"Joe – Die Rache ist sein" (USA 2013) Kritik – Kein Neuanfang ohne Gewalt

Autor: Pascal Reis

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„There’s nothing I can do and I hate it.“

Zuletzt beehrte uns mit Jeff Nichols „Mud – Kein Ausweg“ ein Film, der den intrinsischen Direct-to-DVD-Qualitäten um ein Vielfaches überlegen war. Der braungebrannte Matthew McConaughey („Dallas Buyers Club“) verkörperte darin den titelgebenden Mud, der sich auf eine verlassene Insel inmitten des Mississippi Delta zurückgezogen hat und schließlich von den jugendlichen Freunden Ellis (Tye Sheridan) und Neckbone (Jacob Lofland) entdeckt wird. Ellis akzeptiert Mud als eine Vaterfigur und zeigt sich fasziniert von den extremen Pfaden, die Mud bereit war der Liebe wegen einzuschlagen. Im Laufe der Geschichte lässt Jeff Nichols das idealisierte Menschen- und Weltbild von Ellis zerbrechen, er verhilft ihm dafür aber auch, ganz dem Coming-of-Age-Sujet entsprechend, die steinige Straße der Selbstfindung zu bestreiten. Nun kommt mit „Joe – Die Rache ist sein“ ein ähnlich angelegter Film, der uns allerdings nicht als Herbstfarben gehülltes Südstaatenmärchen empfängt, sondern unmissverständlich auf die Abwärtsspirale bereit macht, mit der sich die von Nicolas Cage und – Überraschung – Tye Sheridan gespielten Hauptprotagonisten arrangieren müssen.

Dass Regisseur David Gordon Green nicht nur für Brachialkomödien der Marke „Ananas Express“ einsteht, hat er erst mit seinem letzten Film „Prince Avalanche“ bewiesen, in dem Emile Hirsch („Killer Joe“) und Paul Rudd („Immer Ärger mit 40“) als ungleiches Duo durch ein verödetes Waldgebiet von Texas streifen, um die Fahrbahnmarkierung nachzuziehen. „Prince Avalanche“ war ein Film über Freundschaft und Neuanfang. Auch in „Joe – Die Rache ist sein“ könnte man genau diese beiden Themen als Haupttopoi der Handlung verstehen. Angesiedelt im White-Trash-Milieu, muss Gary jeden Tag mitansehen, wie sich sein unnützer Vater besäuft und die Familie misshandelt. Warum seine Schwester schon seit Jahren kein Wort mehr gesprochen hat, liegt wohl auf der Hand, wird im Film glücklicherweise aber niemals ausgesprochen. Dass Gary diesem Elend entfliehen möchte, um sich eine Chance auf einen höheren sozialen Stand zu verschaffen, offenbart sich daran, dass er sich wenigstens eine Arbeit sucht und schließlich auch bei Joes Arbeiterkolonne fündig wird, bietet ihm immerhin schon mal eine Perspektive.

Wer sich am Chaos-Acting des Nicolas Cage bereits sattgesehen hat, dem wird „Joe – Die Rache ist sein“ endlich eine angenehme Abwechslung bieten. Anstatt nämlich im Sekundentakt mit wilden mimischen Verrenkungen aufzuwarten, legt Cage seinen Ex-Sträfling Joe weitaus subtiler an und sieht sich nicht mal in den Wutausbrüchen, über die sich seine Figur nun mal auch charakterisieren lässt, dazu gezwungen, in übersteigerten Gestiken eine angemessene Ausdrucksmöglichkeit zu finden. Das Zusammenspiel mit dem Gary spielenden Tye Sheridan, der schon in „Mud“ veranschaulichte, das er seiner Zeit wohl weit, weit voraus ist, tut Cage sichtlich gut und fordert ihn geradezu hinaus, endlich mal wieder eine zurückgenommene, eine ernstzunehmende Performance abzuliefern. Und Joe und Gary sind auch Dreh- und Angelpunkt, weil sie sich gegenseitig brauchen, um ihrem Leben einen Sinn zu geben. Joe, natürlich ein Stereotyp, versucht ein Dasein in moralischer Integrität zu fristen, wird von den Dämonen seiner Vergangenheit aber immer wieder zu unkontrollierbaren Aggressionen gezwungen.

Joes Geduldsfaden reibt sich stetig auf, bis er irgendwann reißt. Dass diese Aggressionen aber nicht mehr nur Unschuldige erwischen, sondern Gary helfen könnten, sich aus dem familiären Gefängnis zu befreien, gibt Joe die Chance, seine Wut zu kanalisieren. In dem zuweilen elliptisch verschachtelten „Joe“ werden wir in ein trübes Austin gezogen, in dem Probleme mit Gewalt gelöst werden und auch der erstrebte Neubeginn, die Flucht aus dem sozialen Tiefbau, einzig durch Gewalt ermöglicht werden kann. Das ist reaktionär, weil es unkommentiert toleriert wird, und „Joe“ ist in jedweder Hinsicht abgedroschen und eigentlich schon lange komplett auserzählt. Es wäre allerdings eine Lüge, würde man postulieren, dass „Joe“ keine hervorragende Bildsprache besitzt, die eine ganz und gar hypnotische Aura absorbiert. Und das spielt dem Film, genau wie seine ziemlich guten Hauptdarsteller, in die Karten: Er ist mit Sicherheit nicht sinnstiftend, aber ungemein suggestiv, und seine Definition von Freundschaft wird auf einem gar besinnlichen Fundament platziert. „Joe“ thematisiert eine Welt, die verdorben und verlottert erscheint, versoffen und verbittert, doch eine gewisse Courage scheint immerhin noch existent.

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