Eine Gastkritik von Jan Benz
I’ve lived a lot of lives… But I’m done running from my past.
Ursprünglich sah der Plan von MCU-Mastermind Kevin Feige vor, mit Black Widow in die vierte Phase des Franchise zu starten. Doch dann kam Corona und wirbelte die Pläne von Marvel ordentlich durcheinander. Statt im April 2020 erscheint Black Widow nun erst über ein Jahr später in den deutschen Kinos und parallel dazu auf Disney+, was für für einigen Ärger bei Kinobetreibern und zu Boykotten führte. Dadurch ist die vierte Phase bereits mit den ersten MCU-Serien um WandaVision und The Falcon and the Winter Soldier gestartet und Scarlett Johanssons Schwarze Witwe musste sich hinten anstellen. Das ist jedoch überhaupt kein Problem, denn das Timing der Pandemie dürfte für Marvel gar nicht so schlecht gewesen sein. So geht es nach dem großen, vorläufigen Finale nicht sofort wieder zurück zum “Business as Usual”, sondern es ist ganz angenehm, dass etwas Zeit nach dem großen Showdown vergangen ist. Wieso Black Widow letzten Endes trotzdem zu spät kommt und warum der 24. MCU-Film dennoch überraschend gelungen ist, erfährt ihr jetzt.
Black Widow ist zeitlich zwischen den Ereignissen von The First Avenger: Civil War und Avengers: Infinity War angesiedelt. Nach dem Streit innerhalb der Avengers und dem Sokovia-Abkommen, ist Natasha Romanoff (Scarlett Johansson) auf der Flucht und schlägt sich allein durch die Wildnis. Dort wird sie von ihrer Vergangenheit als Auftragskillerin eingeholt und es stellt sich heraus, dass Romanoff bereits vor den Avengers teil einer außergewöhnlichen Familie war. Zusammen mit ihrer Schwester Yelena (Florence Pugh) stellt sie sich ihrer düsteren Vergangenheit.
Der zeitliche Rahmen von Black Widow warf bereits im Vorfeld die Frage auf, wieso das Solo-Abenteuer von Natasha Romanoff erst jetzt erscheint. Tatsächlich hat auch der Film keine Antwort auf diese Frage (von der Abspannszene einmal abgesehen) und so muss man leider sagen, dass Black Widow schlichtweg zu spät erscheint. Eine Veröffentlichung vor den beiden Avengers-Filmen hätte auch aus dramaturgischer Sicht mehr Sinn gemacht, immerhin wäre durch die stärkere Charakterisierung ihrer bisherigen Nebenfigur im MCU, die Emotionalität ihres Ablebens in Avengers: Endgame deutlich größer gewesen. Gerade ein Tausch mit Captain Marvel kommt hier in den Sinn, immerhin wusste man mit der mächtigsten Heldin in den beiden Avengers-Filmen ohnehin nicht viel anzufangen. Doch sei’s drum, für das zweite weibliche Solo-Abenteuer im MCU geht es halt nochmal in der Zeit zurück. Die ersten Minuten des Films bestehen ohnehin aus einer längeren Rückblende in die Kindheit von Natasha. Dort lebte sie zusammen mit ihrer Schwester Yelena und ihren Eltern Alexei (David Harbour) und Melinda (Rachel Weisz) in Ohio und führte augenscheinlich eine recht unbeschwerte Kindheit. Doch der Schein trügt natürlich.
