Kritik: Joker 2 – Folie à Deux (USA 2024)

Eine Gastkritik von Michael Gasch

Joker 2 Folie à Deux Joaquin Phoenix Lady Gaga

“The world is a stage.”

Fünf Jahre ist es bereits her, als Todd Phillips Joker-Neuinterpretation wie eine Bombe in die Kinos einschlug. Prägnant sind noch die Erinnerungen an Zitate wie „Da fehlt gar nicht viel, bis das in der echten Welt passiert“ – zugegeben von einem etwas älteren Kinogänger. Doch auch die Kritiken schlossen sich an, denn man muss sich vermutlich anstrengen, eine Filmkritik zu finden, in der „subversiv“ als das Lieblingswort des modernen Kritikers schlechthin nicht vorkommt. Joker: Folie à Deux muss sich nun die Frage gefallen lassen: Ist er ebenso umstürzlerisch und zeigt einmal mehr: „Some men just want to watch the world burn“?

Beim ersten Blick vermutlich schon, nicht aber im narrativen Sinne, sondern dann, wenn Joaquin Phoenix und Lady Gaga ihre Gesangsstimmen herausholen und das zuvor aufgebaute Depressionskino mit Engelsgesang einstürzen lassen und fortan in eine andere Richtung manövrieren. Intensiviert wird es, wenn in einem Shot linkerhand die Bühne als Ort des Theaters/Films, rechterhand destruktives Feuer und Sonnenstrahlen in der Mitte zusammenkommen. Ästhetik und Destruktivität stehen damit im ständiger Kampf miteinander und auch sonst versteht sich Joker: Folie à Deux als ein Film, in dem ständig Kriege ausgefochten werden: Im Menschen, in der Gesellschaft, innerhalb der Filmgenres. Mal depressivstes Drama, mal Musical in der Fantasie, mal bombastisches Kriegskino, welches Civil War in diesen Momenten fast schon alt aussehen lässt, nur um dann erneut beim Musical zu landen, welches nicht mehr nur in der Fantasie stattfindet, sondern im hautnahen Gotham City.

Doch ist dies wirklich die besagte Stadt von Batman und Co.? Wo sind die maximal stinkwütenden Menschenmassen aus dem Vorgänger, die höllische Welt vermüllter Straßen, schlichtweg eine Stadt, für die es noch nie Rettung gab und auch nie geben wird? Und warum tummeln sich in der Einrichtung, in der Joker einsitzen muss, so wenig Kriminelle? Hieß es nicht immer, Gotham City sei die mit Abstand kriminellste Stadt aller fiktionalen Welten? Hier und da gibt es schon einmal solche Szenen, doch in der Gesamtheit ist es dann doch eher verwunderlich. Somit Hand aufs Herz: Joker: Folie à Deux ist nicht mehr wirklich interessiert an dem Subversiven, dem Anarchistischen, dem Radikalen, was Teil Eins vereinte. Doch an was ist er dann interessiert? Auf jeden Fall nicht an einem linguistisch schwungvollen Narrativ à la The Trial of the Chicago 7. Auch nicht an einem Gefängnisfilm der alten Schule. Und schon gleich gar nicht an einem moralischen Diskurs im Gerichtssaal wie in dem Klassiker Die zwölf Geschworenen.

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Am meisten ist Joker: Folie à Deux wohl an dem Lösbaren interessiert, nicht im Kontext eines zuvor ungelösten Mysteriums psychologischer oder sonstiger Art. Vielmehr die Loslösung von Narrativen, Figuren, fiktionalen Welten und dem Kino an sich. Für die The Dark Knight-Trilogie hat Phillips nicht das Geringste übrig, so wie ihn auch Helden und Antihelden, wenn überhaupt, nur zweitrangig tangieren. Während das Konzept von Filmfigur und Alter Ego invertiert wird – anders als Robert Downey Jr. und seine Worte „I am Iron Man“, heißt es nun „I am not Joker“ – nimmt Phillips eine gänzlich andere Perspektive ein. Unmissverständlich auch von The Batman oder The Penguin distanziert, fühlt sich die Fortsetzung der etwas anderen Art deutlich wohler im Nostalgiebereich, wenn Singin’ in the Rain bis hin zu Die Regenschirme von Cherbourg referenziert werden. Doch auch eine Szene, die an La La Land (eigentlich auch nur eine meisterliche Verneigung vor dem Nostalgischen) erinnert, lässt sich ausmachen.

Der gesamte Soundtrack unterstreicht das alles zusätzlich. Unzählige Songs aus Jazz und R&B kommen hierbei zum Einsatz und schaffen das gewisse Etwas, das nur selten passiert. Filme oder Serien, die zuvor Songs wie “What the world needs now” oder “Close to You” (Simpsons-Experten werden wissen, dass dies der Hochzeitssong von Marge und Homer ist) nutzten, werden von dem Faszinosum, welches Joker: Folie à Deux auf die Leinwand bannt, nun überschattet. Bei jenen unvergesslichen Momenten fehlt nun nur noch der Faktor Zeit, um sie zu etwas Ikonischem reifen zu lassen.

Joker: Folie à Deux ist bei all seiner „Extravaganz“ jedoch nicht automatisch besser als sein Vorgänger. Zu wenig arbeitet Phillips mit Comichaftigkeit und Geisteskrankheit als Grundpfeiler des depressiven Musical-Dramas. Zu sehr verlässt er sich darauf, dass jeder Kinogänger ganz genau um die zuvor passierten Ereignisse weiß, die nun im Gerichtssaal aufgearbeitet werden. Doch bei all dem muss ein Faktor ganz klar gelobt werden: Anknüpfend an die Lesung im Kontext der Loslösung, versteht sich diese Produktion als ultimativer letzter Film über den ikonischsten Feind der Fledermaus. Bei all den modernen Fortsetzungen oder Spin-Offs, die im Worstcase immer gleichgültiger werden, gelingt Phillips das ganz Große. Er findet das letzte Puzzleteil in einem durch Jared Leto (Joker in Suicide Squad) oder dem letzten Batman-Film schon ohnehin überladenen Motiv, welches die dunkle Stadt von Gotham City zeichnet.

Kinostart: 3. Oktober 2024

Regie: Todd Phillips
Darsteller: u.a. mit Joaquin Phoenix und Lady Gaga
FSK-Freigabe: ab 16
Verleih Dt.: Warner Bros. Pictures Germany
Laufzeit: 2 St. 19 Min.

★★★★★★☆☆

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