Kritik: Phoenix (DE 2014) – Identität in Trümmern

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Mich gibt es gar nicht mehr.

Im Herbst des Jahres 1945 ist Christian Petzold mit seinem neusten Film „Phoenix“ nun angekommen, nur noch wenige Wimpernschläge wird es in Anspruch nehmen, bis der Zweite Weltkrieg sein verheerendes Ende findet. Und auch wenn dieses nicht in Worte zu fassende Kapitel internationaler Menschheitsgeschichte einen datierten Schlusspunkt aufgesetzt bekommen hat, so wiegen die Folgen dessen doch selbstverständlich weiterhin Tonnen in den zermürbten Leibern aller Beteiligten. Christian Petzold, Initiator der sogenannten „Berliner Schule“, einer Stilistik, die sich nicht auf den sensationsheischenden Gestus innerhalb einer filmischen Konstruktion stürzt, der es nicht daran gelegen ist, Geschichten aufzubauschen, zu dramatisieren und zu entfremden, sondern im großen Ganzen klein, lebensnah, nüchtern und naturalistisch darzubieten, kostet die Grenzen dieser nun nach cineastischem Gusto aus. Zusammen mit seiner Lieblingsdarstellerin Nina Hoss, mit der er nun bereits zum sechsten Mal partizipiert, und dem kürzlich verstorbenen Autoren Harun Farocki, stößt Petzold konkreter denn je ins Genre-Kino vor.

Seit dem Jahre 2000 machen Christian Petzold und Harun Farocki nun schon gemeinsame Sache und haben sich für „Phoenix“ so einige Knüpfstellen der Inspiration angesammelt: Von der französischen Kriminalgeschichte „Le retour des cendres“ von Hubert Monteilheit über Alexander Kluges Kurzgeschichte „Ein Liebesversuch“, bis hin zu Alfred Hitchcocks kinematographischen Monument „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“. Dass „Phoenix“ aber natürlich nicht nur mit ausgestellter Zitation auffährt (schließlich befinden wir uns nicht im quietschig-quatschigen Universum von Quentin Tarantino), sondern all seine Referenzen in einen eigenständigen, prinzipiell metaphorisch verbürgten Kontext stellt, erklärt sich bei der unzweifelhaften Meisterschaft des künstlerischen Gespanns um Petzold und Farocki ja irgendwie von selbst. Die Hürde, die man als Zuschauer mit „Phoenix“ nehmen muss, wartet allerdings schon in der Prämisse: Kann man die Grundkonstellation annehmen, dass ein Mann, sein Name Johnny (Ronald Zehrfeld), seine eigene Frau Nelly (Nina Hoss) einfach nicht mehr wiedererkennt? An ihren Augen, ihrem Duft, ihren Lippen?

Nelly hat das Konzentrationslager von Auschwitz überlebt und wird von ihrer Freundin Lene (Nina Kunzendorf) zurück in die in Trümmern und Schutt liegende Hauptstadt gebracht. Aber Nelly ist nicht mehr die Frau, die sie mal war – Ähnlich wie Berlin, liegt nicht nur ihr Seelenleben in Trümmern, auch ihr Gesicht ist unter durchsifften Bandagen vollkommen entstellt. Dass sie darauf besteht, ihr altes Konterfei zurückzubekommen, spricht für die Angst vor dem Neuanfang und gleichwohl für die Zerrissenheit dieser Person: Sie hat Unaussprechliches gesehen und erlebt, doch die Last der sich durch den Körper grabenden Erfahrung lässt sich auch dann nicht verwischen, wenn man die Chance hat, ein neues Leben zu beginnen: Bilder, die man nicht vergessen kann, haben sich in ihrem Kopf festgesetzt; Narben, die klaffen und immer klaffen werden, zeichnen Nelly auf jeder Ebene. Dass ihr Mann sie nicht wiedererkennt, sondern maximal Ähnlichkeiten erspäht, nimmt er zum Anlass, um seine Frau instrumentalisieren zu können. Die Schuld türmt sich.

Die „neue“ Nelly soll die „alte“ Nelly verkörpern, um Johnny dabei zu helfen, an ihr Vermögen zu gelangen. Wo dieser Umstand auf dem Papier eindeutig auf „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“ verweist, nimmt Christian Petzold dem renommierten Stoff das Begehren, die Körperlichkeit, und inszeniert eine Parabel um den damalig in Deutschland anvisierten Zwang schnellstmöglich zu vergessen: Dass Johnny seine Nelly nicht als diese erkennt, reflektiert treffend den Verdrängungsmechanismus jener Tage, um in der psychologischen Wechselwirkung das Bewusstwerden vehementer zu schüren: Wer verleugnen möchte, realisiert umso heftiger. Nelly selbst muss sich irgendwann die Frage stellen, ob es überhaupt noch eine Möglichkeit gibt, wieder zu dem Menschen zu werden, der sie einmal war, oder ob die äußere Formung ihrer Identität von nun an in den bestimmenden Händen ihres sozialen Umfelds lagert. „Phoenix“ beschreibt eine Geisterbeschwörung inmitten von Geröll, gleißendem Rot, flutendem Licht und dem schmalen Grat, den Prozess des Akzeptierens in die schiere Selbstauflösung abrutschen zu lassen.

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