Kritik: Barbie (USA 2023) – Hollywoodland wird zu Barbieland

Eine Gastkritik von Michael Gasch

Barbie 2023 Margot Robbie Ryan Gosling

She’s everything. He’s just Ken.

Als der Trailer von Barbie vor wenigen Monaten die ganze Welt mit seiner 2001: Odyssee im Weltraum-Referenz auf den Kopf stellte, ging das Gemunkel bereits los. Alle Welt kam zusammen, der Konsens wurde schnell gebildet: Dies sieht nach keinem herkömmlichen und normalen Film aus – was auch immer das bedeuten mag. Doch bleiben wir ganz fair, natürlich wusste niemand, was man von der quietschbunten Produktion mit zwei der heißesten und größten Schauspielstars unserer Gegenwart erwarten kann. Handelt es sich nur um eine substanzlose Verfilmung eines Spielzeugs, wie es sie schon zur Genüge gibt? Man denke nur zurück an die im Jahr 2000 erschienene Produktion Zum Leben erweckt, in der Tyra Banks eine ethnische Barbie verkörperte. Oder beschenkt Greta Gerwig (Ladybird, Little Women) das Kino mit einem regelrechten Geniestreich? Barbie selbst würde wohl sagen: “Frag mich nicht, ich bin bloß ein Mädchen!” (Notiz des Autors: Das ist ein Gag aus einer Simpsonsfolge über Malibu Stacy – eine unmittelbare Anspielung auf die Spielpuppe.)

Ohne zu spoilern lässt sich der Film wie folgt festhalten: In Barbieland beginnt ein neuer Tag und wie könnte es anders sein, alles ist perfekt! Nicht so an dem Tag darauf, an dem wirklich alles für die Barbie-Barbie (Margot Robbie) schiefläuft. Aufgrund von fast schon depressiven Gedanken bildet sich im Land der Positivität ein Riss, der innerhalb kürzester Zeit erschreckende Ausmaße annimmt. Es folgt eine Reise in die Welt der Menschen, begleitet von dem männlichen Pendant Ken (Ryan Gosling), um dem Vorfall auf die Spur zu gehen. Dabei bekommt die Frau die Probleme unserer Welt am ganzen Körper zu spüren, währendem der Mann den Himmel männlicher Dominanz erlebt. So oder so könnte man den Film prägnant zusammenfassen, ohne zu viel zu verraten. Doch warum geht es überhaupt? Geht es um die Aufarbeitung einer Unternehmensgeschichte, wie es der aktuelle, jedoch misslungene Tetris-Film macht? Oder doch mehr um ein modernes Spielzeug-Phänomen, gar um die Erklärung von Popkultur? Die Erwartungen, wie auch die Geschichte, liegen irgendwo in der Mitte. So oder so fühlt man sich schon fast dazu berufen, das Kino aufzusuchen, was nicht zuletzt an dem absoluten Guerilla-Marketing lag, das sich nicht nur auf Social-Media fokussierte, sondern auch in Dating-Apps und ganz andere Ecken gespült wurde. Niedlich, wenn selbst Letterbox ein rosa Herzchen spendiert, womit Fans ihre Liebe für Barbie festhalten können.

Eines muss man Greta Gerwig und der PR-Abteilung lassen: Es ist wohl unmöglich, nichts von diesem Film mitzubekommen. Immerhin fällt die ins Auge springende Produktion zu groß, fast schon zu wichtig aus – immerhin geht es um Feminismus! Netflix and Chill muss einen Abend dem Kino weichen. Rein von einem komödiantischen Standpunkt aus, lohnt sich dies auf jeden Fall. Wenn es nicht gerade die Frauenwelt ist, die immer wieder für Gelächter sorgt, sind es die Männer und in den besten Momenten das gesamte Publikum, das eine unterhaltsame Zeit miteinander erlebt. Dabei geht es nur begrenzt um die Modepuppe, sondern vielmehr über Mann und Frau, Gleichberechtigung und Probleme patriarchaler Strukturen, schlichtweg den Kampf der (zwei) Geschlechter, da sich Barbie gar nicht erst mit der Frage beschäftigt, wie viele Geschlechter es gibt. Ein, zwei Gags über homosexuelle Figuren (wohl nur wegen einer Quote) machen hierbei schnell klar, dass es „nur“ um eine ganz klassische weiße Frau und einen ganz klassischen weißen Mann gehen wird, die bewusst als Stereotype bezeichnet werden. Zumindest gibt es mit Bauarbeiter-Barbie, der schwarzen Präsidenten-Barbie und weiteren Variationen genügend Diversität. Sexuelle Elemente gibt es hingegen gar nicht, was durchaus schlau war. „Ich (Barbie) habe keine Vagina und er (Ken) hat keinen Penis“ heißt es da an einer Stelle, womit Gerwig direkt klarmacht, dass sie sich von diesem Thema schön fernhält, gibt es hier schließlich genug Potential, um den Film in eine ungewollte Richtung zu lenken und auch sonst zu verkomplizieren. Der Humor ist damit auf einem durchaus soliden Niveau anzusiedeln, da die meiste Zeit auf klischeehaften oder fragwürdigen Humor verzichtet wird.

