Autor: Conrad Mildner
Wieder ist ein Jahr vorbei und es rieseln die Listen in unsere Browser. An dieser Stelle möchte ich gerne meine liebsten Filmsichtungen des Jahres präsentieren, besonders weil ich 2014 als ein starkes Kinojahr empfand. Zwar wurde es weiterhin schwerer vor lauter Hollywood-Franchises und Feel-Good-Sauce à la “Monsieur Claude und seine Töchter” die Fahne der Filmkunst hoch zu halten, doch gelang es so vielen Filmen mein Herz zu gewinnen, dass ich mich glatt dazu genötigt fühle eine große Top-25-Liste zusammen zu stellen. Allerdings, auch mit dem größten cineastischen Eifer gelingt es nicht alle Filme im Jahr zu sehen, von denen andere Filmfans begeistert waren. So schafften es u.a. Filme wie Lav Diaz’ “Norte”, “The Touch of Sin”, “Citizenfour”, “Magic, Magic”, “Begegnungen nach Mitternacht”, “Borgman” und “Timbuktu” nicht auf meine Watchlist, dennoch glaube ich eine aussagekräftige Filmauswahl getroffen zu haben. Viel Spaß mit meiner Top 25 der besten Filme 2014!
25. Der Samurai
von Till Kleinert, mit Michel Diercks und Pit Bukowski
Mit Katana und weißem Kleid metzelt sich ein blonder Hühne durch die deutsche Provinz in diesem wuchtig queeren Low-Budget-Horror-Action-Achwasweißich-Film, der so gar nicht wie typisches Filmhochschulfutter anmutet und dem teutonischen Genrestoffwechsel endlich den nötigen Schub gibt.
24. I Used to Be Darker
von Matthew Porterfield, mit Deragh Campbell und Kim Taylor
Wem “Can a Song Save Your Life?” zu leichtfüßig daher kam, konnte dank Indie-Regisseur Porterfield dieses Jahr in melancholisch sinnliche Folktiefen eintauchen und sich im verblichenen Glanz altmodischer Americana sonnen. Schön!
23. Tiefe Wasser
von Tomasz Wasilewski, mit Katarzyna Maciag und Michal Grzybowski
Dank der großartigen Kameraarbeit und einem äußerst konsequenten Ende gelang es Wasilewskis erzählerisch manchmal arg zu konventionell geratenem Coming-Out-Film sich in meinem Gedächtnis festzubeißen. Schönere Sehnsuchtsbilder gab es im Kino dieses Jahr kaum zu sehen.
22. Nymph()maniac 2
von Lars von Trier, mit Charlotte Gainsbourg und Stellan Skarsgård
Auch wenn es schwer fällt beide Filme einzeln voneinander zu betrachten, wirklich interessant fand ich nur den zweiten Teil von Lars von Triers infamen Sex-Epos. Zwar amüsiert die verspielte Seite von Teil 1, ohne Frage, doch wirklich in die Vollen ging es erst beim Peischenspiel zwischen Gainsbourg und Jamie Bell, die dem kommenden SM-Debakel “Fifty Shades of Grey” auch gleich mal gezeigt haben, wo der Frosch die Striemen hat. Sexy!
21. Höhere Gewalt
von Ruben Östlund, mit Johannes Kuhnke und Lisa Loven Kongsli
Zurecht wurde “Höhere Gewalt” mit zahlreichen Preisen überhäuft. Mit viel Humor und ebenso viel Fingerspitzengefühl entzaubert Östlund das Heil der heteronormativen Kleinfamilie.
20. Polizeiruf 110: Smoke On The Water
von Dominik Graf, mit Matthias Brandt und Anja Schiffel
Wahrlich düster wurde mal wieder das genügsame Sonntagabendfernsehen als Kommissar von Meuffels einer hochrangigen, politischen Intrige auf die Schliche kam. Graf ist feinstes Paramoia-Kino gelungen, erbarmungslos und konsequent wie das Debüt eines frischen New-Hollywood-Recken. Hach…
19. All is Lost
von J.C. Chandor, mit Robert Redford
Apropos New Hollywood, ein Veteran dieses Kinos brillierte dieses Jahr vor der Kamera. Robert Redford suchte als grummeliger, alter Mann die Seligkeit auf hoher See. Fast ausschließlich ohne Dialoge und dafür reich an Beobachtungen inszenierte Chandor quasi die Antithese zu seinem Debüt “Margin Call”. Salzig!
