Ein Gastbeitrag von Michael Gasch, Kritik erstmals zu lesen am 18. Dezember 2022
I know one thing: wherever we go, this family… is our fortress.
Zehn Jahre nach den Ereignissen aus Avatar: Aufbruch nach Pandora will es die Menschheit noch einmal wissen und wagt den zweiten Versuch, um die wunderschöne und unberührte Welt von Pandora einzunehmen. Protagonist und selbsterklärter Oberkommandant Jake Sully (Sam Worthington) hat jedoch wieder ein Wörtchen mitzureden. Erneut entbrennt ein Krieg zwischen den Na’vi und den Menschen.
Am Wendepunkt des Kinos
Nach 13 Jahren ist James Cameron mit Teil zwei seines Lebensprojekts wieder in aller Munde. Nach anfänglichen Lobeshymnen folgt nun eine immer größer werdende Welle hart geballter Kritik. Das ist nur logisch, wenn man mal ehrlich zu sich selbst ist und sich für eine Sekunde nicht von der hübschen Optik ablenken lässt. Avatar: The Way of Water kann seinen Vorgänger leider nicht übertrumpfen, sondern stellt sich als mit einer der schlechtesten oder zumindest enttäuschendsten Filme aus 2022 heraus. Und dabei wollten doch die meisten Zuschauer den Blockbuster des Jahrzehnts sehen. Doch wo liegt das Problem?
Vielleicht kennt man es: Voller Vorfreude erwartet man sehnsüchtig eine Fortsetzung, die einen in atemberaubende fiktionale Welten entführt und für ein paar Stunden alle Sorgen des Alltags vergessen lässt. In der heiß erwarteten Fortsetzung auf Pandora bekommt man jedoch weder das eine, noch das andere. Stattdessen sind wir an einem Punkt angekommen, der uns zu denken geben sollte. Es ist ein Punkt, an dem das Blockbuster-Kino keinen Funken Faszination mehr in sich trägt, sondern uns fast schon alltägliche Bilder präsentiert. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn es sich nicht gerade um einen derartigen, in jeder Hinsicht größenwahnsinnigen Blockbuster handeln würde.
Realismus statt (Film-)Magie
Avatar: The Way of Water ist das Ende der Filmkunst und verkörpert in erster Instanz die Vereinigung des Hyperrealen – bildlich wie auch erzählerisch. Bilder von getöteten Walen, Wrackteilen und Müll im Meer, von Hinrichtungen bis hin zu Kriegsaufnahmen laufen doch am laufenden Band in den Medien. Das Kino ist damit kein Rückzugsort mehr. Eigentlich eine Frechheit, gerade bei dieser tollen Welt auf Pandora, in der man bei all dieser Schönheit gern zuhause wäre. Stattdessen bestimmen Bilder des Todes und der Zerstörung den Film, nicht etwa die ach so schönen Unterwasseraufnahmen. Cameron macht daher eines ganz deutlich: Nichts ist schöner als die Unterwasserwelt. Nichts außer Explosionen, einem ganzen Waffenarsenal, bei dem sowohl Terroristen als auch die Militärs in Form kommen würden, und dem daraus resultierenden Hardcore-Militärfetischismus, der die meiste Zeit an die Oberfläche gespült wird. Wer braucht also schon toll entworfene Wasserorganismen, wenn man auch ein Raketen-U-Boot haben kann. Jetzt fehlt nur noch ein Legoset!
Die Menschen sind dabei noch nicht einmal ganz auf Pandora angekommen und doch sieht es bereits aus wie auf der Erde. Aber wie kann man auch annehmen, dass es Zuschauer gibt, die gern mehr Epos (Titanic ist das beste Beispiel) und Utopie sehen möchten? Über diese Annahme kann James Cameron scheinbar nur lachen. Stattdessen gibt es feinste Kriegspropaganda, bei der auch die Kinder als Soldaten herhalten müssen. Kann denn nicht mal einer an die Kinder denken?
Steigende Filmframes verlaufen parallel zum steigenden Kill Count und vergesst nicht das Gejubel, wenn ein Wal erlegt wird – herrlich. Doch ist dies eine Abrechnung mit der Destruktivität des Menschen? Die Antwort darauf kann nur ein ganz klares “Nein!” sein – nicht zuletzt deswegen, weil Kategorien von Gut und Böse kaum sichtbar werden und es für alles einen Grund gibt. Immerhin geht es beim Walfang um ein Glas mit Dreck, pardon Walfischöl, pardon Walfisch-GEHIRN, welches die Menschen unsterblich machen soll.
