– gesehen im Rahmen der 80. Filmfestspiele von Venedig 2023 –
Stick to your plan.
“Le Tueur”, die gefeierte französische Graphic Novel-Serie von Matz und Luc Jacamon, hat seit ihrer Erstveröffentlichung im Jahr 1998 die Leser mit ihrer düsteren Noir-Ästhetik in ihren Bann gezogen. Besonders geschätzt wird die Vorlage für ihre realistische Darstellung von Gewalt und die komplexe Psyche ihres namenlosen Profikillers, der mit äußerster Sorgfalt seine Aufträge ausführt. Eine ideale Grundlage also für David Fincher, der ebenfalls für seinen unerbittlichen Perfektionismus bekannt ist. Dazu kommt, dass er sich schon lange im Bereich der düsteren und psychologisch anspruchsvollen Thriller bewiesen hat (Sieben, Zodiac).
Ich selbst bin nicht der größte Fincher-Fan, seine letzten Regiearbeiten wie Verblendung, Gone Girl und Mank ließen mich gar vollkommen unbekümmert zurück. Trotzdem war ich gespannt, wie er, immerhin auch ein Verehrerer von Jean-Pierre Melville (Der eiskalte Engel), nun mit dem Streben nach Perfektion umgehen und gleichzeitig der Graphic Novel Vorlage gerecht werden würde.
Die Antwort ist: Größtenteils stellt Der Killer nicht zufrieden. Und das, obwohl der Film mit einer Szene startet, die Alfred Hitchcock (Das Fenster zum Hof) sowie auch Melville alle Ehre macht. Fincher schildert minutiös die langwierigen Vorbereitungen des namenlosen Killers (grandios Michael Fassbender) für einen Auftragsmord. Mitten in Paris soll er sein Ziel aus einem Gebäude auf der anderen Straßenseite ausschalten. Doch er ist einwandfrei vorbereitet, technisch wie auch mental. Dass nur eine Millisekunde den Unterschied macht und die Tötung scheitert, ist für ihn jedoch ebenso überraschend wie neu. Was nun? Erst einmal begibt er sich auf die Flucht – immerhin war er für den Ernstfall gewappnet, um auf eine solche Situation reagieren zu können.
Wie Fincher diese gesamte Passage umgesetzt hat, ist meisterhaft. Ähnlich wie einst Melville, reduziert er die Inszenierung bis zur Flucht des Killers aus Paris auf das Wesentliche. Auf eine mit grau-grünen, kargen Bildern reduzierte Pariser Nobelgegend. Alain Delons Gesicht diente einst als Spiegel seiner Umwelt. Fincher hingegen lässt seinen Killer innere Monologe führen, und dieser Ansatz erweist sich anfangs als äußerst gelungen.
Im weiteren Verlauf trampelt der Neo-Noir-Thriller bedauerlicherweise größtenteils auf bereits ausgetretenen Pfaden. Das Scheitern des Killers soll bestraft werden und natürlich vergehen sich deshalb andere Killer im Namen des Auftragsgebers an seiner Freundin. Dies führt zu einem altbekannten Rachefeldzug, den wir zuletzt im Kino bis zur ermüdenden Repetitivität (John Wick – Kapitel 4) erlebt haben. Um dem konventionellen Handlungsverlauf zusätzliche Dynamik zu verleihen, verlagert sich die Geschichte an verschiedene Schauplätze, darunter New York und die Dominikanische Republik.
Das kommt nach filmischen Weltreisen anderer Agenten und Killer (James Bond, Jason Bourne, Ethan Hunt) im Vergleich nur wenig erinnerungswürdig daher. Die anfänglich cleveren internen Dialoge (Voiceovers) bleiben durchgehend erhalten, entwickeln sich jedoch eher zu einem Running Gag mit vermeintlich klugen Ratschlägen, wie man in der heutigen Welt überleben kann. “Stick to the plan. Anticipate, don’t improvise. This is what it takes, if you want to succeed.”
Wer hier Fincher noch zu verteidigen versucht, der nichts als abgedroschene Phrasen (vermutlich aus der Vorlage, diese habe ich nicht gelesen) bis zum Erbrechen wiederholt, bei dem muss der Anspruch schon sehr niedrig sein. Und daher gibt es heutzutage auch nur noch selten außergewöhnliche Film noirs zu sehen. Wenn offensichtliche Amazon-Werbung (alles, was der Killer für einen Einbruch benötigt, lässt sich dort selbstverständlich problemlos erwerben) als ironischen Kommentar versteht, der spielt Fincher nur in die Hände. Der Killer ist größtenteils äußerst banal und inhaltlich nur wenig ergiebig, auch wenn das Drehbuch vorgibt äußerst clever zu sein.
Der Killer hat in Wahrheit nicht viel über die leistungsorientierte, nach Perfektion strebende westliche Gesellschaft zu sagen. Es geht nur um simpelste Unterhaltung in Form von klischeehaften Genreversatzstücken. Es liegt vor allem an Michael Fassbender, dass der Film noch teilweise packt. Sein Killer könnte seine Figur aus Shame sein, nachdem diese im Auftragsmord ihre neue Bestimmung gefunden hat. Es ist übrigens der weit bessere Film mit Fassbender über unsere moderne Gesellschaft.
Fazit: Nach einem ebenso hitchcockesken wie melvilleschen Start verliert sich David Finchers neuester Thriller in einem allzu gewöhnlichen Racheplot, der der John Wick-Reihe alle Ehre macht. Der Killer ist zwar weiterhin durchgehend fabelhaft inszeniert, doch das einzige, was der Film über unsere Gegenwart zu sagen hat, wird dann auch noch immer und immer wieder betont. Man kann sich Der Killer mal ansehen, aber er könnte genauso gut, wie zuletzt Finchers Mank, im riesigen Netflix-Dschungel in Vergessenheit geraten.
Der Killer läuft ab dem 26. Oktober 2023 für kurze Zeit im Kino und ist ab dem 10. November 2023 exklusiv bei Netflix zu sehen. Hier geht’s zum Trailer.
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