Netflix-Kritik: Blond (USA 2022)

Watched by all, seen by none.

Seit Blond am 8. September bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig Weltpremiere feierte, drischt die Mehrheit des Publikums auf die neuste Arbeit von die Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford-Regisseur Andrew Dominik ein. Seit gestern (28. September 2022) ist das skandalöse Marilyn Monroe Biopic nun exklusiv im Netflix-Abo enthalten. Und mit dem Streaming-Start gibt es jetzt hier noch zwei Meinungen mehr, die für den Film in die Bresche springen.

Blond-2022-Ana-de-Armas
© Netflix
Für Philippe ist Blond schon jetzt einer der visionärsten, mutigsten Filme des noch jungen Jahrzehnts:

So muss es sich damals wohl angefühlt haben, als man zu den wenigen gehört hat, die gewisse Skandalfilme von Stanley Kubrick, Pier Paolo Pasolini, Gaspar Noé, David Lynch und anderen zu ihrer Veröffentlichung verteidigt – oder sie gar als wegweisend betrachtet – haben. Ich selbst hatte ehrlich gesagt nicht daran geglaubt, dass uns Andrew Dominik tatsächlich eine schonungslose Passionsgeschichte von Marilyn Monroe vorlegen würde und ich gebe auch zu, dass ich das NC-17 (FSK 18) Rating für einen Marketing-Gag hielt. Obwohl mir durchaus bewusst war, dass Andrew Dominik, der bisher mit jedem einzelnen seiner Filme (auch Chopper und Killing Them Softly) den amerikanischen Mythos auf die Probe gestellt hat, mit Blond definitiv alles andere als einen leicht verdaubaren Abgesang auf die mit 36 Jahren an Suizid verstorbene Schauspielikone und deren Leben vor sowie hinter der Kamera drehen würde.

“Zu explizit”, “misogyn” und “exploitativ”, mit dieser reduzierten Betrachtung auf einzelne Schlagwörter wird Blond zunehmend von der Mehrheit kritisiert. Weshalb ich mich nur fragen kann, ob manche denselben Film gesehen haben. Sicher ist: Andrew Dominik traut sich, wie schon die gleichnamige Buchvorlage von Joyce Carol Oates (2000), diskutable Freiheiten zu – von Marilyn Monroes alles entscheidenden Casting-Call bis zu einem Date zwischen ihr und Ex-Präsident John F. Kennedy. Doch in all dem, worin viele eine Ausbeutung der Schauspielerin sehen, steckt offenkundig so viel mehr. Was auch immer in Blond passiert, die Kamera interessiert sich stets für die Gefühlswelt von Marilyn Monroe, die unbeschreiblich verletzlich, aber auch wandelbar und auf den Punkt von Ana de Armas gespielt wird. Die vielen Close-Ups sind eindeutig von Carl Theodor Dreyer inspiriert. Nicht minder beeindruckend als die Kameraarbeit ist Nick Caves musikalische Begleitung – Blond ist in jeder Hinsicht originell, ganz und gar nicht an moderne Sehgewohnheiten angepasst und schreckt auch nicht davor zurück auf sämtlichen Ebenen Themen wie Kindheitstraumata, die Sexualisierung von (Frauen-)Körpern oder auch häusliche Gewalt in Form von horrorhaften Szenen Ausdruck zu verleihen. Das jedoch zumeist aus der Sicht von Marilyn Monroe selbst – wie beispielsweise während einer Filmpremiere, bei welcher die Horde an wildgewordenen männlichen Fans und Journalisten von ihr als ekelerregende, weit aufgerissene Fratzen wahrgenommen werden.

Wechselt die Kamera dann doch mal die Perspektive, so zumeist nur, um den sexualisierten Blick, den beispielsweise Journalisten oder Produzenten auf Monroe hatten, zu dokumentieren. Oder um Gerüchte, die zu Monroes Lebzeiten in die Welt gesetzt wurden, ad absurdum zu führen. Insbesondere in dieser Hinsicht ist es nicht zu verstehen, wie in Zeiten, in denen zuletzt nicht nur Johnny Depp und Amber Heard öffentlich vorgeführt wurden, sich Medien und Publikum gleichermaßen wie hungrige Geier auf das Leben der beiden stürzten, ausgerechnet der einzige Film schlecht gemacht wird, welcher diesem fragwürdigen Verhalten den Spiegel vorhält. Diejenigen, die dieser Film aus oben genannter eingeschränkter Betrachtung und wegen des eigenen fehlenden Abstandhaltens zum Geschehen auf der Leinwand wütend macht, entlarven sich am Ende in Wirklichkeit nur selbst.

Persona made in Hollywood! Blond ist schon jetzt eines der wenigen modernen Ausnahmewerke, über welche wir noch in Jahrzehnten heiß diskutieren werden. So schockierend, aufwühlend und schwer zu ertragen all das, was uns Andrew Dominik mit seinem Blick auf die nicht so glamourösen Seiten der Unterhaltungsbranche im Allgemeinen und Hollywood im Speziellen zu sagen hat, oft ist, am Ende gelingt es ihm sogar Marilyn Monroe aka Norma Jeane Baker ihren verdienten Seelenfrieden zu schenken. Blond ist die meisterhafte Arbeit jedes einzelnen an der Umsetzung Beteiligten etwas zu kreieren, was größer ist als sie selbst. Und ist nicht schablonenartig erzählt und inszeniert wie alle anderen Biopics, die alljährlich aus Hollywood kommen und in jeder einzelnen Szene auf Nummer sicher gehen, um bloß nicht anzuecken.

