Kritik: Inherent Vice (USA 2014)

© Warner Bros.
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She came along the alley and up the back steps the way she always used to. Doc hadn’t seen her for over a year. Nobody had. Back then it was always sandals, bottom half of a flower-print bikini, faded Country Joe & the Fish t-shirt. Tonight she was all in flatland gear, hair a lot shorter than he remembered, looking just like she swore she’d never look.

Erich von Stroheim hat 1924 Frank Norris’ Roman „McTeague“ angeblich Seite für Seite verfilmt. Heraus kam „Gier“. Der acht bis zehn stündige „Director’s Cut“ ist bis heute verschollen, da das Studio Stroheims megalomanische Adaption radikal stutzte und verscharrte. Es existiert nur noch eine 239 minütige restaurierte Fassung. Auch Stanley Kubrick adaptierte gerne Literatur. „”If it can be written or thought, it can be filmed.“” soll er gesagt haben. Body-Horror-Legende David Cronenberg konterte dagegen mit der klugen Einsicht, dass eigentlich kein Buch verfilmbar ist, es sei denn, man filmte die Seiten des Buches selbst. Ganz so weit hat es Paul Thomas Anderson nicht getrieben, auch wenn die ehrfürchtige Treue zu Thomas Pynchons 2009er Roman „Natürliche Mängel“ unübersehbar ist. Angeblich bestand Andersons Drehbuchadaption einzig und allein daraus die Prosa zu entfernen und die Dialoge abzuschreiben. Vielleicht war das nicht die schlechteste Idee, passt „Inherent Vice“ doch vorzüglich in Andersons derzeitige Schaffensphase, die mit „There will be Blood“ und „The Master“ bereits zwei Filme vereint, die sich wie Literatur anfühlten, ohne wirklich welche zu sein. „Punch-Drunk Love“, „Magnolia“ und „Boogie Nights“ waren dagegen wilde Kinoträume, in Zelluloid gedacht und geboren.

„Inherent Vice“ hätte den alten Glanz des frühen Anderson noch einmal aufleben lassen können, doch trotz Pynchons humorvoller Vorlage, bleibt P.T.A., wie er liebevoll von Fans genannt wird, auf seinem aktuellen, ästhetischen Kurs. Anders als der ebenfalls in den 70ern spielende „Boogie Nights“, dessen tänzerischer Titel die enormen Bewegungen der Kamera schon erahnen lässt, wartet und lauert Robert Elswitts Kamera in „Inherent Vice“ und überlässt lieber den Schauspieler_innen die Bühne. Sie beobachtet die Dialoge, die sich Szene für Szene wie am Fließband neu ergeben, nähert sich zaghaft an bis zur Nahaufnahme oder löst sie im schnöden Schuss-Gegenschuss-Muster auf. Die frühere Virtuosität Andersons ist strenger Reduktion gewichen, die manchmal sogar droht in spürbare Redundanz abzudriften.

Inmitten dieser Überhäufung an Text und Figuren dreht sich Joaquin Phoenix als kiffender Privatdetektiv Larry „Doc“ Sportello um sich selbst. Seine alte Flamme und Hippiekumpanin Shasta (Katherine Waterston) hat sich einen reichen Immobilienmogul geangelt, der Opfer einer Verschwörung werden soll. Seine Frau und ihr Lover wollen ihn ins Irrenhaus stecken. Als Shasta und ihr schwerreicher Schwarm dann wirklich spurlos verschwinden, muss Sportello seinen Hintern von der Couch bewegen und nicht nur die Fragmente seiner Beziehung zu Shasta auflesen, sondern auch den Kräften eines neuen, amalgamierten Kapitalismus strotzen. Da gibt es nicht nur den jüdischen Immobilienmagnaten, der mit Nazis sympathisiert, sondern auch durch McCarthy gefallene Hollywood-Stars, die Drogen ins Land schmuggeln, von denen rechts wie links, arm und reich profitieren. Die Nebenwirkung: Heroin zerstört das Gebiss und die Zahnärzte in ihrem Goldpalast reiben sich bereits erregt die Hände. Die alten ideologischen Fronten: Was sich früher feindlich gegenüber stand, teilt sich neuerdings die Gewinne.

Der gigantische, historische Überbau des Romans hat in Paul Thomas Anderson, dem amerikanischen Chronisten der Gegenwart, den perfekten Erfüllungsgehilfen gefunden und die zahlreichen Referenzen können auch unmöglich beim ersten Sehen verstanden werden. Allein die Liste an kuriosen Namensschöpfungen ist faszinierend. Die Dialoge sind überaus witzig und lüften glücklicherweise Andersons distanzierte Inszenierung von innen. Dennoch, alles bleibt enorm konzentriert. „Inherent Vice“ taumelt nie oder überschlägt sich; keine Anarchie, wenig Schmutz. Auch wenn der Film mehr nach den 70ern aussieht als Filme aus den 70ern, bleibt er ein Kommentar, ein analytischer Blick in die Vergangenheit. Die texturreichen Bilder dieses 35mm-Traums kommen dann doch eher Fotos in einem Album näher als der Mimikry eines Films von 1971, was zugegeben ja auch die interessantere Sichtweise ist.

„Inherent Vice“ erzählt als müßiggängerischer Reigen zahlloser Schauspieler_innen-Begegnungen letztendlich dann doch mehr über unsere Gegenwart, von verblichenen Weltbildern und der Abwesenheit analoger Räume. So eine Kameraeinstellung wie die, wo Sportello und Shasta geläutert und wiedervereint im Auto sitzen, sie lehnt an seiner Schulter, er schaut auf die Straße und die Welt herum ist ausgeblendet. Solche Bilder sind abhanden gekommen, irgendwie altmodisch. Es ist nicht nur das flirrende Filmkorn und die verwaschenen Jacken, haarigen Koteletten und fehlenden Displays. Anderson selbst widerspricht überhaupt dem digitalen Mainstream. Eine Crime-Story ohne Schmodder, dafür mit vielen Dialogen und wenigen Kamerabewegungen? Eine Zeit fern der Gegenwart, konserviert auf „altmodischem“ 35mm-Film? Wie viele Produzent_innen, New-Economy-Spezis und PR-Agenturen wohl gerade die Hände über dem Kopf zusammen schlagen? Zumindest wird „Inherent Vice“ mehrheitlich im glorreich fortschrittlichen DCP-Format vertrieben. Beim New Yorker Filmfestival letztes Jahr wurde er dagegen noch analog projiziert, umringt von der digitalen Mehrheit. Es lässt sich nicht verneinen. (Diese Art von) Kino ist ein Relikt. Ich denke, wir sollten Filme wie „Inherent Vice“ schätzen, solange sie noch sichtbar sind.

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