Kritik: Labor Day (US 2013)

Autor: Conrad Mildner

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“I don’t think losing my father broke my mother’s heart, but rather losing love itself.”

Auf dem BFI-Filmfest letztes Jahr in London herrschte bei der Vorführung von „Labor Day“ eine beklemmende Stille. Es war kaum zu erahnen, dass sich diese Stille in enttäuschte Pressestimmen verwandeln würde, die Jason Reitman zwar weiterhin gutmütig dessen Talent bestätigten, aber für seine stringente Adaption von Joyce Maynards „Der Duft des Sommers“ wenig übrig hatten.

Der Sohn von „Ghostbusters“-Regisseur Ivan Reitman hat die Karriere seines Vaters in nur wenigen Jahren übertroffen, spielten doch bereits seine ersten drei Filme, von „Thank you for Smoking“ bis „Up in the Air“, eine erhebliche Rolle in Hollywoods alljährlichem Awardszirkus. Sein letzter und wahrlich bester Film „Young Adult“ mit Charlize Theron hatte dagegen weniger Aufmerksamkeit generiert, trotz der erneuten Zusammenarbeit mit der seit „Juno“ gefeierten Drehbuchautorin Diablo Cody. Vielleicht war Reitmans düstere und in ihrer Tristesse Todd-Solondz-Filmen in nichts nachstehende Abrechnung einer abgehalfterten Highschool-Schönheit im Kern zu hoffnungslos für den Mainstream. So wirklich böse waren Reitmans Filme sonst ja nicht. Mit „Labor Day“ lässt der Regisseur und angebliche Thronfolger Billy Wilders das Komödienfach ganz hinter sich und widmet sich einem anderen uramerikanischen Genre, dem Melodram.

1987: Henry Wheeler (Gattlin Griffith) ist dreizehn und kümmert sich aufopferungsvoll um seine Mutter Adele (Kate Winslet), die seit der Trennung von Henrys Vater Gerald (Clark Gregg) unter einer schweren Depression leidet. Als Henry seine Mutter vor Beginn des „Tag der Arbeit“ zu einem Einkauf in der Stadt überreden kann, nimmt der Familienalltag eine ungeahnte Wendung. Der entflohene Sträfling Frank (Josh Brolin) springt in das Auto der Wheelers und nötigt sie ihm Unterschlupf zu gewähren. Im Laufe des verlängerten Wochenendes wird Frank zu einem Teil der Familie und Adele verliebt sich in den verurteilten Mörder.

Maynards zugrunde liegender Entwicklungsroman, auch oftmals despektierlich als Frauenroman bezeichnet, erzählt aus Henrys Perspektive, der im Erwachsenenalter jenes folgenschwere Labor-Day-Wochenende rekapituliert. So gesehen hält sich auch Reitmans Adaption eng an die Vorlage, zumal die Sicht des Sohnes von der leicht ins kitschige abrutschenden Liebesgeschichte sinnvoll distanziert. Die Konflikte finden hier gleich auf mehreren Ebenen statt. Henry muss sich im neu formierten Familienkonstrukt positionieren, sei es als Sohn oder Beschützer seiner Mutter. Franks Vergangenheit legt der Film stückweise und losgelöst von der eigentlichen Geschichte offen. Brolins raue Präsenz lässt ihn nie zum simplen Vaterersatz werden. Zwar übernimmt er zunehmend „typisch“ männliche Haushaltsaufgaben wie Reparaturen und den Schutz der Familie, doch das Vertrauen von Adele und Henry erarbeitet er sich mit dem Rezept eines Pfirsichkuchens, den der erwachsene Henry, gespielt von Tobey Maguire, später für seine Bäckerei wiederentdeckt. Große Abweichungen von den traditionellen Familienrollen bleiben allerdings aus.

Die Besetzung leistet sich ebenso wenige Überraschungen, ist aber durchgehend exzellent gewählt. Kate Winslet hat ja bereits ein Abonnement auf psychisch labile Hausfrauen und Mütter mit Hang zu skandalösen Affären. Die Glaubwürdigkeit der Geschichte wird mit der Liebe zwischen ihrer Figur und dem entflohenen Mörder auf eine harte Probe gestellt, die Brolin, Winslet und die Regie allerdings mit Bravour meistern. Die Annäherung zwischen den beiden gebrochenen Charakteren wird äußerst sanftmütig und klar herausgearbeitet. In einer der schönsten Szenen schaut Henry Fernsehen und hält einen Spiegel in der Hand mit dem er Frank und Adele hinter sich auf der Treppe beobachten kann, die sich gerade durch dezente Berührungen näher kommen.

Jason Reitmans klassizistische Inszenierung lässt keinen Raum für eine Sicht von Außen. Henrys Rückblick, Franks Vergangenheit, das verhängnisvolle Labor-Day-Wochenende; alle Erzählpfade sind nach den Gesetzen des Genres miteinander verwoben, unveränderbar und unausweichlich. In Douglas Sirks Vorzeigemelodram „Was der Himmel erlaubt“ verliebt sich eine trauernde Witwe in ihren Gärtner; im Suburbia der 50er Jahre eine geächtete Beziehung. Zum Schutz ihres Ansehens beendet sie die Liaison, fühlt sich aber zunehmend einsam und isoliert. In einer berühmten Szene des Films schenken die Kinder der Witwe ihr zum Trost einen Fernseher. Ihr Spiegelbild auf dem ausgeschalteten TV-Bildschirm wird zum Sinnbild ihres Gefängnisses. Die zuvor bereits erwähnte Spiegelszene in „Labor Day“ skizziert dagegen eher die Chance auf Glück. Auch Adele verliebt sich entgegen der Norm, ja sogar gegen das Gesetz. Henry kann die Beziehung beenden, wie die Kinder in Sirks Meisterwerk, der Norm folgen, sich einreihen und aufgeben oder er folgt seiner Mutter, akzeptiert Frank und flieht mit ihnen aus Suburbia. Dieses Wagnis blitzt in seinem kleinen Handspiegel kurzzeitig auf und nach nichts anderem als einem Wagnis verlangt ein Melodram.

Es kommt zum unvermeidlichen Fluchtversuch der neu gesponnenen Familie, den der Regisseur mit voller Kraft zu einem Glanzstück des Spannungskinos inszeniert. Formal gesehen ist „Labor Day“ ohnehin lückenlos wie aus einem Guss. Der breitgetretene Epilog verwehrt Reitmans fünften Film dagegen die nötige Offenheit. An den vorherigen Erfolg wird er wohl nicht anknüpfen können und dennoch bleibt ein ehrlicher, beinah altmodischer Film zurück, der wie seine Figuren ein ebenso sentimentales Wagnis eingeht. So oder so ist „Labor Day“ eine vertraute Überraschung.

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