18. Das merkwürdige Kätzchen
von Ramon Zürcher, mit Jenny Schily und Anjorka Strechel
Berliner Schule goes funny! Ein Kaleidoskop der Alltäglichkeit innerhalb einer mittelständischen Familie. Nur die Katze, die benimmt sich nicht wirklich merkwürdig.
17. Interstellar
von Christopher Nolan, mit Matthew McConaughey und Anne Hathaway
Das, was Nolan zu einem äußerst filmischen Regisseur macht, ist sein bevorzugtes Arbeitsmaterial, die Zeit, die im Film, wie im Gravitationsfeld eines Schwarzen Lochs, stets gedehnt und komprimiert werden kann. Dass unser kurzes Leben und das des Universums auf Zelluloid überhaupt korrelieren kann, ist bei weitem das schönste an diesem ohnehin wundervollen Film.
von Jemaine Clement und Taika Waititi
Diese beißend komische (ho ho ho!) Vampir-Mockumentary aus der Feder der “Flight of the Conchords”-Macher hat es geschafft mich für die schwierige Lebenssituation moderner Vampire zu sensibilisieren.
15. The Homesman
von Tommy Lee Jones, mit Hilary Swank und Tommy Lee Jones
Was hatte ich dieses Jahr beim Münchener Filmfest geschrieben nach dem ich “The Homesman” gesehen hatte? *blättert nach* Vielleicht ist der Western doch das schönste Filmgenre überhaupt.
14. Edge of Tomorrow
von Doug Liman, mit Tom Cruise und Emily Blunt
Es wäre natürlich kein Tom-Cruise-Film, wenn der Saulus nicht zum Paulus werden würde. 08/15 ist hier aber allenfalls der Plot. Die Montage ist schon mal ziemlich awesome. Oh ja, und den Gesetzen der sogenannten Awesomeness folgend, inszeniert Action-Virtuose Doug Liman ein Spektakel vom feinsten. Ob nun filmgewordenes Videospiel oder game-infizierte 80er-James-Cameron-Replik, “Edge of Tomorrow” ist so “dark and gritty” wie es die wenigsten Blockbuster sind und dabei so zynisch witzig wie es keiner mehr ist.
13. Coherence
von James Ward Byrkit, mit Emily Baldoni und Nicholas Brendan
Mit Minimalbudget und einer hochtalentierten Besetzung hat James Ward Byrkit (u.a. Co-Autor für “Rango”) im eigenen Wohnzimmer einen Body-Snatcher-Film der Extraklasse gedreht. Die spröde 5D-Kamera-Ästhetik korreliert zumindest mit den halb-improvisierten, naturalistischen Dialogen, verweigert aber jegliche visuelle Höhepunkte. Dafür ist der quasi Sci-Fi-Film so tight geschnitten und dramatisiert, dass kaum Luft zum Atmen bleibt.
12. The Strange Color of Your Body’s Tears
von Hélène Cattet und Bruno Forzani, mit Klaus Tange und Jean-Michel Vovk
Giallo goes Lynch! Ein rätselhaftes Art-Déco-Gebäude wird zum Spinnennetz dreier Männer und zum Spielplatz ihrer sexuell-mörderischen Dämonen. Ein dionysisches Fest für die Augen!
11. Gone Girl
von David Fincher, mit Ben Affleck und Rosamund Pike
Er hat’s schon wieder getan. Nach ein paar schwächeren Filmen, meldet sich der Maestro des Thrillers zurück. Finchers “Gone Girl” macht einfach eine Menge Spaß, denn so herrlich garstig und blutig wurde in Hollywood schon lange nicht mehr geliebt. Da wird man ja glatt zum Romantiker.
10. Die geliebten Schwestern
von Dominik Graf, mit Hannah Herzsprung und Florian Stetter
Wer so fleißig ist wie Dominik Graf, braucht sich nicht zu wundern, wenn er es zwei mal auf eine Jahresliste schafft. Hier hat der Rekord-Grimmepreisträger aber mal wieder, nach längerer Pause, einen Kinofilm gedreht. Und zwar einen, der so gar nicht ins genre- und schmutzerprobte Werk der letzten Jahre passen möchte. “Die geliebten Schwestern”, der zu unrecht leer bei der diesjährigen Berlinale ausging, ist dennoch ein typischer Graf geworden, der den Staub des Kostümfilms gekonnt abschüttelt und Historie wahrlich erfahrbar macht.
