Eine Gastkritik von Sascha Böß
Eine Kassandra auf Rachefeldzug
Cassie (Carey Mulligan) hatte eine vielversprechende Zukunft. Sie war eine erfolgreiche und fleißige Medizinstudentin, bis eines Tages ihre beste Freundin Nina auf einer Party von Kommilitonen vergewaltigt wird und sich später das Leben nimmt. Seitdem ist Cassie eine gebrochene Frau und sinnt auf Rache.
Emerald Fennels Regiedebüt Promising Young Woman ist kein typischer Rape-Revenge-Thriller, er ist anderseits auch keine Dekonstruktion dessen (wie zuletzt beispielsweise Revenge). Anders als bei typischen Vertretern dieses Genres wie Das letzte Haus links (1972) und Ich spuck auf dein Grab (1978) wird die weibliche Hauptfigur in diesem Film durch das „Trauma“ nicht erst die „starke (=maskuline) Frau“, die in ihr eigentlich schlummerte. Nein, Cassie wirkt zwar stark und gefährlich, aber innerlich ist sie zerbrochen. Ihr Leben ist zerstört. Zwischenmenschliche Beziehungen zu Männern ist aufgrund des verlorenen Vertrauens fast völlig unmöglich geworden. Auch zeugt Promising Young Woman von einer weiblichen Sensibilität und Innerlichkeit und verzichtet ganz auf stilisierte Gewalt, während man bei sonstigen Vertretern dieses Genres die männliche, Gewalt ergötzende Kamera spürt und die erotische Rächerin trotz Litern von verspritztem Blut doch ihre Unschuld bewahren kann. Cassie dagegen ist eine ambivalente, vielschichtige Protagonistin, weder wirklich Heldin noch Anti-Heldin.
Sie rächt sich für ihre verstorbene Freundin, indem sie sich in Clubs betrunken stellt und sie mit einem „Retter“ nachhause fährt, der sehr oft diese „glückliche“ Situation ausnutzen zu versucht, um sie sexuell zu misshandeln. Erst dann gibt sich Cassie als nüchtern zu erkennen und erteilt den Männern eine Lektion. Es ist ein wirklich starker Moment, wenn man in den Gesicht der Männer die Verzweiflung erkennt und sie realisieren müssen, dass sie doch nicht zu den „Guten“ gehören, indem sie den Spiegel vorgehalten bekommen.
Trotz der einen oder anderen repetitiven Szene ist Promising Young Woman stark und spannend inszeniert. Auch durch überraschende, unvorhersehbare Wendungen kann man schon recht bald nicht mehr vorausahnen, in welche Richtung sich der Film entwickeln wird. Carey Mulligan (Drive) spielt die verwandlungsreiche Cassie auf höchstem Niveau. Ihr gelingt es, sowohl emotional und angsteinflößend zu spielen und darüber hinaus vermag sie ihre eigentliche Motivation für lange Zeit vor dem Zuschauer zu verbergen. Mulligan spielt tatsächlich so gut, dass die meisten anderen Schauspieler (mit Ausnahme von Bo Burnham ) sehr blass und hölzern wirken. Sie scheinen mehr Teil der Kulisse zu sein, als echte, reflektierende Personen. Insgesamt sind die anderen Figuren schwach ausgearbeitet und agieren dermaßen klischeehaft, dass es manchmal zu realitätsfern wirkt.
Die Ästhetik des Films ist geprägt von kräftigen, poppigen Bonbon-Farben. Der Film wirkt Retro, aber nicht im Stil der Achtziger, der sich mit vielen Filmen und Serien der letzten Jahre nun wirklich ausgelutscht hat. Vielmehr bezieht sich der Film ästhetisch wie musikalisch auf die frühen 00er Jahre. Paris Hilton wird beim verliebten Einkaufen gespielt. Britney Spears „Toxic“ zur Einstimmung auf ein verhängnisvolles Racheunterfangen. Der Film ist dazu geprägt von religiöser Symbolik. Wir sehen Cassie mehrfach mit ausgestreckten Armen, die an Jesus am Kreuz erinnern. Wenn hinter ihrem Kopf runde Formen auf der Tapete zu sehen sind, ist der Heiligenschein nicht weit. Sie ist auch ein Racheengel und schließlich spielt ihr Name Cassie (eine Koseform vom Namen Cassandra) natürlich auf die mythologische Figur der Kassandra an, welche die Wahrheit spricht und dafür mit dem Leben bezahlen muss.
