"Magic, Magic" (USA 2013) Kritik – Roman Polanski hat einen Erben gefunden

Autor: Pascal Reis

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“Please don’t shoot.”

Chile, das Land am „Ende der Welt, wo der Teufel seinen Poncho verlor“, so ein Sprichwort, ist gerade aufgrund seiner klimatischen Kontradiktion für Globe-Trotter interessant: Dort gibt es nämlich nicht nur die Anmut des pazifischen Ozeans zu bestaunen, sondern auch die schneebedeckten Gipfel der Anden, grüne Seenregionen und spröde Wüsten – Für Naturdokumentationen also ein echtes Schlaraffenland. Filmisch aber konnte uns der letzte Ausflug in das südamerikanische Land im Januar mit „Aftershock“ nicht gerade in Verzückung setzen. Eli Roth, der dort als Hauptdarsteller, Co-Autor und Produzent in Personalunion fungierte, präsentierte einen blutig-zynischen Genre-Film, dem so ziemlich alles missraten ist, was einem solchen Projekt nur missraten kann. Der chilenische Autorenfilmer Sebastián Silva aber lädt uns nun mit „Magic, Magic“ in sein Heimatland und beweist, dass Chile sicherlich kein Indikator für schlechtes Material sein muss. Ganz im Gegensatz: „Magic, Magic“ ist sogar nach Jeff Nichols „Mud“ und Takashi Miikes „Lesson of the Evil“ der nächste große Knaller des diesjährigen Direct-to-DVD-Markts.

Sebastián Silva stellt sich mit seiner dritten Regiearbeit „Magic, Magic“ ganz in die Tradition subtiler Psycho-Thriller der Marke „Ekel“. Wie schon im internationalen Durchbruch von Roman Polanski, steht auch in „Magic, Magic“ mit Alicia eine junge Frau im Mittelpunkt, die zusehends an ihren Psychosen zu zerbrechen droht. Juno Temple („Killer Joe“) spielt diese Alicia mit einer beeindruckend pointierten Performance, in der sie ihren Terror im Kopf niemals an eine plakative Gestik und Mimik verschenkt, sondern den bipolaren Tonus des Films über die gesamte Strecke wahrt. Und in dieser permanenten Mehrdeutigkeit liegt primär die Stärke vom Drehbuch: Wir erfahren „Magic, Magic“ durch die Emotionen seiner Protagonistin und müssen folgerichtig ihren pathologischen Zustand am eigenen Leibe spüren. Silva treibt sodann ein trügerisches Spiel mit unserer Wahrnehmung, in dem er die konkreten Grenzen zwischen Realität und Halluzination, zwischen den psychischen Auswirkungen von Alicias Angststörung und dem Tatsächlichen zunehmend verschwimmen lässt. Wo wir anfangs ein etwas unsicher wirkendes Mädchen vorgestellt bekommen, finden wir uns bald verloren im Irrgarten ihrer geschundenen Seele wieder.

„Magic, Magic“ lässt die stupiden Psychologisierungsversuche aber in der Waschküche verrotten: Ursprünge für ihre psychische Störung bleiben weitestgehend ungeklärt, der Grund für ihre mögliche Traumatisierung damit auch angenehm im Verborgenen. Das Motiv des sich anbahnenden Todes jedoch zieht sich von Anfang an durch das Szenario. Symbolbehaftete Tierwesen stanzen die schmerzhaften Facetten ihres gequälten Innenlebens mit dem inszenatorischen Faible für Naturmystik synergetisch immer weiter aus. Silva aber lässt sich viel Zeit, bereitet die Klimax im Finale schleichend-bedrückend vor und schafft es so, „Magic, Magic” im Kontext des „seltsamen“ Verhaltens seiner Hauptdarstellerin, eine soziologische Komponente anzufügen, die die, durchaus verständlichen, Reaktionen ihrer Mitmenschen thematisiert: Erst wird sie belächelt, mit verständnislosen Blicken herabgewürdigt, bis die Mundwinkel irgendwann nach unten klappen und feststeht, dass Alicia offensichtlich dringend Hilfe benötigt. Neben Emily Browning als Alicias Freundin, beeindruckt gerade der undurchsichtige Michael Cera, den man eher als schlaksigen Pausenclown und schüchternen Vollnerd aus Filmen wie „Superbad“ und „Juno“ in Erinnerung behalten hat.

Im Endeffekt ist „Magic, Magic“ gewiss kein Horrorfilm, sondern ein psychologisch grundiertes Charakter-Drama, in dem sich eine junge Frau auf den steinigen Pfad ihrer Seelenbefreiung begibt. Ob Silva ihr dann auch ihre ersehnte Katharsis erlaubt, ist in Anbetracht der Vorkommnisse aus der rationalen Perspektive eigentlich erst mal zu bestätigen, wenn auch nicht vollends. In diesem Augenblick, wenn man schließlich glaubt, Alicia wäre am Ziel angekommen, sie dürfte sich endlich fallen lassen, erlaubt „Magic, Magic“ wieder durchaus Zweifel am Gezeigten, ja eigentlich an der persönlichen Perzeption im Generellen. Wenn Silva es sich zum Ziel gesetzt haben sollte, den Frühwerken eines Roman Polanskis Tribut zu zollen, dann kann man ihm für „Magic, Magic“ nur gehörige Anerkennung schenken. Sicher ist das noch nicht auf dem komplexen Niveau des polnischen Meisters, aber er rückt ihm so nah auf den Pelz, wie schon lange kein Film mehr.

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