Kritik: Megalopolis (USA 2024) – Bis dass der Film reißt

Eine Gastkritik von Marc Trappendreher

– gesehen im Rahmen der 77. Internationalen Filmfestspiele von Cannes –

Megalopolis Film 2024

I will not let time have dominion over my thoughts.

Megalopolis – allein der Titel drängt auf die Superlative, die Überwältigung, den Exzess. Die Gigantomanie, die Francis Ford Coppola in seinem neuen Film betreibt, scheidet in Cannes die Geister. Alles an diesem Film deutet auf die grenzenlose kreative Freiheit, die Coppola sich für dieses Herzensprojekt erarbeitet hat. Seine eigene Produktionsgesellschaft American Zootrope kam für diesen Film auf, den Coppola rund vierzig Jahre lang erträumt hat, aber nie angehen konnte. Die umständliche Produktionsgeschichte dieses Films hat im Laufe der Zeit einen übergroßen Charakter angenommen – beispielsweise wurde die Vorproduktionsphase durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 unterbrochen – und führte sogar dazu, dass Coppola sein Weingut hat verkaufen lassen, um die Produktionskosten des Films aufbringen zu können. Es ist eines dieser Beispiele, wo die Entstehungsbedingungen rund um das Kunstwerk ein Narrativ entwickeln, das den eigentlichen Inhalt des Filmes auf eine ironische Weise doppeln. In Bezug auf den Regisseur Francis Ford Coppola dürfte das ohnehin nicht weiter verwundern: Hearts of Darkness: A Filmmaker’s Apocalypse, das Making-of zu Coppolas Apocalypse Now kommt einem in den Sinn.

Dabei deuten bereits die untersichtigen Kameraeinstellungen der Wolkenkratzer New Yorks in die Richtung, die dieser Film nehmen wird. Es geht aufwärts, eine Aufsteigergeschichte soll da erzählt werden, die womöglich auch Coppolas Abschiedsfilm ist. Angelehnt an die Reden Ciceros erzählt Megalopolis von dem Architekten und Wissenschaftler Cesar Catilina (Adam Driver), der die hochverschuldete Stadt New York neu ausrichten möchte – ein ambitioniertes Bauprojekt steht da an, das erneuerbare Materialien nutzen soll, um die Stadt so in die reinste Utopie zu überführen. Doch der Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito) sieht in ihm einen Konkurrenten, der seine Machtposition gefährden könnte…

Coppola inszeniert diesen Film in einem wilden Stilgemisch: Die tradierte Vorstellungswelt des antiken Roms – sie wird zuvorderst über Architektur, Maske und Kostüme heraufbeschworen – implementiert er gleichrangig in ein modernes urbane Stadtbild der Zwanzigerjahre, das mit visionären Bildern im Stile des Urban decarb weiter verdichtet wird. In den Nachtszenen der regennassen Straßen, in denen sich grelles Neonlicht spiegelt, lädt Megalopolis ebenso in die Neo-Noir-Welt ein. In dieses Setting der Extravaganz, das das gesamte Erscheinungsbild des Films prägt, faltet Coppola ein shakespearesches politisches Ränkeschmieden aus, das von diversen Intrigen und Korruption geprägt ist.

Megalopolis 2024 Adam Driver

Dass Coppola darin eine ewige Wiederkehr der gleichen Machtspiele, der Betäubung der Massen durch ‚Brot und Spiele‘, der gleichen politischen Intrigen und Zweckbündnisse sehen will, scheint evident. Ferner wirft der Film existenzialphilosophische Fragestellungen auf, die er vor orangeroten Sonnenuntergängen aushandelt. Megalopolis beschaut den Menschen in Bezug auf die Zeit und den Raum mit einem verklärenden Romantizismus, den Coppola immer wieder mit ausladenden Szenen der reinen Dekadenz bricht. Nicht immer ist in diesem überladenen Spektakel klar auszumachen, wo der Stilüberschuss prägnant den Exzess der dekadenten Stadtobrigkeit widerspiegelt und wo er sich tatsächlich in einen reinen erzählerischen Leerlauf begibt. Strenge und Konzentration können nicht die Leitlinien in der Ausführung seines fast dreistündigen Films gewesen sein – die Abwesenheit einer externen Studioinstanz wird da spürbar. Coppola verweist auf dieses eigenwillige überbetonende Moment mit der selbstreflexiven Einstellung eines reißenden Filmbandes.

Mit Susan Sontag gesprochen, erschöpft dieser Film sich im „camp“, in einer ganz eigenen Weise, die persönliche Vision einer Welt über ästhetische Phänomene erfahrbar zu machen. Hinter Megalopolis steht in allen Fällen auch das Selbstverständnis eines Regisseurs, für den das amerikanische Kino ehemals eine doppelte Identität besaß: Sehr persönliche, ambitionierte, ästhetisch gewagte Filme konnten zugleich auch überaus kommerziell erfolgreich sein. Freilich aber lässt sich bereits nach dem Ersteindruck in Cannes sagen, dass mit der radikalen Ablehnung dieser wilden Anachronismen, die Pforte durchaus offen ist, sich über diesen Film lustig zu machen.

★★★★☆☆☆☆

Es steht noch nicht fest, wann Megalopolis in die deutschen Kinos kommt.

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