Aber nicht nur die Rächerin unterscheidet sich von sonst typischen Revenge-Filmen. Die Täter hier sind keine bösen, lustgeilen Mörder, Frauenhasser oder einsame Perverse. Folgendes macht den Horror hier eigentlich aus: Die Täter sind die „Normalos“. Es ist der „nette Junge“ von nebenan (Der Begriff „nice guy“ fällt immer weider). Einige dieser Männer verstehen sich selber sogar als Feministen. Zu manchen Männern schauen andere Frauen sogar auf, die sie deshalb verteidigen und deren Karriere auf Grund von „zweifelhaften Anschuldigungen“ nicht zerstören wollen. Ja, in diesem Film sind es insbesondere die Frauen, die bagatellisieren, wegschauen, die Männer in Schutz nehmen und Victim Blaming betreiben. Regisseurin Fennell will uns, genauso wie die Hauptfigur, eine Lektion im Hinschauen erteilen. Diejenigen, die wegschauen und schweigen, machen sich ebenfalls schuldig.
Bedenklich ist der Film in seiner Aussage aber schon. In diesem Film sind alle Männer schuldig – allen voran die unschuldig aussehenden mit Dackelblick. Dies wirkt schon etwas aufgesetzt. Nur ein einziger Mann, ein Anwalt, bekennt sich schuldig und ihm wird vergeben. Der Film bietet aber insgesamt keinen Lösungsweg, außer der Selbstjustiz, und ist an Differenzierungen wenig interessiert. Die Schuld liegt ja nicht beim Sexualtrieb der Männer, es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – so klug ist der Film zumindest meistens. Dass gegen Ende hin doch physische Gewalt als Vergeltung eingesetzt wird, ist jedoch fragwürdig. Das Fehlen eines zweiten Blickwinkels, einer zweiten dialektischen Kamera wäre hier möglicherweise gewinnbringend gewesen. Ja, der Film will radikal sein – und er hat jedes Recht dazu radikal zu sein! – doch diese selbst auferlegte Radikalität hält der Film in den letzten zehn Minuten nicht aus.
SPOILERANFANG Der Vorhang hätte mit dem tragischen Ende in der Hütte bzw. am Feuer enden sollen. Dieses Ende wäre ein tiefer Faustschlag in die Magengrube gewesen. So hatte es die Regisseurin auch anfangs geplant, entschied sich jedoch dagegen und wählte ein bitter-süßes Ende. Ein grober Fehler. Denn die letzten Minuten lassen den restlichen Film fragwürdig erscheinen. Zuvor wurde wieder und wieder anschaulich gezeigt, wie heuchlerisch und verlogen die Freunde, die Gesellschaft und die Institutionen sind und wie diese die Täter unterstützen. Cassie war eine einsame Kämpferin, völlig auf sich allein gestellt. Und doch soll am Ende der Staat in Form der Polizei noch vieles zum Guten wenden und Gerechtigkeit walten lassen?! Das Ende scheint doch sehr aufgesetzt, unglaubwürdig und entzieht dem Film die tragische Radikalität, auf die er sich vorher selbstbewusst, aber wackelig gestützt hat. SPOILERENDE
Fazit: Emerald Fennell ist mit ihrem Regiedebüt ein spannender, unterhaltsamer und poppiger Rachethriller mit einigen Schwächen gelungen, welcher ohne die letzten Minuten nicht klüger wäre, aber dafür um einiges brachialer eingeschlagen hätte. Man darf auf ihren nächsten Film gespannt sein.
Promising Young Woman startet am 19. August 2021 deutschlandweit in den Kinos. Für den 18. November ist der Film zudem bereits auf Blu-ray und DVD angekündigt.*
Hier geht es zum Trailer auf Youtube.
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