They said you were brutal. – I can be.
Unter einer Plastiktüte scheint Joe, der Protagonist von Lynne Ramsays neuem Film A Beautiful Day, direkt zu Beginn seine letzten Atemzüge zu tätigen. Das schwere Schnaufen innerhalb kurzer Sekundentakte bedeutet für den bulligen, schweigsamen Mann allerdings nicht das Ende, denn plötzlich ist da wieder etwas, ein Geräusch oder ein kurzes Bild vor Joes geistigem Auge, das ihn ins Leben zurückpeitscht. Kurze Gedankenblitze und schockierende Erinnerungsfetzen aus Joes geschädigter Seele, die Kindheitstrauma, Kriegsschrecken und Tatort-Grausamkeiten umfassen, lässt die Regisseurin immer wieder wie kleine Splitter in die Handlung ihres Films einbrechen, der ohnehin wie die brüchige, fiebertraumähnliche Variante eines gewöhnlichen Action-Thrillers erscheint.
Darin spielt Joaquin Phoenix den gebrochenen Kriegsveteranen und Ex-FBI-Agenten, der sich mittlerweile nur noch von Privatpersonen für seine Dienste anheuern lässt. Bei seinen Jobs spürt Joe entführte Mädchen wieder auf und bringt sie nach Hause zurück, wobei er den Entführern auf Wunsch seiner Auftraggeber auch durchaus große Schmerzen zufügt. Schmerzen, die Joe offenbar regelmäßig geradezu zwanghaft auf sein Umfeld projizieren muss, da er von seinen eigenen psychischen sowie physischen Schmerzen ansonsten vollständig zerfressen und ausgelöscht wird. Kurze Momente der inneren Ruhe findet er scheinbar nur noch in Anwesenheit seiner älteren Mutter, mit der er zusammen wohnt und die auf seine liebevolle Unterstützung sichtlich angewiesen ist. Brillant spielt Joaquin Phoenix in seiner besten Schauspieldarbietung seit Paul Thomas Andersons The Master den todessehnsüchtigen Todesengel mit einer wuchtigen Präsenz, die konsequenterweise oftmals die gesamte Fläche der Leinwand für sich einnimmt. In kaum einer Szene lässt Lynne Ramsay ihren Hauptdarsteller mit der Kamera aus den Augen, wobei ihr der Protagonist hin und wieder zu entgleiten scheint, wie in einer Szene, in der Joe eben noch hinter einer vorbeifahrenden Bahn steht und im gleichen Augenblick einfach verschwunden ist.
Dieses schummrige Gefühl, zu existieren und doch immer wieder verschwunden zu sein, überträgt die Regisseurin mit hypnotischen Bildkompositionen und dem fantastischen Score von Jonny Greenwood auf das Wesen des gesamten Films, der sich als geradliniger Genrereißer verkleidet hat, um dahinter stattdessen ein gleichermaßen tragisches wie abgründiges Psychogramm der Hauptfigur anzufertigen. Auch sein neuester Auftrag, für den Joe die entführte 14-jährige Tochter eines Senators retten soll und die Spur eines Pädophilenrings aufnimmt, deutet Spannung und gewaltsam zelebrierte Zuspitzung an, die Lynne Ramsay aber schließlich widerwillig verweigert. Sobald Joe, der mit seinem massiven Körper, dem ungepflegten Vollbart und den langen, zerzausten Haaren sowieso nicht in das Bild des typischen Actionhelden passen mag, mit seinem Hammer bewaffnet zur Tat schreitet, bleibt der Kamera von Thomas Townend nie viel mehr übrig, als lediglich die brutalen Überreste oder die leblos auf dem Boden liegenden Körper, die der Protagonist hinterlässt, einzufangen.
So wird A Beautiful Day gewissermaßen zum kunstvoll vertrackten Anti-Thriller, in dem die Regisseurin konventionelle Spannungsmomente und actionlastige Einschübe subversiv aushebelt. Dabei hinterlässt sie nichts als Bruchstücke einer gequälten Seele, die wie ein lebender Toter über die Reste ihrer verblichenen Existenz wandelt und dem Leben trotzdem nicht entkommen kann. Immer wieder kommt es in dem Film zu Szenen, in denen die Hauptfigur und das entführte Mädchen namens Nina von 50 herunterzählen. Wie ein Countdown wirkt dieser Akt, als würde das Angelangen bei der Zahl 0 ein entscheidendes Ereignis einleiten. Dass dieses Ereignis allerdings ausbleibt, ist symptomanisch für Lynne Ramsays Film, der seinem Protagonisten eine Art finale Erlösung lediglich in Form eines bösen Scherzes spendiert, ehe die ungewisse Reise durch das Höllenreich namens Leben mit einem marginalen, aber ebenso schnell wieder verblassenden Hoffnungsschimmer fortgesetzt werden muss.
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