Kritik: Reflection in a Dead Diamond (BE, FR 2025)

Eine Gastkritik von Hendrik Warnke, gesehen im Rahmen der 75. Berlinale.

Reflection in a Dead Diamond Film 2025

Die meisten Filmkritiken starten mit einer Zusammenfassung der Filmhandlung. Welche Figuren gibt es? Was ist deren Herausforderung? Was ist die Prämisse des Films? Bei diesem Text zu Reflection in a Dead Diamond, dem neuesten experimentellen Werk des Ehepaars Hélène Cattet und Bruno Forzani (Amer – Die dunkle Seite deiner Träume, Leichen unter brennender Sonne), versuche ich es etwas, das dem Film eher gerecht wird: Alter Mann blickt auf den Ozean. Schnitt. Nahaufnahme seiner Augen. Schnitt. leichtbekleideter Frauenkörper glitzert im Sonnenlicht, Zoom auf ihre Brust. Schnitt. Nahaufnahme eines Diamanten auf einer Brustwarze. Schnitt. Eine Hand wühlt in einer Schatulle voller Diamanten. Schnitt. Zurück auf den alten Mann. Wischschnitt. Close-up eines jüngeren Mannes. Schnitt. Grelles Rot. Schnitt. Grelles Gelb, das Bild dreht sich. Schnitt. Grelles Grün, das Bild dreht sich schneller. Schnitt. An James Bond erinnerndes Intro startet.

Wer sich jetzt fragt, was das sollte – das ist der erste Eindruck von Reflection in a Dead Diamond. Kein Kontext, scheinbar keine richtige Handlung, filmische Explosion. Ja, irgendeine Form von Handlung und Figuren hat der Film. Natürlich hat er das. Nur sie zu beschreiben ist… schwierig, nicht zweckdienlich. Ich könnte jetzt sagen, ein alter Mann erinnert sich an seine Vergangenheit als Spion und den Kampf gegen die Gruppe Serpentik, während sich Realität und Zeit immer mehr aufzulösen scheinen. Das ist nicht falsch. Allerdings ist es genauso wenig falsch, wenn ich sage, dass sich ein alter Mann vorstellt, Schauspieler in einem 60er-Jahre Spionagefilm zu sein, während sich Realität und Zeit immer mehr aufzulösen scheinen. Also warum sollte ich? Die Essenz von Reflection in a Dead Diamond beschreiben beide Aussagen nur minimal.

Bei dem Vorwurf, ein Film stelle Form über Inhalt, vergisst man schnell, dass es nicht Form oder Inhalt sein sollte, sondern Form Inhalt ist. Und das gilt für Reflection in a Dead Diamond wie für kaum einen anderen Film. Er ist assoziatives Kino bis zum Maximum und funktioniert nur durch seine Bildsprache. Wer nach Stringenz und Logik sucht, wird schwer zu kämpfen haben. Man muss sich chronologisch vortasten, auf Emotionen, wilde Gedankenfetzen achten, während man sich klar wird, dass man einen solchen Film niemals vollends mit Worten umschließen kann.

Denn Reflection in a Dead Diamond macht ALLES… Farben, Musik, Zooms, mehr Dutch Angles als Battlefield Earth,… Das ist rein ästhetisch wirklich beeindruckend, hat aber vor allem inhaltlichen Sinn. Denn ohne etwas zu sagen, präsentiert Reflection in a Dead Diamond damit mehr und mehr, was eigentlich sein Ziel ist: Film. Er macht Dinge, die nur ein Film kann. Schnitt, Sprünge in der Zeit, obskure Kamerawinkel und vor allem visuelles Storytelling. Erzählen ohne zu erzählen. All das bekommt man im Überfluss, denn, wie bereits gesagt, natürlich hat Reflection in a Dead Diamond eine Handlung. Aber die Handlung ist eben nicht das, was die Figuren tun, die Handlung ist der Film selbst. Ein Metafilm in Reinform. Reflection in a Dead Diamond ist ein Film über Film, wie nur ein Film es sein kann. Und damit ist er auch eine ultimative Liebeserklärung an das Medium.

Reflection in a Dead Diamond 2025

Doch natürlich ist Film nicht nur gut. Auch das weiß Reflection in a Dead Diamond, weshalb er ebenso dekonstruiert, wie bewundert. Wenn man einen solchen Generalabriss über ein Medium zum Ziel hat, muss man sich auch mit dem Unschönen befassen. Film ist, zumindest ein Stück weit, ein von Grund auf amoralisches Medium. Voyeuristisch, objektifizierend, sich ergötzend – wie auch in Reflection in a Dead Diamond. Er lebt für Sex, Gewalt und sexualisierte Gewalt und das stets mit klar definierten Rollen – wie auch in Reflection in a Dead Diamond. Das Objekt ist der weibliche Körper. Passiv, sobald aktiv exotisiert und fetischisiert – wie auch in Reflection in a Dead Diamond. Ja, der Film reproduziert das hier auf gewisse Weise, zieht allem erzählerisch aber so den Boden unter den Füßen weg, dass es sauer aufstößt, wie es eigentlich sollte.

Natürlich findet das alles nicht im wahllosen Vakuum statt, konkreter wird es durch die zahllosen Anspielungen auf Genres, Bewegungen oder einzelne Filme. Seien es an Western erinnernde Zooms oder Nahaufnahmen der Augen, Tropes des Spionagefilms, die Rauheit diverser B-Movies und des Exploitation-Kinos oder am stärksten Merkmale der Nouvelle Vague wie Jump Cuts, Spielereien mit der Zeit, typische Monologe oder ganze Szenen an der Côte d’Azur, denen nur eine Figur mit blauer Farbe im Gesicht fehlt (Pierrot le fou lässt grüßen). Selbst der im Film so prominente schwarze Lederanzug kann in diesem Zusammenhang nicht als Zufall gelesen werden, wenn genau dieser in Olivier Assayas’ Abrechnung mit der der Nouvelle Vague, Irma Vep, zur Ikone wurde.

Doch ein Gedanke schwingt bei all dem Jubel immer mit: Was soll das eigentlich? Für wen ist dieser Film? Reflection in a Dead Diamond zelebriert und dekonstruiert das Kino in jeder noch so obskuren Variante, bleibt aber immer auf einer selbstherrlichen Ebene. Wer nicht Teil des erlesenen Zirkels ist, die ganzen Anspielungen zu verstehen, wird mit Reflection in a Dead Diamond wohl kaum etwas anfangen können. Und ja, in diesem Rahmen macht er fantastische Arbeit, aber anstatt seine Vagheit zu nutzen, um aufzurütteln, ist er vor allem affirmativ zu lesen. Dieser experimentelle Thriller wird garantiert für kontroverse Reaktionen sorgen.

Kinostart: noch unbekannt

Regie: Hélène Cattet, Bruno Forzani
Darsteller: u.a. mit Fabio Testi und Yannick Renier
FSK-Freigabe: noch unbekannt
Produktionsländer: BE, FR, LUX, IT
Verleih International: Kozak Films, True Colours
Laufzeit: 1 St. 27 Min.

★★★★★★★☆

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