2016 war ein schwaches Kinojahr und dies für mich gleich in doppelter Hinsicht: Zum einen hatte ich aus persönlichen Gründen nie die nötige Zeit, um regelmäßig in die wohlig-realitätsverweigernde Heterotopie des Kinos zu entgleiten, und zum anderen haben mich die Veröffentlichungen 2016 auch seltsam unberührt zurückgelassen. Sicher, ich habe massig Filme verpasst und garantiert befanden sich unter diesen auch ein paar echte Perlen, doch irgendwie hatte ich in diesem Jahr selten das Gefühl, wirklich etwas verpasst zu haben (die Bestenlisten meiner CF-Kollegen sollen meine Worte Lügen strafen). Nichtsdestotrotz habe ich mich dem Kino natürlich nicht gänzlich verweigern können und möchte euch nun meine persönliche Top 10 des Kinojahres vorstellen.
Bevor es losgeht noch eine kurze Anmerkung zu 2017: Dass nächstes Jahr mal wieder alles nur besser werden kann/soll/wird, steht erwartungsgemäß natürlich außer Frage, dennoch würde ich mir, als ein Kinogänger der auch dem Kino-Bombast einiges abgewinnen kann, für das kommende Jahr doch eine Sache wünschen: Ich will wieder mehr Qualität im Blockbuster-Kino sehen, denn 2016 war in dieser Hinsicht so schrecklich öde. Disney-Marvel inszeniert seine Superhelden inzwischen nur noch nach Formel X, DC hat mit dem Suicide Squad den Anti-Film des Jahres ins Rennen geschickt und mit Warcraft: The Beginning und Assassin’s Creed wurde die Unverfilmbarkeit von Videospielen aufs Neue belegt. Mit Alien: Covenant, Guardians of the Galaxy Vol.2, Justice League oder dem Spinnenmann-Reboot Spider-Man: Homecoming erwarten uns im nächsten Jahr einige Kracher, in die ich echte Hoffnung lege. In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein gutes Kinojahr 2017!
Lobende Erwähnungen:
Green Room (Jeremy Saulnier), Paterson (Jim Jarmusch), The Hateful 8 (Quentin Tarantino), Batman v Superman: Dawn of Justice (Zack Snyder), Divines (Uda Benyamina), La isla mínima – Mörderland (Alberto Rodríguez)
Leider noch nicht gesehen:
Love & Friendship (Whit Stillman), Right Now, Wrong Then (Hong Sang-soo), Train to Busan (Yeon Sang-ho), American Honey (Andrea Arnold), Raum (Lenny Abrahamson), Mustang (Deniz Gamze Ergüven)
Platz 10: Der Nachtmahr
von Akiz mit Carolyn Genzkow, Sina Tkotsch und Wilson Gonzalez Ochsenknecht
Regisseur Akiz serviert uns mit Der Nachtmahr einen wunderbar dreckigen Drogen-Horrortrip, verortet irgendwo zwischen E.T. und Eraserhead, und zeigt damit, dass das deutsche Genre-Kino lebt. Zwischen biederem Berliner Vorstadtvillaleben und verstrahlten Nachtklubs entspinnt sich hier ein hypnotisches Filmgeflecht, das zwar keineswegs frei von Makeln ist, dennoch aber ambitioniert und experimentierfreudig genug, um sein Publikum stets zu fesseln.
Platz 9: Psycho Raman
von Anurag Kashyap, mit Nawazuddin Siddiqui und Vicky Kaushal
Psycho Raman ist ein Pulverfass von einem Film. An der Seite des fantastisch-furchterregenden Nawazuddin Siddiqui, der sich als sadistischer Serienmörder Ramanna hier ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel mit dem drogensüchtigen Cop Raghavan (Vicky Kaushal) liefert, wird der Zuschauer in die Abgründe des menschlichen Daseins mitgenommen. Psycho Raman ist ein unangenehmer Rausch und hat wohl einige der intensivsten Szenen des des Kinojahres zu bieten.
Platz 8: Star Trek Beyond
von Justin Lin mit Chris Pine, Simon Pegg und Zachary Quinto
Sich letztes Jahr noch über die ganzen Star-Wars-Fans beschweren, die Star Wars: Episode VII trotz Innovationsarmut in ihre Bestenlisten aufgenommen haben und jetzt den neuen Star Trek trotz einiger (offensichtlicher) Mängel in die eigene Top 10 einschmuggeln. Das sieht man gerne. Und wisst ihr was, es ist mir egal! Star Trek Beyond gibt mir das wohlige Gefühl nach Hause zu kommen, denn die dritte Installation des Serien-Neustarts ist eine wunderbare Hommage an die klassischen Werte der Science-Fiction-Reihe. Insbesondere Drehbuchautor Simon Pegg gebührt dabei mein Dank, denn dieser lässt im actiongeladenen Script genügend Freiraum für das Zwischenmenschliche, kann der Crew Leben einhauchen und somit dem Geist von TOS gerecht werden.
Platz 7: The Nice Guys
von Shane Black mit Ryan Gosling und Russell Crowe
Für mich eine der größten Überraschungen des Kinojahres. Shane Blacks temporeiche und herrlich schwarzhumorige Kriminalkomödie The Nice Guys ist ein Fest für jeden Liebhaber verschrobener Buddy-Filme und lebt insbesondere von der Chemie des Duos Gosling/Crowe, die als ungleiches Ermittlerpaar hier glänzend harmonieren. Gerne mehr davon!
