Kritik: Die feine Gesellschaft (FR 2016)

MALOUTE

Niemals werde ich mich an die Schönheit dieser Landschaft gewöhnen!

Der Franzose Bruno Dumont (Humanität) ist ohne Frage einer der mit Abstand interessantesten Filmemacher, die das qualitativ hoch kompetitive, gegenwärtige französische Kino hervorgebracht hat. Philosoph, Poet, Gesellschaftsanalytiker und Meister des Kinos der Absurditäten sowie des abstrusen Humors – Bruno Dumont vereint in seinen Filmen viele Qualitäten in seinem ungewöhnlich-außergewöhnlichen Erzählstil. Dumont prägte hierbei beispielsweise so sehr, wie nur wenige seiner ebenfalls umstrittenen Kollegen, darunter Gaspar Noé (Irreversibel) oder der frühe Francois Ozon (Criminal Lovers), das sogenannte “Cinéma du corps” (Kino der Körper). Besonders auf die Spitze trieb Dumont all das 2003 in seinem naturalistischen Extremfilm Twentynine Palms, einem ebenso herausfordernden wie einmaligen Roadtrip-Erlebnis.

Im Vergleich dazu wirken Dumonts aktuelle Regieeinfälle geradezu zugänglich, wobei Kindkind (2014), eine 206-minütige Coming-of-Age-Hinterwälder-Krimikomödie, sowie nun auch Die feine Gesellschaft kaum weniger Geduld und Interesse für abseitiges Kino vom Zuschauer abverlangen, wie Dumonts bisherige Arbeiten. Wer sich auf Dumonts Brüche mit Sehgewohnheiten jedoch einlässt, der wird mit spektakulären cineastischen Erlebnissen belohnt, wie es sie inzwischen nur noch selten auf der großen Leinwand zu bestaunen gibt.

In dieser Hinsicht ist auch Die feine Gesellschaft wieder wie für’s Kino gemacht – allem voran dank der wundervoll-malerischen Kameraaufnahmen der Normandieküste, welche hier als alleiniger Handlungsschauplatz dient. Im Jahr 1910 angesiedelt, erzählt Dumont nach Kindkind erneut eine skurille Krimikomödie, wobei er sich thematisch wieder einmal in komplett neuen Gefilden bewegt, in denen eine gut betuchte, bourgeoise Großfamilie auf eine nicht weniger Mitglieder umfassende proletarische Kannibalen-Familie trifft. Zwischen diesen beiden Fronten versuchen dann ausgerechnet zwei trottelige, in bester Dick und Doof Manier agierende, Kriminalbeamte eine Lösung für das Rätsel, wo so manch verschwundener Urlauber abgeblieben ist, zu finden.

Wer nun mit Dumonts absurden Einfällen noch nicht vertraut ist: Eine Romeo und Julia-artige – oder doch eher die Schöne und das Biest? – Liebesgeschichte darf bei der gänzlich verrückten Ausgangssituation natürlich ebenso wenig fehlen, wie die Crème de la Crème der französischen Schauspielkunst, darunter die gewohnt großartige Juliette Binoche (Drei Farben-Trilogie), sowie der ebenso herausragende Fabrice Luchini (In ihrem Haus). Besser als die beiden hätte wohl niemand in diese aberwitzig-burleske Umwelt gepasst. Mit all ihrer Erfahrung führen die beiden zudem das restliche Cast zu nicht minder begeisternden schauspielerischen Leistungen.

So zeichnet Die feine Gesellschaft, je weiter die Handlung fortschreitet, nach seiner ganz eigenen Fasson ein nachdenklich machendes Bild über soziale Klassenunterschiede und das Ende der Belle Époque, lässt es sich jedoch auch nicht nehmen, die Widersprüchlichkeiten der westlichen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts auf die Schippe zu nehmen. So simpel die Handlung anfangs anmutet, weshalb es auch ein wenig braucht, bis der Film in Fahrt kommt, Dumont ist und bleibt ein präziser Beobachter und hält uns einen Spiegel vor, der bis zum feinsten Sandkorn ein in liebevollen Details in Szene gesetztes, poetisches und schrill-schräges Abbild der nur selten Sinn ergebenden gesellschaftlichen Brüche zeigt. Alles wird von der großen Frage überschattet: “Warum das alles?” Hoffnungslose Romantiker (Binoche lässt es sich nicht nehmen permanent darauf hinzuweisen, wie “pittoresk” die Dünenlandschaften doch seien) kollidieren mit eiskalten Realisten, denen nur das eigene Überleben wichtig scheint. Und wieso die Welt so absurd ist, wie sie ist, darauf gibt Dumont dann glücklicherweise keine banalen Antworten, sondern überlässt den am Ende verwirrten Zuschauer seinen Gedanken.

Alles in allem hat Bruno Dumont schon lange sein ganz eigenes Kino geschaffen und Die feine Gesellschaft stellt in Dumonts Œuvre eine weitere Grenzerfahrung und schon jetzt einen der ungewöhnlichsten Filme des Kinojahres dar. Dumont beschert uns nach Kindkind erneut eine minimalistische, jedoch überwältigend inszenierte, surreale und eigensinnige Krimikomödie, die sich, obwohl die Handlung zum Anfang des 20. Jahrhunderts spielt, auf grandios-groteske und immer wieder zum Brüllen komische Weise mit den Widersprüchlichkeiten unserer modernen Gesellschaft auseinandersetzt. So wie ich, hätte wohl auch Luis Buñuel mit diesem Film eine Menge Spaß gehabt.

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