9. Short Term 12
von Destin Cretton, mit Brie Larson und John Gallagher Jr.
Wenn doch nur alle Sundance-Filme so wären wie dieses Meisterstück. Kaum zu glauben, dass Destin Cretton erst zwei Filme gedreht hat. “Short Term 12” mag eine einfache Geschichte erzählen, doch die wird auch mit größter Raffinesse vor uns ausgebreitet, Stück für Stück. Cretton hat selbst mal in einem Kinderheim gearbeitet. Das erklärt die feinen Beobachtungen. Brie Larson spielt derweil oscarverdächtig. Ein großer, kleiner Film, der einfach alles richtig macht. Bitte mehr davon!
8. Nightcrawler
von Dan Gilroy, mit Jake Gyllenhaal und Rene Russo
Wenn wir schon von Oscars sprechen, da muss schon viel Anfang nächsten Jahres schief gehen, damit Jake Gyllenhaal leer ausgeht. Der vielseitige Darsteller hat dieses Jahr mit “Enemy” und “Nightcrawler” einen famosen Doppelschlag ausgeführt. Als ausgemergelter Lou Bloom führt er in Dan Gilroys beeindruckendem Regie-Debüt den American Dream in neue unmenschliche, kapitalistische Höhen. Ein schmutziger und genialischer Film, nach dem man sich eigentlich sofort waschen will. Toll!
7. Mommy
von Xavier Dolan, mit Antoine-Olivier Pilon und Anne Dorval
Im an das frühe Kino gemahnenden quadratischen Bildformat von 1:1 und knalligen Farben sowie sanfter Schärfen entfaltet sich ein intimes Epos zwischen drei Figuren. Dolans sehr am Musical orientierter Regie-Stil zwischen Tanzeinlagen und Songmontagen hat bereits schon vorher viele verschreckt und auch ich hatte damit z.B. bei “Laurence Anyways” meine kleinen Schwierigkeiten, aber hier macht es absolut Sinn. Gerade die kraftvollen Schauspieler_innen liefern sich einen quasi Wettstreit mit der Form wer die meiste Energie hat. “Mommy” ist in seiner Gefühlsbetontheit ebenso eine Art Feelgoodmovie, aber er ist nie verlogen oder macht es dem Publikum zu leicht. Es ist, und ja ich weiß das klingt abgedroschen, eine wahrhaftige Feier des Lebens.
6. Phoenix
von Christian Petzold, mit Nina Hoss und Ronald Zehrfeld
Wie eine “Vertigo”-Hommage aussehen kann, demonstrierte Christian Petzold mit seinem hochstilisierten Melodram “Phoenix”. Ein strenger und kopflastiger, typisch deutscher Film, dessen emotionaler Strudel gegen Ende allerdings alles erfasst, was nicht vorher aus dem Kino geflohen ist. Fantastisch!
von Jean-Pierre und Luc Dardenne, mit Marion Cotillard und Fabrizio Rongione
Eine bessere filmische Lehrstunde in Solidarität und Menschlichkeit wird es wohl so schnell nicht mehr geben. Die Dardennes haben sich mit ihren hybriden, zwischen Realität und Fiktion sowie Komplexität und Einfachheit changierenden, Filmen ein völlig eigenes Kino erarbeitet und Zwei Tage, eine Nacht ist dessen atemberaubender Höhepunkt.
4. Die Wolken von Sils Maria
von Olivier Assayas, mit Kristen Stewart und Juliette Binoche
“Die Wolken von Sils Maria” ist so reich kodiert, beleuchtet die Stati des europäischen sowie amerikanischen Kinos im Zeitalter des Web 2.0 und ergibt sich zugleich völlig seiner fantastischen Besetzung. Die ausgedehnten Dialoge zwischen Stewart und Binoche kitzeln wahrlich die letzten Reserven aus diesen zwei Ausnahmeschauspielerinnen. Der britische Regisseur Paul Greengrass hat mal gesagt, dass man filmische Wahrheiten erkennt, wenn man sie sieht. Olivier Assayas’ Meisterwerk überschwemmt dich mit ihnen.
