"Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 1" (USA 2014) Kritik – Das Gesicht der Revolution

Autor: Pascal Reis

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„If we burn, you burn with us!“

Am Firmament tut er sich auf, wie ein Funken, der einem Feuerstein vergeht, der Hoffnungsschimmer, der leise säuselt, aber doch klar vernehmbar bleibt: Vielleicht findet die „Die Tribute von Panem“-Reihe nun doch noch in eine kinematographische Spur, die einem erwachsenen, einem weniger an Poster-Boy-&-Girl-Attitüden gelegenen Publikum durchaus gefällt. Nachdem „Die Tribute von Panem – The Hunger Games“ (2012) und „Die Tribute von Panem – Catching Fire (2013) zwar kommerziell die Kinokassen zum Zerbersten brachten und somit den florierenden Trend der Young-Adult-Dystopien durch ihren immensen Erfolg ebenfalls in den Lichtspielhäusern dieser Welt etablierte (Epigonale Frustration: „Seelen“, „Divergent – Die Bestimmung“, „Hüter der Erinnerung – The Giver“ und „Maze Runner: Die Auserwählten im Labyrinth“), filmtechnisch aber doch eher reinrassiges Fast Food für die müden Gehirnzellen bedeuteten, kommt „Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 1“ nun einem überraschenden Segen in handlichen Miniaturformat gleich.

Dass das große Finale des Franchise zweigeteilt werden musste, wie es schon bei „Twilight 4: Breaking Down – Bis zum Ende der Nacht“ und „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ der Fall war, zeichnet das marktwirtschaftliche Kalkül hinter der Saga ab. Und doch ist dieser Teil, dieses stimulierende Vorspiel für das große Finale, so überraschend geerdet, dass man tatsächlich auch als Nicht-Jünger durchaus realisiert: Hey, damit lässt sich eigentlich doch relativ gut arbeiten. Nachdem Katniss im glühenden Schlussspurt von „Die Tribute von Panem – Catching Fire“ durch die Rebellen aus der Arena der 75. Hungerspiele gerettet wurde und sich nun in dem unterirdischen Distrikt 13 wiederfindet, wird schnell ersichtlich, dass in „Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 1“ eine strukturelle Revision Anklang gefunden hat und anders als der Trailer es noch sensationsheischend suggerieren versuchte, nicht der Rabatz mit gespanntem Bogen Klimax des Films sein wird, sondern Katniss Everdeens Aufstieg zur Galionsfigur der Revolution.

Jennifer Lawrence gibt Katniss nicht als strahlende Persönlichkeit, sondern wird zur Heldin wider Willen mehr durch ihr soziales Gewissen getrieben, als dass sie es sich aus eigenen, ungezwungenen Stücken ausgesucht habe: Als unscheinbares Fragment des Lumpenproletariat hätte sie es sich ohnehin mit Sicherheit nie erträumen lassen, dass ihre Determination in einer solchen Dimension ausfallen wird. Angesichts der rigorosen Zerstörung in den anderen Distrikten, die in ihrer in Schutt und Asche zerlegten Tristesse mit der sich universal ins Gedächtnis gebrannten Ikonographie reeller Katastrophen identifiziert, wie auch Referenzen zur amerikanischen Politik schlägt (The Situation Room), willigt Katniss ein, als Gesicht für die von Plutarch Heavensbee (Philip Seymour Hoffman) ins Leben gerufenen Propagandaclips herzuhalten. Peeta (Scott Hutchinson) ist derweil ins Netz von Präsident Snow (Donald Sutherland) geraten, der ihn nun dank Gehirnwäsche in gezielten Parolen gegen die Rebellen hetzen lässt. Dass die Spots vorerst zur hölzern-gekünstelten Agitprop-Angelegenheit werden, lässt sich auf Katniss Sozialisation zurückführen, die nur innere Überzeugung findet, wenn weitreichend hinterfragt wurde.

Bäumt sich das wahre Grauen aber vor ihren Augen auf, entlädt sich eine feurige Rede und damit auch die Kampfansage, die Präsident Snow einzig mit einem süffisant-überheblichen Grinsen kommentiert. Die zynischen, an die bestialischen Panem et circenses-Veranstaltungen der römischen Republik gemahnenden Hungerspiele sind in „Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 1“ nicht mehr als flamboyante Medienspektakel vertreten, um die sich alles dreht. Vielmehr dringen wir, insofern es die Verhältnismäßigkeit des Zielgruppenzuschnitts gewährt, in die Gedärme der Medienwirksamkeit und werden Zeuge der hintergründigen Mechanismen. Unter der Führung von Präsidentin Alma Coin (Julianne Moore) hält das Drehbuch von Danny Strong eine Erkenntnis bereit, die beide Oppositionen trotz ihrer Dualität deutlich spiegelt: Faschistisches Potenzial ist nicht nur im Kapitol freigesetzt, auch der Rebellenapparat, ausposaunt von der ergrauten Präsident höchstpersönlich, verfällt dem Liebreiz, von einem umfassenden Weltreich zu träumen und so womöglich die systematische Unterdrückung seitens Snow aus dem Weg zu räumen, dafür aber eine eigene Form der Unterjochung zu formieren.

Das aber ist noch Zukunftsmusik, die ihren Grundsatz allerdings schon in „Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 1“ vorfindet und – hoffentlich – in einem ähnlichen, vielleicht sogar noch feingeschliffener Umfang in der im November in Deutschland startenden Fortsetzung auftritt. Ansonsten ist der in desolaten Grautönen gefangene „Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 1“ angenehm auf dem Boden haftendes Massenkino, das dem Krieg hier noch nicht an der Front selbst beipflichtet, sondern in verwinkelten Bunkeranlagen übersteht, während es an der Oberfläche brummt, wabert und vibriert. Die Gebeine der Bevölkerung, die Katniss gehäuft vorfand, die Bombardements, die unzähligen Zivilisten das Leben nahmen, all das hat sich in ihren Kopf gebrannt, während auf ein Versprechen der Liebe über den Tod hinaus von Gale (Liam Hemsworth) nur mit emotionaler Abwesenheit reagiert werden kann, sind nun doch die Narben, die von Lorde noch als Gold und Silber besungen werden, bereit, ein letztes, unausweichliches Mal aufzubrechen.

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