Kritik: Dunkirk (USA, GB 2017)

© Warner Bros.

– You can practically see it from here.

– What?

– Home.

Dunkirk. Genauso einfach und ungeschmückt wie mit dem Titel hält Christopher Nolan (Interstellar) es auch mit der Handlung seiner 10. Regiearbeit. Ein paar Zeilen erklären uns die wahre, ausweglose Situation – 1940 sind knapp 400.000 britische Soldaten am Strand von Dünkirchen von der gegnerischen Armee eingekesselt, der einzige Fluchtweg ist der Atlantik – und schon sind wir mitten drin im Überlebenskampf. Und in diesem Kampf, am Strand, auf dem Meer und in der Luft darüber, bleiben wir auch. Nolan verweigert uns den Blick über den Ärmelkanal auf Churchills Zentrale in London, zu den französischen Generälen oder nach Deutschland. Selbst die deutschen Soldaten sehen wir, wenn überhaupt, nur verschwommen – immer wieder scheinen sich Kugeln aus dem nichts zu materialisieren. Zum einen entsteht dadurch eine wahnsinnig-klaustrophobische Spannung, bei der es keinen Raum und keine Zeit zum Durchatmen gibt, zum anderen ist uns damit glücklicherweise eine vierte Darstellung Churchills innerhalb eines Jahres (John Lithgow in The Crown, Brian Cox in Churchill und Gary Oldman in Darkest Hour) erspart geblieben.

Hinter Dunkirk verbirgt sich die wahre Geschichte der bis dahin größten Rettungsaktion der Weltgeschichte, Operation Dynamo. 1940 wurden 330.000 alliierte Soldaten per Schiff, darunter auch viele Fischkutter und Privatboote, vom besetzten Frankreich nach England evakuiert. Währenddessen drohte der Vormarsch deutscher Truppen, Angriffe aus der Luft und Torpedos aus dem Wasser. Der Erfolg der gefährlichen Aktion machte es erst möglich, dass Großbritannien den Krieg gegen Deutschland weiterführen konnte, da die britische Armee einen größeren Verlust nicht verkraften hätte können.

Vor einer bedrohlichen, immerwährenden Geräuschkulisse entfernter Schüsse und Explosionen folgen wir zunächst einer Gruppe junger, britischer Soldaten, die verloren durch das verlassene Städtchen Dünkirchen wandern. Am Anfang sind es fünf, doch als sie plötzlich unter Beschuss kommen, fällt einer nach dem anderen und am Ende erreicht bloß einer den Strand. Gemäß dem Ausschlussverfahren ist das also unser Protagonist. Auf dem Strand reihen sich die Briten nach Rang auf, in der Hoffnung auf eines der wenigen Schiffe zu gelangen. Tommy (Newcomer Fionn Whitehead) sucht zusammen mit dem Soldaten Gibson (Aneurin Barnard) einen anderen Weg, irgendwie schnellstmöglich von dem Strand weg zu kommen.

Diese ersten Sequenzen kommen fast ganz ohne Dialoge aus. Tommy und Gibson, später zusammen mit Alex (Harry Styles, Frontmann von One Direction), haben nichts zu besprechen, denn sie wollen beide nur überleben. Auch Tom Hardy (als Pilot), der wohl größte Star in diesem Film voller unbekannter Jungdarsteller, nuschelt nur unverständlich in seine Fliegermaske. Viel muss uns auch nicht erklärt werden, was nicht schon im Eröffnungstext des Films stand. Die nötigste Exposition liefert Kenneth Branagh (Kommissar Wallander), dessen Commander als einsame Figur auf dem Steg gebannt auf den Horizont starrt und auf weitere Schiffe hofft. Und trotzdem dauert es nicht lange, bis wir diese Figuren kennen und um ihr Überleben bangen. Dass Nolan konsequent auf eine klassische Einführung der einzelnen Figuren verzichtet und seinen Film nicht mit Dialogszenen belastet, die uns die Helden näherbringen sollten, trägt ungemein viel zu der angespannten Atmosphäre bei. Als Gegenbeispiel könnte man sich an Gravity erinnern, wo erst Zeit mit den Hauptfiguren und unnötigem Gequatsche (George Clooneys Figur mag Country Musik!) und Hintergrundinformationen verbracht wird, bevor die Achterbahnfahrt weitergehen kann. Es ist erfrischend zu sehen, wie einem als Zuschauer zugetraut wird, dass man sich mit einer Figur auch identifizieren kann, ohne deren Hobbys und Familienbaum zu kennen.