Blond-2022-Filmkritik-Trailer
© Netflix
Auch Gastautor Jan kann die sich häufenden negativen Rezensionen nicht verstehen, hat aber den einen oder anderen Kritikpunkt:

Basierend auf dem gleichnamigen Roman der amerikanischen Autorin Joyce Carol Oates, ist nun endlich Andrew Dominiks heißerwartetes Marylin Monroe-Biopic bei Netflix zu sehen. Und wie heißt es dort im Teaser-Text so schön? Blond sei eine „fiktive Neuinterpretation der Frau hinter der Ikone“. Eine treffende Beschreibung, da es sich bei Blond eben nicht um ein starres, rein faktenbasiertes Biopic, sondern um ein mit Mythen und Gerüchten aufgeladenes Werk handelt. In dessen Zentrum steht die Privatperson Norma Jean Baker, die das schillernde Leben ihrer fast schon als zweiten Persönlichkeit anmutenden Marylin Monroe geradezu verachtet. Ihre steile Hollywood-Karriere wird daher lediglich als Randnotiz wahrgenommen, stattdessen steht eine zerbrechliche junge Frau im Fokus, die von allen nur wie ein Stück Fleisch behandelt wird. Schon lange vor dem tragischen Ende hinterlässt Blond daher einen äußerst beklemmenden Eindruck, der vom typischen Hollywood-Star-Biopic gar nicht weiter weg sein könnte. Die lange Laufzeit von 166 Minuten ist ebenfalls nicht störend, auch wenn es gerne etwas kürzer hätte ausfallen dürfen. Die letzte halbe Stunde, in der Norma Jean im Tablettenrausch ihrem Ende entgegentaumelt, fühlte sich nämlich doch etwas zäh an.

Im Vorfeld hat zudem das seltene NC-17-Rating für Aufsehen gesorgt, welches einige sehr explizite Sexszenen suggerierte. Allerdings entpuppt sich diese Alterseinstufung als schlechter Witz, da es außer freiliegenden Brüsten rein gar nichts Explizites zu sehen gibt. Vieles spielt sich im Kopf des Zuschauers ab, was den Film natürlich nicht weniger aufwühlend macht. Hauptdarstellerin Ana de Armas musste für den Film deswegen über ihre eigenen Grenzen gehen, was allerdings auch nicht in jeder Szene unbedingt nötig gewesen wäre, denn nicht alle ihrer Oben-ohne-Szenen wirken nötig. Den Kritikpunkt, dass Blond ganz klar von einem Mann inszeniert wurde, muss sich der Film also teils schon gefallen lassen, da Ana de Armas durchaus etwas sexualisiert wird, was angesichts der Kritik an der Sexualisierung Monroes einen faden Beigeschmack hinterlässt. Die talentierte Darstellerin zeigt trotzdem ihr ganzes Können und liefert in der Haut der Filmikone eine herausragende Performance ab. Auch ihr leicht spanischer Akzent ist nach wenigen Minuten vergessen und so würde es mich doch schwer wundern, wenn Ana de Armas nicht mindestens mit einer Oscar-Nominierung honoriert werden würde. Für Andrew Dominik dürfte es hingegen schwer werden, dafür ist Blond ein zu eigenwilliges Werk, das vom Regisseur sowohl in Farbe als auch in Schwarz-Weiß sowie in unterschiedlichen Bildformaten in Szene gesetzt wurde.

Das Marylin Monroe-Biopic gehört zu den aufregendsten Filmprojekten des Jahres und wird am Ende sicherlich zu einem der Meistdiskutierten werden. Dass sich einige an der langen Laufzeit und der fiktionalisierten Geschichte des Werks stören, ist verständlich, gleichzeitig gelingt Regisseur Andrew Dominik aber auch ein faszinierender Blick hinter die Fassade der schillernden Hollywood-Ikone. Die hypnotischen Bilder, der originelle Soundtrack von Nick Cave sowie der finstere Grundton machen den neuen Netflix-Film zu etwas ganz Besonderem, auch wenn der letzte Funke nicht ganz zu mir überspringen wollte. Allein die herausragende Performance von Ana de Armas, die trotz ihres Akzents geradezu mit dem Star verschmilzt, macht Blond schon zu einem sehenswerten Film. Meine größten Kritikpunkte am Biopic sind die etwas zähe letzte halbe Stunde und die Sexualisierung von Ana de Armas, deren Oben-ohne-Szenen in dieser Häufigkeit nicht notwendig gewesen wären. Vor allem in einem Film, der die Sexualisierung von Marylin Monroe derart klar anprangert. Ein ebenso eigenwilliges wie faszinierendes Werk also, das ich allen Arthouse-Fans nur schwer ans Herz legen kann und wenn es nur darum geht, mitdiskutieren zu können.

Und wie steht ihr zu Blond?

 Hier könnt ihr euch noch die Pressekonferenz von der Venedig-Premiere anschauen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.