Kritik: Die Mächte des Wahnsinns (USA 1994)

Eine Kritik von Pascal Reis

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© Warner Home Video

A reality is just what we tell each other it is.

Begeben wir uns noch einmal zurück in das bedeutungsvolle Jahr 1994 und blicken ein letztes Mal ehrfürchtig in das noch erstrahlende Gesicht von John Carpenter. Warum bedeutungsvoll? Weil John Carpenter genau in diesem Jahr seinen letzten wirklich richtigen guten Film auf die Welt losgelassen hat: Die Mächte des Wahnsinns. Danach folgte der allseits bekannte Abwärtstrend, der mit belanglosem Einerlei (Vampire) und bitteren Bauchklatschern (The Ward) resolut seinem bedauerlichen Niedergang entgegensteuerte. Immerhin verzichtete der einstige Altmeister (Halloween – Die Nacht des Grauens, Das Ding aus einer anderen Welt)  auf einen alternierenden Zusammenbruch und konnte in seinem pragmatischen Zerfall die Hoffnungen durchgehend angemessen niedrig halten. Als Entschuldigung kann das jedoch nicht gelten, denn eine Enttäuschung ist eine Enttäuschung und Carpenters goldene Zeiten sind ein Teil der staubigen Vergangenheit.

Aber zurück zum eigentlichen Thema, schließlich soll es hier nicht um eine wehleidige Rückbesinnung an die Sternstunden Carpenters gehen, sondern um Die Mächte des Wahnsinns und die damit letzte große Lobhudelei, die sich der Schnauzbartträger aus New York noch einmal redlich verdient hat. Ein transitorisches Überfliegen des Handlungsgerüstes von Die Mächte des Wahnsinns lässt die Grundthematik schon erahnen und wer sich hier an den Cthulhu-Mythos erinnert fühlt, der liegt mit seiner intuitiven Vermutung gar nicht falsch. Im Mittelpunkt des Filmes steht der Versicherungsdetektiv John Trent, der den Arbeitsauftrag bekommt, den unauffindbaren Horror-Autoren Sutter Cane zu suchen und den neuen Roman, den Sutter Cane noch keinem seiner Verleger gezeigt hat, endlich in die Ladenregale zu bringen und damit die Kassen klingeln zu lassen. Trent spekuliert auf einen medialen Komplott und beginnt mit seinen Ermittlungen, die ihn schließlich nach Hobb’s End verleiten – einen Ort, der auf keiner Landkarte festgehalten ist. Trents Martyrium beginnt…

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© Warner Home Video

John Carpenters inszenatorische Umsetzung der Drehbuchvorlage von Michael De Luca lässt sich wie eine aparte Symbiose aus spezifischen Versatzstücken von H.P. Lovecraft und Steven King verstehen. Dabei übernimmt der Regisseur nicht nur unverkennbare Stilmittel der beiden Literaten, er lässt Die Mächte des Wahnsinns auch zu einer Huldigung der Schriftsteller werden, reflektiert durch die reelle Figur des Sutter Cane (infernalisch: Jürgen Prochnow). Und Sutter Cane ist Dreh- und Angelpunkt in Carpenters aufkeimenden Kabinett des Schreckens, in dem sich der rational denkende und augenscheinlich souverän wirkende John Trent (selten besser: Sam Neill) bald verlieren wird. Carpenter arbeitet – wie gewohnt – mit seiner vortrefflich Symbolik, die den bevorstehenden Absolutismus prophezeit und Trent in den Klauen des tendenziösen Psychogramms versacken lässt.

Die Frage, die sich immer extremer in den Kopf des Zuschauers hämmert, ist die essenzielle Frage nach der Wahrheit. John Trent reist in ein unbekanntes Kaff, um den verschwundenen Cane ausfindig zu machen. Dabei wird die berufliche Suche zur subjektiven Tour-de-Force. Aber wie viel Realität und wie viel Fiktion stecken nun wirklich in den Fotografien? Ist Trent in Wahrheit selber ein Teil von Sutter Canes Romanen, ist er eine erfundene Figur, die ein Eigenleben entwickelt hat und nun in einer Welt bestehen muss, die ihrem eigenen Wahnsinn verfallen ist? Oder ist alles nur ein Alptraum, aus dem Trent krampfhaft erwachen will, aber mit jeder erhofften Fluchtmöglichkeit nur extremer seinem persönlichen Wahn nachgeben muss?

John Carpenters Antwort darauf ist von apokalyptischer Natur. Die Wirklichkeit und die Projektionen aus den dunkelsten Kammern in den hintersten Gedankengängen distinguieren sich nicht mehr. Es ist der Untergang allen Seins, ein auswegloser Rausch mit doppeltem Boden, gefangen im Treibsand der psychischen Tortur, den John Carpenter hier entflammt. Und wer nun denkt, Carpenter würde auf seine Gesellschaftskritik verzichten, der täuscht sich. Es gibt kein Zurück, es zählt nur das erste und letzte geschriebene Wort. Alles andere ist von nun an bedeutungslos. Schöne neue Welt.

★★★★★★★☆
Ein echtes Juwel

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