Kritik: Prisoners (USA 2013) – Wie weit darf ein Mensch gehen?

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Pray for the best, but prepare for the worst.

Detective Lokis krampfhaftes Blinzeln steht symptomatisch für die psychische Belastung, der er sich Tag für Tag aussetzt. Mal ist es erträglich, oft aber eine zermürbende Tortur. Lokis Verstand funktioniert wie ein sich ständig um die eigene Achse kreisendes Uhrwerk; wie eine Präzisionsmaschine, die winzige Details und Einzelheiten in ihre logische Ordnung bringt. Fehlt jedoch ein winziges Teilchen, wird deutlich, dass Loki längst nicht mehr zu den frischen Ermittlern seines Bundes zählt, sondern in seiner abgekämpften, bis zum Hals tätowierten Hülle dem mentalen Zusammenbruch eher auf die Schliche gekommen ist, als der eigentlichen Auflösung des tiefschürfenden Falles um die zwei vermissten Mädchen. Jake Gyllenhaal gibt diesen Loki mit einer so facettenreichen Wucht, dass bereits nach dem ersten Auftritt seinerseits die Vermutung aufkommt: Ihm gehört der Film. Und es bewahrheitet sich, nur leider nicht gänzlich im positiven Sinne. Ist Loki einmal – sei es auch nur für wenige Minuten – von der Bildfläche verschwunden und kann den Zuschauer nicht mehr nur allein durch seinen markanten Wimpernschlag in den Bann ziehen, fehlt „Prisoners“ jede schützende Deckung.

Wenn man sich auf die Suche nach dem echten Problem von „Prisoners“ macht, wird man in Aaron Guzikowski Drehbuchvorlage schnell fündig. Mit einem Filmemacher wie Denis Villeneuve auf dem Regiestuhl, ist die Rechnung, die die Produktionsfirma hier aufgestellt hat, schnell zu durchschauen: Ein eher „unbekannter“ Regisseur, der sich vorerst nur in der Arthouse-Ecke tummeln durfte, wird mit einem Skript gelockt – „Prisoners“ ist eine Auftragsarbeit und nichts anderes – dem die tiefgreifenden Ansätze quasi aus allen Poren sprießen und durchaus Interesse auf mehr machen. Von der ausschlaggebenden Kindesentführung wird ein thematisch vielseitiges Netz gespannt, das sowohl die religiöse Mentalität der leidenden Familien umkreist, wie auch das moralische Dilemma der Selbstjustiz, in dem Vater Keller Dover (Hugh Jackman) langsam zu versinken droht. Wie weit darf ein Mensch gehen, um die Wahrheit zu finden und wie weit darf ein Polizist seine eigene Vorschriften missachten, um das von allen ersehnte Ziel zu erreichen? Fragen, deren ethische Komplexität – bei dem richtigen Umgang – tagelang beanspruchen können.

„Prisoners“ will aber nicht fordern – und schon gar nicht will er den Zuschauer in irgendeiner Weise mit seinen schwammigen Formulierungen herausfordern. Die Problematik des Drehbuchs ist die fehlende Subtilität, denn, obgleich sich der Inhalt durchaus kontrovers und substantiell liest und von einem Mann wie Villeneuve natürlich auch herausragend hätte umgesetzt werden können, orientiert sich „Prisoners“ nur am eigenen Unterhaltungsfaktor und kann sich nie von den zuweilen recht platten wie phrasenhaften Ketten lösen, in die das Thema und deren Referenzen rücksichtslos verdammt wurden. Bezeichnet man „Prisoners“ also als ‘Blender seiner eigenen Ambitionen’, so hätte man nicht Unrecht, schließlich wird hier von allen Seiten ein Tiefgang vorgegaukelt, den der Film letzten Endes einfach nicht einlösen kann, weil er seine Fühler in eine ganz andere Richtung respektive Publikum ausgestreckt hat. Wenn sich dann die Auflösung nähert und „Prisoners“ eigentlich seinen Höhepunkt ansteuert, ist der gesamte narrative Drive schon längst verflogen.

Die Demaskierung der Motivation der/des Täter(s) wird schlussendlich auch nur mit einem verdutzten Kopfschütteln vom Zuschauer begleitet, denn ‘Waschküchenpsychologie’ ist hier tatsächlich noch eine gelinde ausgedrücktes Urteil und passt bei diesem unnötig aufgeblähten Thriller natürlich ganz wunderbar ins aussagelose, spannungsarme Konzept: Am Ende ist „Prisoners“ so glattgebügelt, dass alle Ecken und Kanten erneut viel lieber der moralischen Verzogenheit Hollywoods Platz gewährleisten und der Fokus auf wirklich anspruchsvolle Gedankenanstöße gänzlich dem standardisierten Happy-End unterliegt. Aber „Prisoners“ hat natürlich auch seine Stärken, denn neben dem herausragenden Jake Gyllenhaal, weiß auch Paul Dano – der viel zu wenig Screentime hat – erneut zu überzeugen, genau wie Roger Deakins Kameraarbeit, über deren Klasse aber eh keine Worte mehr verloren werden müssen. Großartig. Ganz im Gegensatz zum Brummbär Hugh Jackman, der mit dieser Performance auf die Theaterbühne gehört, aber hier durch diese überkandidierte Gestik und Mimik nie wirklich ernst genommen werden kann. Und damit ist die nächste herbe Enttäuschung des Kinojahres 2013 perfekt.

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