Kritik: 1917 (USA/GB 2019)

1917_Film_Kritik_Trailer

They’re walking into a trap. Your orders are to deliver a message calling off tomorrow morning’s attack. If you fail, it will be a massacre.

Eine kuriose Anziehungskraft scheint dem Kriegsfilm inne zu wohnen. So gut wie jeder vornehmlich männliche Starregisseur hat sich bereits an ihm versucht. Insbesondere die Todesmaschinerien des Ersten und Zweiten Weltkriegs haben eine gar unmittelbare Strahlkraft. Während der Vietnamkrieg im Hollywoodkino bereits durch die Postmoderne reichlich verzerrt wird (Apocalypse Now, Full Metal Jacket) und aktuelle Kriege im Kino teilweise zu Nebenschauplätze geraten (Jarhead, The Hurt Locker), scheinen nur die alten, großen Kriege den wahrhaftigen Schrecken bieten zu können. Zuletzt ist Christopher Nolan mit Dunkirk den ungeschönten Texturen des Zweiten Weltkriegs mit seiner IMAX-Kamera auf die Pelle gerückt, nun schubst uns Sam Mendes mit 1917 in die „Blutmühle“ der Westfront ein Jahr vor Ende des Ersten großen Krieges.

Der Unique-Selling-Point des Films wird bereits nach den ersten Minuten deutlich. 1917 erzählt annähernd in Echtzeit in einer scheinbar ungeschnittenen Plansequenz von der Mission der beiden britischen Lance Corporals William Schofield (George MacKay) und Tom Blake (Dean-Charles Chapman), die versuchen zu Fuß das Niemandsland zwischen den Fronten zu durchstreifen. Ihr Ziel: ein anderes Bataillon vor einer Falle des deutschen Heers warnen. Was auf den ersten Blick in seiner narrativen Komplexität an den Missionsbildschirm eines Videospiels erinnert, dient hier vornehmlich nur als Startpunkt einer wohl austarierten Geisterbahnfahrt, deren Grusel die Peripherien des Schlachtfelds auslotet. Verbrannte Erde, verwesende Leichen(berge) und leergefegte Schützengräben, der große Krieg ist längst weitergezogen und nur noch in der Ferne spürbar. Dennoch muss uns Mendes ein Abenteuer bieten, einen nicht in Langeweile versandenden Strom kontinuierlich aufploppender Spannungsspitzen. Das Paradox des Antikriegsfilms, sich zwar gegen den Krieg zu positionieren, letztendlich aber Unterhaltung aus der Darstellung des selbigen zu generieren, wird auch 1917 nicht lösen. Das kann er womöglich auch gar nicht. Trotzdem versucht der Film Haltung zu wahren und sich nicht gänzlich dem Thrill hinzugeben. Eine mitten im Kriegsgeschehen verängstigt zitternde Handkamera, die mit den Soldaten zusammen im Kugelhagel festzustecken scheint, wie es z.B. die Eröffnungssequenz von Steven Spielbergs Saving Private Ryan vorgemacht hat, wagt Mendes nicht. Die allzeit schwebende, stets die wohlkomponierte Perspektive suchende Kamera bleibt weitestgehend distanziert. Zwar heftet sie sich an die beiden Lance Corporals, erschüttern kann sie dagegen nichts, weder durch Explosionen, noch gerät sie ins Taumeln, wenn sie an um ihr Leben bangende, rennende Soldaten begleitet.

Die Haltung der Kamera spiegelt letztendlich auch den modus operandi des gesamten Films wieder. 1917 befindet sich laufend in der Schwebe, in einem nicht enden wollenden Balanceakt zwischen Hollywoods Unterhaltungskino und den Genuss vermeidenden Gestus des Antikriegsfilms. Die Grauen des Krieges, die schockierende Beiläufigkeit des Todes, das alles sind nur Farbkleckse innerhalb der großangelegten Komposition. Dazu gesellt sich noch eine sinnliche Überhöhung der Natur als ästhetischer Gegenpol zu menschengemachten Vernichtungsmaschine. Das mechanistische Bild der „Blutmühle“ setzt sich auch im Selbstverständnis dieses One-Shot-Wunders als unaufhaltsam rotierender Apparat fort. 1917 ist zwar keine Kriegs-, aber dafür eine gut geschmierte Kinomaschine. Hier geht nichts aus dem Leim. Alles ist stimmig, rund und wertig gemacht; die scheinbar makellose Synthese aus Erzähl- und Erfahrungskino. Das erzwingt förmlich Applaus bzw. Filmpreise und entlockt zumindest staunende Blicke, aber es lässt einen leider auch ungewöhnlich kalt und gleichgültig zurück.

1917 ist ab dem 28. Mai 2020 auf Blu-ray, DVD und digitaler Download erhältlich. Falls unsere Kritik Dein Interesse geweckt hat, dann unterstütze uns gerne, indem Du den Film über einen der folgenden Links bestellst.*

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