3. Under The Skin
von Jonathan Glazer, mit Scarlett Johansson und Paul Brannigan
Es ist wahrscheinlich der Film des Jahres. Nachdem der deutsche Verleih ankündigte den Festivalliebling “Under The Skin” nur auf Video zu veröffentlichen, gingen die Fans auf die Barrikaden. Am Ende geschah das ungewöhnliche. Entgegen der Entscheidung des Verleihs, fingen Kinos an den Film in ihr Programm aufzunehmen. Damit kam Glazers untypischer Sci-Fi-Film hierzulande gleichzeitig auf DVD und ins Kino. Kluge Menschen haben sich diesen visuellen Hochgenuss natürlich auf der großen Leinwand angesehen. Wo sonst?
2. Snowpiercer
von Joon-ho Bong, mit Chris Evans und Tilda Swinton
Joon-ho Bongs Film atmet Bilder, beschleunigt und verlangsamt sie, heftet sich an Gestik und Mimik, kodiert und dekodiert, ist berauschend körperlich und sinnlich bis in die Fingerspitzen, 126 Minuten lang und hat dennoch kein Gramm Fett zu viel. Das Drehbuch kann an dieser Stelle nicht genug gelobt werden. Jeder aufgegriffene Faden wird vernäht. Form und Inhalt sind gleichermaßen abstrahiert. Sie bilden ein makelloses Gewebe. Logik-Fetischist_innen können ja zur Beruhigung in ihren alten Mathebüchern blättern. Alle anderen erleben dagegen eine atemberaubende Parabel.
1. Die Legende der Prinzessin Kaguya
von Isao Takahata
Die Legende der Prinzessin Kaguya kann als perfektes Abschlusswerk gelesen werden, weil hier alle Topoi Takahatas eine stimmige Synthese erfahren. Beginnend im frühen Japan als reizend sinnliche Naturerzählung inszeniert, in der ein Kleinkind lernt die ersten Schritte zu gehen und die Welt um sich herum zu entdecken, wandelt sich der Film leise in ein beißendes Porträt des damaligen Feudalismus. Wie schon in Die letzten Glühwürmchen und Tränen der Erinnerung wird das kindliche Paradies vom menschengeschaffenen Kulturapparat ausgelöscht. Schlicht größtmögliche Kunst!
Das war es aber noch nicht ganz mit dem Jahresrückblick. Ich vergebe nämlich noch meine CinemaForever-Awards. Zum Schluss folgt dann eine etwas andere Most-Wanted-Liste für 2015.
Beste Darstellerin: Charlotte Gainsbourg in “Nymph()maniac”
Bester Darsteller: Chris Evans in “Snowpiercer”
Newcomer_in des Jahres: Destin Cretton (“Short Term 12”)
Lieblingsszene: Nina Hoss singt Kurt Weills “Speak Low” und entblößt ihre Identität am Ende von Christian Petzolds “Phoenix”.
Beste Bildgestaltung: “Under The Skin” (DoP: Daniel Landin)
Filmposter des Jahres: “Under The Skin” (Design: Neil Kellerhouse)
Größte Enttäuschung: “The Zero Theorem” von Terry Gilliam
Schlechtester Film des Jahres: “Maze Runner: Die Auserwählten im Labyrinth” von Wes Ball
Zum Abschluss gibt es nun eine kleine Liste von tollen Filmen, die ich zwar dieses Jahr gesehen habe (z.B. auf diversen Festivals), die aber bis jetzt immer noch keinen deutschen Kinostart, geschweige denn einen DVD-Release haben. Ich hoffe daher inständig, dass es diese Perlen im Jahr 2015 zu uns schaffen werden, damit sie noch von viel mehr Leuten gesehen werden können.
5. Kumiko, The Treasure Hunter (David Zellner)
4. Frank (Lenny Abrahamson)
3. The Tribe (Miroslav Slaboshipitsky)
2. From What is Before (Lav Diaz)
1. Adieu au Langage (Jean-Luc Godard)
Ihr habt noch nicht genug von Bestenlisten und Jahresrückblicken? Dann schaut doch mal bei den Listen meiner Co-Autoren Pascal (HIER) und Philippe (HIER) vorbei.
wo ist boyhood?
beste grüße
rst
Der war gut, hat es aber nicht ganz in meine Top 25 geschafft. 🙂
Der war gut, hat es nur nicht ganz in meine Top 25 geschafft. 🙂
wo ist boyhood?
beste grüße
rst