Nouvelle Vague – Kritik zu Richard Linklaters Godard-Film

Ich habe Nouvelle Vague im Rahmen des Wettbewerbs der 78. Internationalen Filmfestspiele von Cannes gesehen.

“Zum Glück liebt die Kamera die beiden.”

Die Magie des künstlerischen Austauschs zu beobachten, wenn Agnès Varda bei einer Tasse Kaffee mit Jean-Luc Godard plaudert; mitzuerleben, wie Godard aus dem Pariser Kino Le Champo kommt; oder zu sehen, wie die Kameraarbeit im Guerrilla-Stil zur Anwendung kam; oder, oder, oder… Nouvelle Vague ist wirklich ein purer nostalgischer Kinogenuss. Und wer hätte die 20 Drehtage von Außer Atem mit mehr Spontaneität, Lebendigkeit und Authentizität nachstellen können als Richard Linklater?

Der US-amerikanische Regisseur ist bekannt für dialoglastige Werke wie die Before-Trilogie, mit denen er sein Gespür für tiefgründige, zugleich naturalistische Gespräche unter Beweis gestellt hat. Mit Filmen wie Boyhood – über zwölf Jahre hinweg gedreht – zeigte er zudem seine Vorliebe für unkonventionelle Erzählformen und formale Experimente. Jean-Luc Godards Stil in seinem Debütfilm war geprägt von Montagesprüngen, spontaner Inszenierung, Einfällen am Set und dem Bruch mit klassischen Konventionen des Kinos – all das prägt auch Linklaters Werk seit Jahrzehnten. Dies zeigt sich nicht zuletzt in assoziativ erzählten, lose strukturierten Filmen wie Waking Life oder zuletzt Blue Moon, den Linklater 2025 auf der Berlinale vorgestellt hat.

Natürlich hätte Linklater leicht in die typischen Fallen eines Biopics tappen können. Doch stattdessen beweist er ein bemerkenswert feines Gespür für jene entscheidenden Tage vor dem Dreh von Außer Atem: jene Zeit, in der Godard mit Produzent Georges de Beauregard über sein Debüt verhandelte; in der Truffauts Sie küssten und sie schlugen ihn (natürlich in Cannes!) nicht nur zur Inspirationsquelle wurde, sondern Truffaut später sogar das Drehbuch beisteuerte; in der sich Godard mit dem jungen Belmondo im Boxclub traf, um beim Seilspringen über die Figur des Michel Poiccard zu sprechen – eine Rolle, die Belmondo zur Ikone machte. Und nicht zuletzt die Geschichte, wie der US-Star Jean Seberg vom Cover der Cahiers du cinéma zur Seele von Außer Atem wurde.

“Wenn sie die Nouvelle Vague wollen, kriegen sie sie.” Mit dieser Haltung, die zwischen Ironie und Kampfansage schwankt, erweckt Linklater den Geist der Nouvelle Vague neu zum Leben. Der Film ist gespickt mit komödiantischen Höhepunkten – etwa wenn Kameramann Raoul Coutard sich mit seiner Kamera in eine Box zwängt, um heimlich auf den Champs-Élysées zu filmen. Mitten im Geschehen glänzt Guillaume Marbeck in der Rolle des Revoluzzers – so überzeugend, als wäre der junge Godard selbst auferstanden, bereit, dem Kino erneut frischen Wind einzuhauchen.

Linklater hat Godards revolutionären Geist voll erfasst und erweckt die damalige Zeit mit großer Authentizität zum Leben. Er lässt nicht nur die legendärsten Filmszenen aufleben, sondern fängt beispielsweise auch die hitzigen Wortgefechte zwischen Godard und Seberg abseits der Kamera ein – das chaotische Herzstück dieses zeitlosen Filmklassikers, an den damals kaum jemand, auch nicht Godards Team, geglaubt hat.

Was aber kann das heutige Kino von (der) Nouvelle Vague lernen? Gerade angesichts der Flut an CGI-generierten Bildern und der Entscheidungen von Studiobossen, die die echte Erzählkunst immer mehr zu verdrängen drohen. Brauchen wir nicht wieder mehr Lebendigkeit, Leben im Moment und Unerwartetes vor und hinter der Kamera? Also mehr Filmemacher:innen, die ihren Produzenten sagen, wo es langgeht – und nicht umgekehrt. Sicher ist: Linklater hat mit Nouvelle Vague einen Film für heutige Generationen gedreht, um die Vorzüge eines chaotischen Drehs für sich wiederzuentdecken. Nouvelle Vague ist für alle, die kreatives Kino ohne Regeln und Gesetze lieben und leben – oder es endlich mal wieder tun wollen. Danke, Richard Linklater!

“Mein Manager sagt, wir werden nie wieder arbeiten…” (Jean-Paul Belmondo) – Tja, Agenten und ihre Glaskugeln!

Kinostart: unbekannt
Regie: Richard Linklater
Darsteller: u.a. Guillaume Marbeck und Zoey Deutch
FSK-Freigabe: unbekannt
Internationaler Verleih: Goodfellas
Laufzeit: 1 St. 45 Min.

★★★★★★★☆

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