Kritik: Carrie – Des Satans jüngste Tochter (USA 1976) | Neu in 4K

Eine Gastkritik von Marc Trappendreher

Carrie 1977 Film Kritik Trailer

“They’re all gonna laugh at you!”

Gottgläubige sind besessen, die erste Menstruation kommt in der Dusche, eine Schülerin kann mit Gedankenkraft Dinge bewegen und ein Schulball wird zum Massaker. Nachdem Brian de Palma im Horror-Musical Das Phantom im Paradies (1974) die Funktionsweisen der Unterhaltungsindustrie darlegte und in Schwarzer Engel (Obsession, 1976) seine große Liebeserklärung an den Film und an Alfred Hitchcock öffentlich machte, wandte er sich gänzlich dem Horrorgenre zu und drehte Carrie, basierend auf dem ersten Roman von Kultautor Stephen King. Obwohl es sich dabei um eine literarische Adaption handelt, ist Carrie ein sehr persönlicher Film, der viel über die Autorschaft Brian de Palmas verrät.

Wenn Schwarzer Engel ein Film über die filmischen Seelenverwandtschaften war, dann ist Carrie einer über die Blutsverwandtschaft: Die junge Carrie (Sissy Spacek) nämlich, ein unscheinbares Schulmädchen im Teenager-Alter, steht unter dem Einfluss ihrer dominanten und wahnhaften Mutter (Piper Laurie). Die streng im christlichen Glauben gefestigte Mutter erzieht ihre Tochter überaus repressiv, eine Praktik, die zunehmend mit den Wünschen und Bedürfnissen der pubertierenden Tochter in Konflikt gerät. Aber auch die Schule kann Carrie keinen gesunden Halt geben, da ihre Klassenkameraden und -kameradinnen sie gerne seelisch peinigen. Das introvertierte Mädchen lässt bald übernatürliche Kräfte erkennen, die in ein Blutbad münden.

Während Stephen King die Handlung seines Romans über eine ganze Stadt entfaltet, konzentriert sich Brian De Palma in seinem Film auf zwei Welten: Das Familienhaus und das Schulgelände. Die sehr überschaubaren und einengenden filmischen Räumlichkeiten korrespondieren so mit der seelischen Repression, die Carrie durchlebt. Ein unerwarteter Lichtblick bietet sich ihr, als der Schulschwarm Tommy Ross (William Katt) sie zum Abschlussball bittet. Doch in dieser zum Kult avancierten Filmszene wird aus der ausgelassenen Feier ein Alptraum. Die eifersüchtige Chris (Nancy Allen) will sich an Carrie rächen und stellt ihr eine Falle: Chris lässt einen Eimer voller Schweineblut über Carrie ergießen, um die frisch gewählte Ballkönigin so vor aller Augen zu demütigen. Von da aus inszeniert de Palma ein Horrorspektakel, das so viele filmische Nachahmungen erfahren hat, jüngst etwa in Coralie Fargeats The Substance (2024).

Diese nahezu simple Handlung würde nicht bis heute überdauern, wäre sie nicht von der eindrücklichen Formensprache Brian de Palmas durchzogen: Die Filmmusik von Pino Donaggio, die den berühmten Noten aus Bernard Herrmanns Komposition zu Psycho (1960) nachempfunden sind, prägt diesen Film neben den Soundeffekten maßgeblich. Sie vermag neben der Kameraarbeit den träumerischen Schwebezustand seiner Heldin während des Abschlussballs ebenso einzufangen, wie sie die unheilvoll-übernatürlichen Ereignisse mittels dissonanter Streichakkorde anzukündigen weiß. Auf der Bildebene kommen Zeitlupen, Zooms und Split Screens zum Einsatz – es sind die stilbildenden formsprachlichen Mittel, die zu de Palmas fester Handschrift wurden, Snake Eyes (1998) beispielsweise ist maßgeblich auf diesen Prinzipien aufgebaut.

De Palmas filmische Metapher über unterdrückte Sexualität ist nun im deutschsprachigen Raum erstmals in einer 4K-Fassung zu erwerben. In einer sorgsam gestalteten Aufmachung liegt der Film bei capelight als 3-Disc Limited Collectors Mediabook in einem hochwertigen Schuber vor. Die UHD-Blu-ray (mit Dolby Vision und HDR10) bietet eine sichtbare Steigerung der Bild- und Tonqualität gegenüber der Blu-ray-Fassung von 2013. Neben der 4K Blu-ray gibt es ein umfangreiches Bonusmaterial, sowie ein 36-seitiges Booklet mit einem Text von Fabian Stumm, der sachlich informiert über Dreharbeiten, Besetzung und Vermächtnis des Films berichtet.

Kinostart: 22. April 1977
Release 4K Blu-ray: 24. Oktober 2024
Verleih 4K Blu-ray: Capelight Pictures
Regie: Brian de Palma
Darsteller: u.a. mit Sissy Spacek, Piper Laurie und John Travolta
FSK-Freigabe: ab 16
Laufzeit: 1 St. 38 Min.

★★★★★★☆☆

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