"Findet Nemo 3D" (USA 2013) Kritik – Marlin und die dreidimensionalen Weiten des Pazifik

Autor: Florian Feick

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„Ich sehe Dich, und bin zuhause.“

Auch zehn Jahre, nachdem das Abenteuer von Nemo und seinem Vater Marlin erstmals eine ganze Generation verzauberte, hat das Unterwasser-Abenteuer nichts von seinem Charme eingebüßt. Ein Großteil der deutschen Synchronisation glänzt nach wie vor mit kreativer Besetzung und trägt auf gelungene Art und Weise dazu bei, dass beinahe alle Witze ob ihrer Doppelbödigkeit und Selbstironie für Jung und Alt auch dieser Tage noch funktionieren.

Für jeden, dem die altbekannte Geschichte tatsächlich noch nicht geläufig sein sollte, eine kurze Synopsis: Der aufgrund eines Traumas überfürsorgliche und -vorsichtige Clownfisch-Vater Marlin und sein kleiner Sohn Nemo leben in einer beschaulichen See-Annemone im Great Barrier Reef. Da der junge Nemo allmählich erwachsen wird, ist es für ihn natürlich auch langsam an der Zeit, mit anderen Meeresbewohnern zur örtlichen Schule zu gehen. Nicht gerade von den dort möglicherweise lauernden Gefahren begeistert, akzeptiert Marlin schlussendlich dennoch, dass Nemo alleine Erfahrungen machen muss, um sich weiterentwickeln zu können. Und zur großen Freude des kleinen Fischs nimmt der Lehrer Herr Rochen die Heranwachsenden auch sogleich mit zum „großen Abgrund“, dem Rand des Schutz und Sicherheit spendenden Korallenriffs. Es kommt, wie es kommen muss: Um sich in der Clique zu beweisen, schwimmt Nemo weit über den Abgrund hinaus, um ein dort treibendes Boot zu berühren – eins führt zum anderen; plötzlich ist der kleine Clownfisch verschwunden und sein Vater steht nun ganz alleine da.

Anfangs die elegische Schönheit ungehindert florierender Unterwasser-Natur, später gigantische Hinterbliebenschaften des zweiten Weltkriegs, am anderen Ende des Meeres ein hochrealistisch modelliertes Aquarium mit ca. 130.000 Kieselsteinen und schmierigen Fingerabdrücken auf dem Glas – die dargebotene Themenvielfalt des späteren WALL-E-Regisseurs Andrew Stanton ist schier überwältigend differenziert. Vor allem die fein detaillierten Texturen lassen erstaunte Assoziationen mit Fotorealismus zu, die es bis dato in noch keinem anderen Animationsfilm zu bestaunen gab. Daneben braucht sich die fabelhafte Mimik nicht zu verstecken, welche mit wenigen Ausdrucksmitteln dafür umso effektiver Gefühlslagen vermittelt, wie sie eindringlicher nicht dargestellt werden könnten. Die clever platzierten Pixar-Easter-Eggs tun dann letztlich ihr Übriges, um zum Wenigsten optisch keinerlei Wünsche offen zu lassen.

Subtil, aber einfach erklärt, erzählt FINDET NEMO eine spannende Coming-of-Age-Geschichte, welche den emotionalen Fokus jedoch interessanterweise nicht auf den Heranwachsenden selbst, sondern auf dessen Vater richtet. Konnten Kinder bislang in Kinofilmen nur speziell auf sie zugeschnittene Identifikationsfiguren betrachten, eröffnet sich ihnen nun durch die spezielle Erzählperspektive Marlins eine ganz neue Sicht der Dinge, die subversiver Weise auch dazu beiträgt, gängige Erzählstrukturen zu sprengen und die eigenen Eltern ex abrupto besser zu verstehen. Höchst originell wird duale Narration mit wiederkehrenden Charakteren verwoben, um ein mitreißendes Road-Movie für die ganze Familie zu schaffen.

Im bewegenden Intro erfahren wir, warum der neurotische Marlin der geworden ist, der er ist. Kein Lebewesen im Universum des erstmals 2003 veröffentlichten Films ist von vollkommener Bosheit; sie alle sind letztlich nur Tiere, die für das geschaffen worden sind, was sie sind. Natürliche Nahrungsketten werden nicht in Frage gestellt, aber ein kämpferischer Geist ist womöglich dennoch in der Lage, den tödlichen Fangzähnen des Raubfischs knapp zu entrinnen. Durch gesellschaftlichen Zusammenhalt ist man in der Lage, ganze Ozeane zu durchsieben. Die klar verständlich vorgetragenen zentralen Themen des Films – Familie, Freundschaft, Treue, Zielstrebigkeit – für jeden ist ein Thema dabei, das mit den charmant-schrulligen Charakteren durchgespielt wird.

Von den neu hinzugefügten 3D-Effekten sollte man keine großen Aha!-Momente erwarten, dienen sie lediglich dazu, der gesamten Szenerie eine höhere Raumtiefe zu verleihen und die Schauplätze noch einen Hauch realistischer zu präsentieren. Dadurch eröffnen sich dem Zuschauer erst ab jetzt die schier unendlichen Weiten des Meeres, die abseits der Kamera im Verborgenen bleiben, was an den richtigen Stellen sogar etwas wie ehrfurchterregende Ungewissheit auszulösen vermag. Sinnvoll wird der Film von ihnen ergänzt, doch zu mehr reicht es leider nicht. Zudem stellt sich einem die Frage, was aus der ehemals hochkreativen Animationsschmiede Pixar geworden ist, dass sie einen bereits zehn Jahre alten Film nochmals – in 3D – in die internationalen Kinos bringen muss. Somit gestaltet sich dieser durchaus hervorragende Film als ein weiteres bitteres Statement der kapitalorientierten Film-Industrie. Das Traurige daran ist, dass es nun auch den einstigen Independent-Hoffnungsträger Pixar getroffen hat.

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