Platz 6: In den Tiefen des Infernos
von Werner Herzog & Clive Oppenheimer
Werner Herzog begibt sich für In den Tiefen des Infernos in die Hölle auf Erden: Den Bildern des Hieronymus Bosch gleich, fängt Regie-Veteran Herzog die unbarmherzige Kraft jener Vulkane ein, die Niedergang und Quell des Lebens zugleich sind. Gemeinsam mit Vulkanologen Clive Oppenheimer versucht der passionierte Filmemacher dabei stets, der mythologischen Faszination der Vulkane auf die Spur zu kommen. In den Tiefen des Infernos ist eine wunderbare Dokumentation in kraftvollen Bildern und von träumerischer Qualität, die uns einige der visuell eindrucksvollsten Kino-Momente des Jahres beschert hat.
Platz 5: Arrival
von Denis Villeneuve mit Amy Adams und Jeremy Renner
Denis Villeneuves Ausflug in die klassischen Sci-Fi-Gefilde ist das wohl beste Gedankenspiel zum Thema Erstkontakt, das man bisher im Kino bestaunen konnte, denn Arrival setzt genau dort ein, wo die meisten ähnlich verorteten Filme aufhören. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Kommunikation mit erdfremden Lebewesen einstellen würden, wurden noch nie so detailliert ausgeführt. Arrival ist ein wahrer Leckerbissen für Linguistik-Fetischisten, der letztlich sogar unsere eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten (auch im Hinblick auf unsere Kino-Sehgewohnheiten) hinterfragt. Blade Runner 2049 kann von mir aus kommen 🙂
Platz 4: Toni Erdmann
von Maren Ade mit Sandra Hüller und Peter Simonischek
Alle Welt spricht über Toni Erdmann – und das zu Recht. Maren Ades wunderbare Dramödie ist eine herrlich schräge Achterbahnfahrt der Gefühle, ein groteskes aber dennoch sehr treffsicheres Spiegelbild unserer schnelllebigen Gesellschaft und der wahrscheinlich beste deutsche Film seit einer gefühlten Ewigkeit. Deutsches Kino kann so mutig, so herrlich anders sein, danke Maren Ade!
Platz 3: The Neon Demon
von NWR mit mit Elle Fanning und Jena Malone
Ein visueller Rausch, eine Verbeugung vor den klassischen Giallo-Filmen und eine Abrechnung mit der menschenverachtenden Modelindustrie: Nicolas Winding Refns The Neon Demon ist ein pulsierender Horrorthriller, dem in seinen besten Momenten tatsächlich der Spagat zwischen Dario Argentos skurrilem Farbentanz „Suspiria“ und der Künstlichkeit einer albtraumhaften Heidi-Klum-Topmodel-Inszenierung gelingt. The Neon Demon ist ein Tanz auf einem blutverschmierten Neonröhren-Laufsteg, der durch den treibenden Soundtrack von Cliff Martinez noch an hypnotischer Kraft gewinnt.
Platz 2: Anomalisa
von Duke Johnson und Charlie Kaufman
Mal Bock auf einen richtigen Downer? Duke Johnson und Charlie Kaufman servieren uns mit Anomalisa einen schrecklich lebensnahen Stop-Motion-Animationsfilm, der stets die Freude an der Liebe und dem Leben sucht und den Zuschauer mit unverhohlener Härte wieder in die graue Alltäglichkeit zurück befördert. Anomalisa ist wohl Kaufmans lebensfeindlichster Film und wird daher wohl nicht nur auf Gegenliebe stoßen. Der Einblick in das Gefühlsleben des von Depressionen und Selbstzweifeln gebeutelten Ratgeberautor Michael Stone (Stimme im Original: David Thewlis) ist ein kafkaesker Abgesang auf die Individualität, dabei aber von einer so stechenden zynischen Wahrheit und mit einer in jeder Szene sichtbaren Liebe zum Detail entworfen, dass man den Film letztlich einfach lieben muss.
Platz 1: The Revenant – Der Rückkehrer
von Alejandro González Iñárritus mit Leonardo DiCaprio und Tom Hardy
Alejandro González Iñárritus eindringliches Survival-Drama The Revenant ist mein unangefochtener Spitzenreiter in diesem Kinojahr. Ich könnte stundenlang von Emmanuel Lubezkis fantastischer Kameraarbeit oder den Soundtrack von Ryuichi Sakamoto und Alva Noto preisen. Der Knackpunkt ist für mich jedoch ein anderer: The Revenant hat für mich Kino mal wieder körperlich erfahrbar gemacht. DiCaprios stetige Nahtod-Erfahrung in einer lebensfeindlichen Umwelt gehört für mich zu den kräftezehrendsten Kinoerfahrungen der letzten Jahre. Leiden, Schmerz und Kampf überträgt Iñárritu wunderbar auf den Zuschauer, wozu auch die drastische Darstellung von Gewalt wohl ihren Beitrag geleistet hat.
Zum Schluss darf auch ich noch meine Cinemaforever-Awards vergeben:
Bester Darsteller: Nawazuddin Siddiqui in Psycho Raman
Beste Darstellerin: Sandra Hüller in Toni Erdmann
Newcomer/in des Jahres: Anya Taylor-Joy in The Witch
Beste Szene des Jahres: Ines Conradis unvergleichliche Nacktparty in Toni Erdmann
Beste Bildgestaltung: The Revenant – Der Rückkehrer (Kamera: Emmanuel Lubezkis)
Bester Blockbuster: Star Trek Beyond
Beste Filmmusik: The Neon Demon (Cliff Martinez)
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=NgPVI4YubsM]
Größte Enttäuschung: Suicide Squad
Schlechtester Film: Dirty Grandpa (aka Robert DeNiros letzter Sargnagel)
Weitere Jahreslisten: