Kritik: Benedetta (FR 2021) – Paul Verhoevens Nonnensploitation

– gesehen im Rahmen des Wettbewerbs der 74. Internationalen Filmfestspiele von Cannes –

Benedetta-2021-Filmkritik-Trailer
© IFC Films

Extraordinary accusations require extraordinary evidence.

Wie gut kann ein Film schon sein, der mit pupsenden Nonnen in einem mittelalterlichen Kloster startet, die sich obendrein gegenseitig mit einem Dildo verwöhnen, der in eine hölzerne Madonnafigur geschnitzt ist? Das ist selbstverständlich vulgär. trashig und ein ziemlich unsubtiler Giftpfeil gegen religiöse Alltagsstrukturen. Doch in der neusten Regiearbeit des niederländischen Enfant Terrible Paul Verhoeven (Starship Troopers, Robocop*) sind das eigentlich nur Randnotizen, welche beim Publkum für schallendes Gelächter sorgen. Hinter all den Obszönitäten und der überspitzten Gewalt, die in Benedetta dargeboten wird, steckt jedoch wieder einmal eine unglaublich präzise inszenierte und gespielte Satire, welche man definitiv mehrmals gesehen haben muss, damit diese vollkommen greifbar wird. Insofern: Respekt, Herr Verhoeven, Respekt! Selbst mit seinen stolzen 82 Jahren weiß dieser nach wie vor wie unvergleichbar intelligent zu unterhalten. Benedetta vereint alles, was man sich von einem guten Kinobesuch wünscht: Eine clever erzählte Geschichte, Kurzweiligkeit, mutiges Schauspiel, provokative Momente am laufenden Band, der Nonnenthriller bietet wieder einmal zwei Stunden ebenso amüsante wie verstörende Unterhaltung der Sorte, wie sie Verhoeven-Fans mit seiner bisherigen Filmografie zu schätzen gelernt haben.

Benedetta erzählt, basierend auf der 1986 erschienenen Biografie “Immodest Acts – The life of a lesbian nun in Renaissance Italy”, die „wahre Geschichte“ einer Nonne (Virginie Efira) im Italien des 17. Jahrhunderts, die immer regelmäßiger und heftiger unter verstörenden religiösen sowie erotischen Visionen leidet. Um ihre angeblichen Wahnvorstellungen zu verarbeiten, wird sie mental von einer Glaubensschwester unterstützt. Dabei nähern sich die beiden Frauen einander immer mehr an, bis sich aus ihrem Beisammensein eine Affäre innerhalb der klösterlichen Mauern entwickelt.

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Bartolomea (Daphné Patakia) mit Benedetta (Virginie Efira) © IFC Films

Aber um was genau geht es nun eigentlich hinter der Fassade aus Lesbensex und ironisch pointiertem Nonnenalltag? Zunächst einmal ist der Film wohl am ehesten mit zwei anderen Vertretern religiöser Dramen zu vergleichen. Einerseits geht Verhoeven, wie zuletzt Martin Scorsese (Silence) damit ins Gericht, dass im Glauben wirklich alles, egal ob geschrieben oder mündlich überliefert, subjektive Auslegungssache ist. Die Glaubensschwester Benedetta, gespielt von Virginie Efira in der für mich neben Frances McDormand (Nomadland) bisher herausragendsten weiblichen Schauspielleistung des Jahres, ist eine äußerst clevere junge Frau, der es einzig mit Hilfe ihrer manipulativen intellektuallen Überlegenheit gelingt zur Obere aufzusteigen. Und dabei hat sich seit Jacques Rivette (Die Nonne*, 1966)  kein Regisseur (die HBO-Miniserie The Young Pope mal außen vorgelassen) so gekonnt mit den Machtstruktueren in der Kirche bzw. in religiösen Institutionen auseinandergesetzt.

Benedetta ist, wie die beiden genannten Filme, ein zweckdienlicher Beleg dafür, was die Religion nicht nur inner-, sondern auch außerhalb institutionalisierter Gemäuer mit einer Gesellschaft anrichten kann und lässt sich dementsprechend auch universell interpretieren. Vor dem Hintergrund globaler Krisen, im Film die Pest, schildert das Nonnendrama entsprechend gesellschaftspolitisch, wie einfach sich Menschen durch (religiöse) Führer manipulieren lassen – im festen Glauben daran, dass diese es ja immer mit der Gesellschaft gut meinen und nicht ihre eigenen Zwecke verfolgen. Auch die Kirche verfolgt ihre wirschaftlichen Interessen. Und wenn sich dabei Jesuserscheinungen gut vermarkten lassen, dann heiligt der Zweck ganz einfach die Mittel.

Fazit: Paul Verhoeven erfindet sich fünf Jahre nach dem Vergewaltigungsdrama Elle, mittlerweile mit über 80 Jahren, nochmal neu und sein Klostererotikthriller Benedetta ist der erste diesjährige Cannes-Beitrag, welcher mit der Kinovorstellung noch lange nicht endet, sondern auch noch in Jahren heiß diskutiert und von vielen auf die eine oder andere Weise in seine Bestandteile zerlegt werden wird. Und das ist gut so, denn Filme, die gleichzeitig so schwer zu fassen, provokativ, diskutabel und unterhaltsam sind, sind heutzutage in der Kinolandschaft leider nur noch sehr rar gesät.

Hier geht es zum Trailer.

Ein Live-Video von der Cannes-Premiere.

In Frankreich startet Benedetta parallel zur Cannes-Weltpremiere am 9. Juli 2021 in den Kinos. Für Deutschland ist der 2. Dezember 2021 als Kinostart geplant. Und ab dem 24. Februar 2022 ist Benedetta bereits für das Heimkino erhältlich.*

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