direkt mal als Schauspieler, Autor und Regisseur in Personalunion: Nur einmal in seinem Leben möchte er etwas wirklich Wichtiges erschaffen; etwas, das die Menschen bereichert, anstatt sie nur durch den inzwischen so sehr verehrten Gigantismus diverser hochbudgierter Produktionen abzustumpfen. Selbstredend steckt in der fiktiven Figur des Riggan Thomson viel vom realen Michael Keaton, der einst unter der Ägide von Tim Burton in Batman und Batmans Rückkehr glänzen durfte, danach aber doch eher ins Stagnieren geraten ist und zunehmend von der Bildfläche verschwand.
Dass Riggan nicht der einzige Knotenpunkt der Geschichte ist, der einen selbstreferenziellen Unterbau besitzt, ist bei dem Setting der Theaterbühne eindeutig. Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) ist auch eine mit galligem schwarzen Humor angereichte Reflexion über die Existenz als Schauspieler; eine Meditation über das Streben nach Größerem und dem permanenten Ringen mit beißenden Selbstzweifeln, die nicht zuletzt aus oftmals zutiefst verletzenden Gegenüberstellung von Selbst- und Öffentlichkeitswahrnehmung keimen. Das Theater per se ist ein Ort, an dem sich Sündenbabel und Purgatorium kreuzen und die niemals stillstehende Kamera von Emmanuel Lubezki das kreiselnd-abtastende Instrument, welches sich durch die Eingeweide der Kunst bis in den wirren Kopf des ehemaligen Superhelden bohrt. Das polternde Drum-Arrangment, welches wie eine Lawine über die Tonspur rollt, akzentuiert nicht nur die formale Dringlichkeit von Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit), sie symbolisiert das Seelenleben der Protagonisten, die Ruhelosigkeit und die Mobilisierung letzter Willenskraft, den inbrünstig-schizophrenen Widerstand gegen die alles zerfressende Unbedeutsamkeit.
Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) ist ein Film über das Showbusiness, über die Mechanismen und das System hinter Starrummel und Werbetrommel, hinter medialen Eintagsfliegen und wahren Ikonen, was ihn vielerorts zum Eitelkeitsprojekt gemacht hat, welches sich an schierer Prätention weidet. Stattdessen aber ist Alejandro Gonzelez Inarritu die wohl virtuoseste Satire über die Unterhaltungsindustrie samt all seinen mannigfachen Abzweigungen seit langer, langer Zeit gelungen. Huldigung und Abgesang, preschende Komik und sensible Tragik, stehen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, Form und Inhalt gehen eine gar überwältigende Synthese ein, während Michael Keaton an forderster Front noch einmal unter Beweis, wieso man ihm so viele Jahre Unrecht getan hat Er ist eben doch ein hervorragender Darsteller, absolut fähig nuancierte Charakter-Profile anzulegen und auszuspielen. Genau wie es Edward Norton als manierierter Method-Actor Mike Shiner endlich mal wieder vergönnt war, in einem überaus gelungenen Film zu glänzen. Wundervoll.