Bei Nolans letzten Filmen ist es erstaunlich, dass er sich hier nicht mehr in Momenten großer Gefühle verliert. Wo man in Interstellar stellenweise noch in pathosgeladener Orgelmusik und McConnaughey-Tränen ertrunken ist, geht es in Dunkirk etwas gemäßigter zu. Daran hält sich dieses Mal auch Hans Zimmer, dessen Musik größtenteils auf Bombast verzichtet und mit brutalen Bässen die Dringlichkeit und Angst der Soldaten vermittelt. Vereinzelt können jedoch auch kleine Triumphe gefeiert werden, bei denen Nolan uns durchatmen und etwas Hoffnung aufkommen lässt. Mark Rylances (Bridge of Spies) Figur, der mit seinem Sohn (gespielt von Newcomer Tom Glynn-Carney) und seinem Segelschiff für die Evakuierungsaktion in den Krieg fährt, hat am meisten tragisches Potential. Doch auch hier geht der Film nicht über Bord, sondern baut weiterhin Spannung auf und spricht vieles nicht aus, was man auch so versteht. Verglichen mit seinen anderen Filmen, vor allem mit seiner Batman-Trilogie, ist der ganze Film so bemerkenswert zurückhaltend und selbstsicher inszeniert. Es gibt keine offenen Fragen, keine tonalen Unstimmigkeiten.

Ähnlich wie „Gravity“ bietet auch Nolan mit IMAX Technologie ein großes Kinospektakel. Doch statt Digitalkameras, Motion-Capture und 3D, setzt Nolan auf 65mm Filmaufnahmen (75 Prozent des Films wurde in dem Großformat gedreht!), echte Drehorte, und echte Schiffe und Flieger. Nolan macht hier sogar Quentin Tarantino seinen Titel als größter CGI-Hasser streitig, denn bei dem Dreh wurden neben Statisten auch Soldaten aus Pappkarton gesichtet. Was dabei für Bilder entstehen ist natürlich um einiges beeindruckender als jegliche VFX-Zauberei, die wir gewöhnlich in großen Blockbuster sehen. Und es ist erfreulich zu sehen, dass Warner Bros. 150-Millionen-Dollar-starke Vertrauen in Nolan auch an den Kinokassen belohnt wurde. In Deutschland werden die 70mm Filmkopien leider nur in 4 Kinos gezeigt (der Zoopalast in Berlin ist eines davon), was wirklich bedauernswert ist. Wer die Chance hat den Film in einem dieser Kinos zu sehen, sollte das unbedingt tun. Nicht nur der Filmerfahrung wegen, sondern auch, um ein Zeichen zu setzten, um diese Art des Filmemachens zu unterstützen.

Dunkirk startet am 27. Juli 2017 in den deutschen Kinos

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=_cmgiys2n1o]

1 Comment

  • DUNKIRK ist einer dieser Film, die zuhause auf DVD oder unterwegs auf dem kleinen Handybildschirm absolut keinen Sinn machen. Es braucht die große Leinwand, die Boxen aus denen die Musik dröhnt. Die Musik von Hans Zimmer ist sehr dominant, doch sie muss es auch sein, da wenig gesprochen wird und vieles nur durch Gesten ausgedrückt wird.

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