Eine Kritik von Pascal Reis – erstmals zu lesen am 26. April 2012.
“Ich verliere meinen Verstand.”
David Lynch machte sich schon früh einen Namen. Mit Kurzfilmen wie The Alphabet, die zweifellos sehr experimentell und eigenwillig waren, wies er bereits auf die Richtung hin, die wir später noch mehrfach gemeinsam mit ihm beschreiten würden. Die Zeit für seinen ersten großen Spielfilm sollte natürlich auch kommen – und fand 1977 ihren Weg an die Öffentlichkeit. Eraserhead bildet das verbindende Glied zwischen Lynchs Kurzfilmphase und seinen späteren Meisterwerken. In rund 90 Minuten präsentierte Lynch uns diesmal genau das, was schon bei The Alphabet für Verwirrung und Faszination gesorgt hatte: düsteren Surrealismus in Reinform.
Henrys (Jack Nance) Leben gleicht einem trostlosen Trümmerhaufen. Das Einzige, was ihm vorerst noch bleibt, ist seine schwangere Freundin Mary. Doch mit der Schwangerschaft hält das nächste Problem Einzug: Mary bringt ihr Baby viel zu früh zur Welt – und es scheint alles zu sein, nur nicht menschlich. Kurz darauf verlässt Mary Henry und lässt ihn allein mit dem seltsamen Wesen zurück. Henry ist überfordert, weiß nicht, wie er handeln soll, und verfällt zunehmend in Halluzinationen – bis er sich schließlich zu einem schwerwiegenden Schritt gezwungen sieht…
So abgehoben und surrealistisch klingt das ja erst mal nicht. Das dachte ich mir im ersten Moment auch. Doch Lynch beweist uns gleich das direkte Gegenteil. Henry treibt in der Schwerelosigkeit umher und hinter ihm offenbart sich ein kleiner Planet, dessen Bewohner ein seltsamer, verschmierter Mann ist, während außerhalb seiner Behausung Föten aus dem Nichts fallen. Wer sich an dieser Stelle schon überfordert fühlt, wird sich noch so manches Mal verdutzt die verschreckten Augen reiben.
Mitternachtskino voller Angst und verschwommener Realität
Wir werden dann in das Leben von Henry, wenn man das überhaupt noch als solches bezeichnen kann, eingebunden. Henry ist orientierungslos und treibt richtungslos durch sein Dasein. Zerbrochen guckt er auf den Rest, den die Welt ihm hinterlassen hat. Doch es soll sich nichts bessern, sondern immer schlimmer werden. Die Familie seiner Freundin ist vollkommen gestört. Der Vater lächelt den Dreck der Gegenwart weg, die Mutter drängt Henry nicht nur verbal in Ketten und die tote Großmutter wird als Küchenhilfe missbraucht.
Doch nun hat Henry eine Familie und muss Freundin samt Kind in seiner engen Einzimmerwohnung aufnehmen. Das Kind gibt keine Ruhe, wird krank und Mary ergreift die Flucht. Henry tut das ebenfalls, nur flüchtet er immer tiefer in seine Halluzinationen, in denen er der hübschen Nachbarin in Dunkelheit nahe ist. Doch auch das ist noch nicht alles. Hinter dem Heizkörper seiner Wohnung scheint es eine weitere Welt zu geben, in der eine Frau im Kleid und mit aufgedunsenen Wangen von der Schönheit des Himmels singt und die Föten zu ihren Füßen nach und nach zertritt. Diese Parallelwelt wirft unendlich viele Fragen auf und zeigt Henry, nachdem er in sie eingedrungen ist, seine eigene Bestimmung.
David Lynch zieht hier seine Eigenart konsequent und ohne Rücksicht durch. Ihm geht es nicht um Unterhaltung oder Spaß. Wieso er diesen Film in einer solchen Art dargestellt hat, weiß er im besten Fall ansatzweise selber. Eraserhead ist ein purer Alptraum. Eine durch und durch verstörende Version einer schwarzen und unstillbaren Sehnsucht. Lynch vermischt Träume mit der Realität. Alles was war, wird zu endloser Leere. Ein apokalyptischer Wind pfeift durch den Film und schlingt die grauenvollen und frostigen Finger um den Körper des Zuschauers.
Von Minute zu Minute fester. Die Interpretation von Eraserhead fällt sicher bei jedem Menschen anders aus, denn was man hier selber sieht, ist nicht das, was andere in diesem Film erkennen. Die Kernpunkte und Eckpfeiler sind jedoch deutlich: die Industrialisierung der neuen Welt, das moderne Leben, welches am Scheidepunkt von allem steht und die essenziellen Themen wie das Leben, der Tod und das Zeugen und direkte Nehmen von neuem Leben. All das verknüpft, verwirbelt und verdreht David Lynch zu einem interessanten und unvergesslichen halluzinierenden Wachzustand, der niemanden loslassen wird.
Mit spärlichen 20.000 Dollar gelang David Lynch ein verblüffendes Ergebnis: Das Budget sieht man dem Film zu keiner Zeit an und die kräftige schwarz-weiß Optik zeigt ein grandioses Bild nach dem anderen. Dazu trägt natürlich auch Cardwells und Elmes’ hervorragende wie ausgefeilte Kameraführung bei, die jeden Zuschauer zu einem Gefangenen des Bilderregens macht. Richtige Musik gibt es erst im Abspann, während des Films wird Henrys Situation nur von kratzenden, summender und brodelnden mechanischem Getöse begleitet, welches Eraserhead noch fremder und angsteinflößender erscheinen lässt.
Als Darsteller ist wohl nur Jack Nance als Henry Spencer wirklich erwähnenswert. Ohne viele Worte, auf die der Film sowieso verzichtet, zeigt er eine hervorragende Leistung und gibt den bemitleidenswerten und ebenso leidenden Vater wieder willen grandios. Nance ist absolut perfekt besetzt und ankert sich mit seiner Darstellung in die Köpfe der Zuschauer.
Dass David Lynch bei Eraserhead Regie, Drehbuch, Musik und Schnitt selbst übernommen hat, ist – wie so oft bei ihm – unübersehbar. Eraserhead ist angsteinflößendes, verstörendes, ekelerregendes und zugleich unvergessliches Alptraum-Kino. Ein Film, den man gesehen haben muss, wenn man bereit ist, sich den eigenen inneren Grenzen zu stellen. Sicherlich keine klassische Empfehlung – das Ansehen erfolgt auf eigene Gefahr. Doch wer sich auf das intensive, surreale Universum Lynchs einlässt, erlebt einen filmischen Trip sondergleichen, durchzogen von düsterer Poesie und beängstigender Genialität. Lynch inszeniert hier nicht einfach – er erschafft ein Bild, einen Zustand, einen Albtraum. Er zeichnet mit der Kamera wie mit einem Pinsel.
Kinostart: 7. September 1979
Release 4K Blu-ray: 22. Mai 2025
Verleih 4K Blu-ray: Arthaus / Studiocanal
Regie: David Lynch
Darsteller: u.a. Jack Nance
FSK-Freigabe: ab 16
Laufzeit: 1 St. 29 Min.
★★★★★★★☆
Eigentlich hasse ich den Film “Eraserhead”, weil er sich so trostlos und beklemmend und angsteinflößend anfühlt, eben wie ein Alptraum. Aber genau das macht ihn wiederum so gut, und deswegen liebe ich ihn.