Diese Eröffnung und die anschließende Titelsequenz (inklusive einer außergewöhnlichen musikalischen Untermalung) sind die stärksten Minuten des Films. Die Rückblende ist dramatisch inszeniert und überzeugt mit ihrer Tragik, dazu sorgt die Titelsequenz für Gänsehaut. Zurück in der Gegenwart erinnert der Film an das Debüt der Russo-Brüder in The Return of the First Avenger. Black Widow entpuppt sich folglich als klassischer Agententhriller und kommt angenehm geerdet daher (zumindest für MCU-Maßstäbe). Dazu fällt die Tonalität überraschend ernst und düster aus, was für eine insgesamt gelungene Atmosphäre sorgt. Leider muss Black Widow aber auch die typischen MCU-Checkboxen ausfüllen und so schleichen sich im Mittelteil der Handlung zahlreiche humorvolle Momente ein, die nicht immer überzeugen können, meistens jedoch gut funktionieren. Später verabschiedet sich der Film von diesen Humoreinlagen und wird wieder ernster, und spätestens im Finale kehrt dann doch die gewohnte Bombastaction zurück, die man sich wirklich hätte sparen können. Nach dem exzellenten Start verliert Black Widow somit mit zunehmender Laufzeit immer weiter an Boden, was schade ist, denn dem Agententhriller hätte etwas mehr Zurückhaltung in Sachen Humor und Action besser zu Gesicht gestanden.
Dass Black Widow trotz allem gut unterhält, liegt zum einen an der soliden Inszenierung von Cate Shortland und an den (meist) gelungenen Effekten, vor allem aber an der tollen Schauspielriege. Mit den beiden Hauptdarstellerinnen Scarlett Johansson und der jungen Florence Pugh, sowie den hochkarätigen Nebendarsteller*innen um Rachel Weisz und David Harbour, geizt das MCU-Abenteuer nicht mit schauspielerischem Talent. Johanssons Abgesang auf ihre ursprünglich sehr sexistische Figur ist gelungen, Florence Pugh liefert ein vielversprechendes MCU-Debüt ab und Rachel Weisz und David Harbour sind zumindest in der deutschen Synchro gelungen. Die verzichtet nämlich auf den grausigen russischen Akzent der beiden, was gerade Harbours Charakter deutlich angenehmer macht. An dieser Stelle also eine seltene Empfehlung für die synchronisierte Variante. Der Film fokussiert sich dabei sehr auf die gelungene Dynamik innerhalb der vierköpfigen Familie, was aber dazu führt, dass die Charakteriserung des Bösewichts schwächelt. Die MCU-Filme haben bislang nur selten mit guten Antagonisten geglänzt und auch Black Widow bietet hierbei keine Ausnahme. Sowohl der schweigsame Taskmaster als Haudraufhalunke, als auch die Bedrohung des eigentlichen Bösewichts (der aus spoilergründen hier nicht verraten werden soll) bleiben ziemlich auf der Strecke. Da wäre definitiv noch mehr drin gewesen.
Interessant ist derweil die Abspannszene des Films. Diese ebnet nicht nur wie gewohnt den Weg für einen weiteren MCU-Ableger, sondern nimmt erstmals Bezug auf die MCU-Serien. Wer den Überblick im umfangreichen Franchise behalten will, kommt um die Disney+-Serien also nicht länger herum.
Fazit: Dafür, dass Natasha Romanoff nie der spannendste Charakter im MCU war, ist der Film überraschend gut gelungen. Black Widow startet ungemein stark und überzeugt als angenehm geerdeter Agententhriller, der, von einigen aufgesetzt humorvollen Passagen in der Mitte und dem typischen Bombastfinale einmal abgesehen, vor allem Fans des zweiten Captain America-Abenteuers ansprechen dürfte. Obwohl es dem Film, wie so oft, an einem guten Bösewicht mangelt, weiß die Dynamik innerhalb der vierköpfigen Familie zu überzeugen und Johanssons Abgesang auf ihren einst sexistischen Charakter ist durchaus gelungen. Lediglich das Timing des Films wirft Fragen auf, immerhin hätte Black Widow zwischen Civil War und Infinity War erscheinen müssen, davon hätte auch ihr Figurentod in Avengers: Endgame profitiert. Sehenswert ist ihr verspäteter Solo-Auftritt trotzdem!
Black Widow startet am 8. Juli deutschlandweit in den Kinos, ist ab dem 23. September auf DVD und Blu-ray* erhältlich und zu guter Letzt ab dem 6. Oktober im Disney+-Abo enthalten.
Hier geht es zum Trailer auf Youtube.
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