"Ruhet in Frieden – A Walk Among The Tombstones" (USA 2014) Kritik – Wie schwer wiegt die Schuld?

Autor: Pascal Reis

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„Let her go or you’ll to be looking behind you for the rest of your worthless life.“

Als Drehbuchautor hat sich Scott Frank unlängst in Hollywood etabliert und seine Skripts zu Barry Sonnenfelds „Schnappt Shorty“ oder Steven Spielbergs „Minority Report“ veranschaulichen sein Talent in Sachen Plot-Konstruktion und Charakter-Entwicklung wohl vorbehaltlos. Mit seiner ersten Regiearbeit „Die Regeln der Gewalt“ von 2007 stellte Frank dann simultan zu seinen Fähigkeiten als Schreiberling unter Beweis, dass er auch als Regisseur nicht unbedingt hilflos agiert, sondern mindestens dazu in der Lage ist, einen überdurchschnittlichen Thriller um Schuld und Sühne zu modellieren. Danach sollten sieben lange Jahre ins Land streichen, bis sich Scott Frank wieder dazu entschlossen hat, ein Projekt unter seiner Ägide zu nehmen. Die Wahl fiel schlussendlich auf den sich sehr an der Stilistik des Film Noir weidenden „Ruhet in Frieden – A Walk Among The Tombstones“, in dem Frank erneut die zentrale Motive seiner ebenfalls mit düsteren Noir-Anleihen bedachten Erstlingsarbeit thematisiert: Schuld, Sühne und Läuterung.

Wo Joseph Gordon-Levitt in „Die Regeln der Gewalt“ nach einem tragischen Unfall in Selbstvorwürfen zu versinken drohte und einen gefestigtes Tagesablauf wie Nervenkostüm einzig als zermarterndes Lügengeflecht simulieren konnte, steht in „Ruhet in Frieden – A Walk Among The Tombstones“ nun Liam Neeson in der Pflicht. Da es sich hierbei um die gleichnamige Lawrence-Block-Adaption handelt, werden sich Kenner der Vorlage schnell darüber im Klaren sein, dass Liam Neeson selbstredend in der Rolle des Matt Scudder fungieren wird. Und genau diese Besetzung ist ein Segen. Nicht, dass Liam Neeson in Filmen wie „96 Hours“, „The Grey – Unter Wölfen“ oder „Non-stop“ versagt hätte, im Gegenteil, er hat all diesen Werken seinen charismatischen Stempel aufgedrückt, doch es wurde einfach mal wieder höchste Zeit, die versierten Kampfattribute zurückzustellen und – wie schon in „The Grey – Unter Wölfen“, wenn auch unter anderen Gesichtspunkten – einen gebrochenen und mit sich selbst hadernden Charakter zu verkörpert, dem die Knarre auch mal was der Hand rutschen kann.

Liam Neeson verfügt über eine ungemeine Ausstrahlungskraft und ist ein so begnadeter Darsteller, dass er sich in seinem Rollentypus nicht nur auf eine Marschroute konzentrieren muss, er versteht es eben auch, selbst der omnipotenten Kampfmaschine sensible Facetten anzuheften. In „Ruhet in Frieden – A Walk Among The Tombstones“ ist Neeson jedoch Lichtjahre davon entfernt, ein Bataillon von gesichtslosen Gegnern mit den bloßen Händen auszuschalten. Sein Matt Scudder ist ein ehemaliger Cop, der nach einem schrecklichen Zwischenfall den Dienst quittierte und sich als Detektiv ohne Lizenz, aber mit leicht gräulichen Moralkompass über Wasser zu halten versucht. Die Schuld vergangener Jahre lastet schwer auf seinem Rücken und das ausgezehrte Gesicht, die müden Augen Neesons verraten dem Zuschauer, dass dieser Mann immer noch auf der Suche nach einem Ventil für seine Wiedergutmachung ist – Und dafür selbst die Selbstaufopferung in Kauf nehmen würde. Alles, was ihm bisher noch bei Seite stand, war die Dreifaltigkeit eines Privatschnüfflers: Geduld, Instinkt und Glück.

Aber welche Rolle kann Glück schon spielen, wenn wir es mit einem solch fatalistischen Gefüge zu tun bekommen, wie es „Ruhet in Frieden – A Walk Among The Tombstones“ konstruiert. Das Individuum hat vielleicht eine Chance, den Verlauf des Schicksals marginal zu sabotieren, doch um ein solches Vorhaben gekonnt umzusetzen, kommen die meisten von ihnen schlichtweg zu spät – Damit schließt sich der Kreis. Sicher kommt auch „Ruhet in Frieden – A Walk Among The Tombstones“ nicht ohne Fehler aus, allein der von Brian Bradley gespielte Sidekick TJ besitzt keinerlei dramaturgisches Potenzial und missfällt eher als vorlauter Klotz der Narration. Scott Frank setzt in seiner detektivischen Kriminalarbeit aber auf die bedachten Mittel der alten Schule und lässt Liam Neeson mit grüblerischer Mine durch das triste Stadtporträt streichen, kombinieren, antizipieren, herantasten und den bestialischen Tatbestand im Dialog durch perspektivische Variabilität entschlüsseln. Die Stilblüten des Film Noir sind präsent, New York ist ein verlottertes, nihilistisches Pflaster kurz vor dem Millennium. Kurz bevor die Sonne vielleicht zum letzten Mal untergehen wird, versucht Matt Scudder seiner Weste noch einmal reinzuwaschen.

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