Eine Gastkritik von Hendrik Warnke
– gesehen im Rahmen der 74. Berlinale 2024 –
Es ist die nahe Zukunft. Durch das Another End-Programm können sich Angehörige, sofern sie es sich denn leisten können, nochmal von ihren verstorbenen Liebsten verabschieden. Mittels der vorhandenen Erinnerung der Verstorbenen und einem Leihkörper wird eine Art Simulation erstellt, wodurch die Verstorbenen quasi wieder lebendig werden. Sal (Gael Garcia Bernal) hat seine Partnerin bei einem Autounfall verloren und kommt nur schwer über sie hinweg. Nach einigem Bedenken probiert auch er sich am Programm…
Leihkörper, Handel mit Erinnerungen und ein riesiger undurchsichtiger Konzern. Another End mutet an wie ein typisch dystopischer Sci-Fi-Thriller, der – wie so oft – davor warnt, Menschlichkeit und Technologie nicht zu sehr zu vermischen und dann am Ende von irgendeiner vermeintlichen Natürlichkeit predigt. Doch auch wenn Ansätze in diese Richtung vorhanden sind, präsentiert sich Another End vor allem als schwermütiges Melodram, dass sich mit Trauer und Verlust befasst. Dabei versucht er nicht irgendeine allgemeingültige Formel vorzugeben, wie man zu trauern hat, sondern begleitet seine Hauptfigur ohne moralischen Zeigefinger auf seinem Weg. Wir sehen zwar allerlei Symptome der Trauer, wie diverse Formen selbstzerstörerischen Verhaltens, ein klares Richtig oder Falsch sehen wir aber stets nur implizit. Vielmehr fokussiert der Film den Weg zur Besserung als einen, der gerne auch mal von Fehlern geprägt und höchstpersönlich ist und der für jeden Menschen anders aussehen kann.
Entsprechend bekommen wir auch gar nicht allzu viel mit, von dem Sal nicht unmittelbar betroffen ist. Die Frage nach der Moral einer Firma, die solche Programme anbietet bzw. unter welchen Bedingungen diese akzeptabel oder sogar sinnvoll sind, wird kaum gestellt. Zwar wird die konkrete Umsetzung relativ deutlich kritisiert, inwiefern ein psychologisch begleitetes Verabschieden durch eine Simulation grundsätzlich zu beurteilen ist, bleibt seitens des Films aber offen. Stattdessen bekommen wir, gerade in der ersten Hälfte, eine etwas wilde Mischung aus süßlicher Melodram-Romanze und kalter Groteske serviert, dessen Wechsel zwar handwerklich spannend ist, erzählerisch aber dafür sorgen, dass Another End ziemlich vor sich her mäandert, ohne ein klares Ziel vorzugeben. Und das, wenngleich auf der Metaebene vielleicht eine passende Darstellung von Trauer, führt zu einem ziemlich großen Problem: Another End verlässt sich sehr darauf, Mitgefühl mit seiner Hauptfigur zu haben und verwendet daher viel Zeit, die Beziehung zwischen Sal und seiner Partnerin darzustellen sowie Sals Reaktion auf diese Momente zu zeigen. In der Idee sollen die beschriebenen tonalen Kontraste sicherlich dazu führen, ein Gefühl des Verlusts zu erzeugen; in der Realität stehen sie dem gewünschten Mitgefühl aber so im Weg, dass sowohl das als auch ein Verlustgefühl nicht wirklich entstehen. Und wenn das in einem Film passiert, der außer Empathie nicht allzu viel zu bieten hat, entsteht viel tote Zeit und ein entsprechend zäher und holpriger Schaueindruck.
Als Art rettendes Ufer kommt daher die zweite Hälfte, in welcher der Sci-Fi-Ansatz nahezu komplett über Bord geworfen wird und sich Another End in ein deutlich interessanteres und produktiveres Drama verwandelt. Zu großen Teilen liegt das an der Figur von Renate Reinsves (Der schlimmste Mensch der Welt) bzw. ihrer Dynamik mit Hauptfigur Sal, die den Diskurs um Trauerbewältigung sowie auch die Darstellung von Trauer als solches auf ein deutlich höheres Level hebt als zuvor. Doch auch die zweite Hälfte ist nicht einwandfrei auserzählt, gerade das Ende wirkt doch sehr löchrig und beinahe absichtlich gegensätzlich zum restlichen Film. Auch hier kann man wieder davon sprechen, dass das auf einer Metaebene funktioniert, allerdings wirkt es dann doch zu sehr so, als wollte man einfach nochmal etwas Cleveres und Unerwartetes machen, um der sonst ziemlich vorhersehbaren Handlung nochmal etwas entgegenzusetzen. Mal abgesehen davon, dass es ziemlich ungelenk wirkt, den Inhalt so und nicht über die Handlung zu vermitteln, wenn es im Film eigentlich gar nicht um das Erzählen als solches geht. Another End fühlt sich komplizierter an, als er sein müsste, und in seinem Kern eigentlich auch ist. Er schlingert zwischen zu simpel und zu kompliziert hin und her, so als wollte man ersteres mit zweiterem wieder korrigieren.
Es bleibt aber festzuhalten, dass, auch wenn sich der Text bis hierhin vielleicht so anfühlt, Another End natürlich nicht furchtbar ist. Eigentlich ist er nicht einmal schlecht, so gibt es einige inhaltliche Aspekte, die wirklich gelungen sind, gerade die zwischenmenschlichen Momente gehören dazu. Das Problem ist, dass wenig bis nichts Überragendes heraussticht. Inszenatorisch und schauspielerisch ist der Film wirklich solide, aber eben nicht herausragend genug, um über die erzählerischen Schwächen hinwegzutäuschen. Und als Konsequenz bleibt ein im Kern ganz netter Film, der über Verlust sinniert und teilweise auch durchaus interessant ist, sich durch verschiedene Entscheidungen das Leben aber unnötig verkompliziert. Es bleibt der Wunsch nach mehr, auch weil das Konzept mit ein paar Veränderungen mehr Potential gehabt hätte.
★★★★☆☆☆☆
Another End hat bisher noch keinen deutschen Kinostarttermin.