Weil einfach einfach einfach ist
“Man, sieht der Film geil aus!” hieß es in der Pause des dreistündigen Spektakels hinter mir. Klar, sowas schmeckt dem verrohten Mainstream-Publikum nur zu gut. Die visuelle Kohärenz ist zumindest etwas, mit der Avatar: The Way of Water aufwarten kann. Viel zu selten hat man heutzutage den Eindruck, dass optisch alles aus einem Guss stammt. Schon schade, wenn dies durch die Gallonen an Idiotie und Klischees fortgespült wird. Davon gibt es nicht gerade wenig, denkt man nur an Menschen, die sich Unterwasser würgen. Und vergessen wir nicht die Relation der seltenen Rohstoffe: Da gibt es aus Teil eins das Mineral Unobtanium, von dem es sonst wie viele Millionen Tonnen gibt (Verkaufspreis 20 Mio. pro Kilo) versus das deutlich begrenztere Walfischgehirn, welches 80 Mio. pro Glas bringt. Wie Johann Gottfried Seume schon sagte: “Dummheit ist Faulheit des Geistes”.
Jahrelang schrieb Cameron an mehreren Skripten. Eins davon landete dabei von einem Tag auf den anderen im Müllkorb, weil: “It was missing one of those critical elements about sequels, which is that it didn’t go enough into the unexpected.” (Originalzitat). Doch wo zeigt sich bei Avatar: The Way of Water denn jetzt diese Unvorhersehbarkeit? Vielleicht beim Happy End oder bei der Rettung des Bösen? Da wäre es noch unvorhersehbarer gewesen, man hätte am Ende einen Arm und Gehirnchip des Bösen gefunden, um ihn rekonstruieren zu können (Achtung, hier versteckt sich ein Filmwitz!). An Narzissmus mangelt es jedoch beileibe nicht: Mechs aus Aliens – Die Rückkehr treffen auf Großkaliberwaffen aus Terminator treffen auf James Camerons generelle Liebe zum Wasser. Hommagen an beispielsweise Apocalypse Now dürfen natürlich auch nicht fehlen – das ist nicht nur einfallslos, sondern zeigt im Resultat auch, dass James Cameron “Krieg” lieber als Abenteuerschauplatz für Familien versteht anstatt sich auf ambivalente Weise mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ein Graus, wenn man sich ins Gedächtnis zurückruft, dass die Drehbücher bis Teil fünf schon fertig sowie Teil 3 und 4 fast abgedreht sind. Wer braucht schon Originalität bei all dieser Selbstbeweihräucherung?
Fazit: Aufgrund von Cringe-Kommentaren wie “Bro, mach das nicht, Bro!” – “Guter Schuss!” sowie haarsträubenden Genre-Versatzstücken zwischen Abenteuer-, Science-Fiction- und Kriegsfilm präsentiert sich diese Fortsetzung die meiste Zeit recht einfallslos. Sehr schwer scheint das Leben als Drehbuchautor zu sein. Es ist daher nur konsequent, wenn James Cameron umso mehr auf glatte Bilder setzt, wenn man sonst keine Ideen hat. Avatar: The Way of Water ist in der Gesamtheit damit eine gigantische Enttäuschung, nicht zuletzt deswegen, weil Cameron selbst immer wieder gegen Marvel gewettert hat, es nun aber in keinster Weise schafft, etwas Originelleres abzuliefern. Ich kann mich daher nur den Worten meines Autorenkollegen Conrad Mildner zu Avatar: Aufbruch nach Pandora anschließen: Diese Welt lebt (immer) noch nicht.
★★★☆☆☆☆☆
Nicht zu empfehlen!
Avatar: The Way of Water startet am 14. Dezember 2022 deutschlandweit in den Kinos. Ab dem 16. Juli 2023 ist der Film fürs Heimkino erhältlich.* Hier geht’s zum Trailer.
*Amazon Affiliate Links / Anzeige: Wenn Du über einen dieser Verweislinks etwas bestellst, bekommt CinemaForever auf Deinen Einkauf eine kleine Provision. Dies ändert nichts an Deinem Kaufpreis.