Barbie 2023 Margot Robbie

Doch damit wären wir bei der generellen Ideologie des Films, von der man dies nicht unbedingt sagen kann. Viel zu sehr wirkt die Verfilmung des Mattel-Spielzeugs als vorgeschobener Vorwand, um mit den Themen der Gegenwart aufzuräumen. „Alle Welt hasst Frauen“ heißt es beispielsweise an einer Stelle, wodurch sich meine Augenbrauen erstmalig gehoben haben. Von der Werbeindustrie, die maßgeblich von Frauen dominiert wird, hat Gerwig scheinbar noch nie etwas mitbekommen und das will sie offenbar auch nicht. Es ist nur ein Beispiel unter mehreren, die schnell den Eindruck erwecken, dass Gerwig ihrem Publikum nicht viel zutraut. Mann wie Frau sollten bei diesem Film scheinbar nicht zu viel überlegen, obwohl es um das absolute wichtige Thema des Feminismus geht. Weitere Ausführungen, dass in diesen Stellen etwas hochgradig falsch gelaufen ist, erübrigen sich wohl. Alsbald Barbie und Ken auf unsere Welt stoßen und Ken seine Macht als weißer Hetero-Mann erkennt, nimmt das Drama seinen Lauf. Dies hält genug Potential bereit, um die Männerwelt schön durch den Kakao zu ziehen. Geht es dagegen um die Frauenwelt, wird schnell der Erklär-Bär ausgepackt, um die Komplexität der Frau aufzuschlüsseln. Viele Filme vor Barbie haben dies bereits versucht und sind daran gescheitert und auch diese Neuproduktion ist da leider keine Ausnahme. Das liegt nicht zuletzt an den ausgepackten Erkenntnissen, die ohnehin den Anschein erwecken, als hätte Gerwig eins zu eins den Instagram-Content junger (und verwirrter) Damen kopiert. „Frauen müssen immer besonders sein aber irgendwie machen wir immer alles falsch.“ heißt es weiter und erneut heben sich meine Augenbrauen. Welche Frau, die auch nur halbwegs von sich behaupten kann, dass sie selbstbewusst durchs Leben geht und schon einmal etwas von Persönlichkeitsentfaltung gehört hat, soll sich mit diesen kruden Aussagen identifizieren? Immer trivialer verheddert sich Gerwig fortan mit diesen hochkomplexen gesellschaftlichen Themen, die sehr viel mehr Cleverness erfordert hätten. Das geht mitunter so weit, dass andere Filmmeisterwerke herhalten müssen, allen voran Matrix, um wieder einmal zu vermitteln, dass alles mit einer Entscheidung beginnt oder Fight Club, um darauf hinzuweisen, dass ein Mensch nicht die Summe seiner Besitztümer ist. Um fair zu bleiben, sorgt dies natürlich für ein, zwei Sekunden an Gelächter, mehr aber auch nicht. Den Humor einmal ausgeklammert, ist der Film schlussendlich wenig konsequent und eh muss er sich der Frage stellen, warum Gleichberechtigung sowie Feminismus als Themen angeschnitten werden, bevor diese unmittelbar im Anschluss wieder links liegen gelassen werden. Mit Barbie wird sich daher weder gesellschaftlich noch filmisch sehr viel ändern, obgleich jede Menge Potential vorhanden gewesen wäre.

Fazit: Barbie ist an den guten Stellen unterhaltsam und an den besten nachdenklich machend, besonders dann, wenn es clever um Mann und Frau geht. Dass dies immer wieder mit kurzweiligem Humor abgewürgt wird, spielt dem Film nicht in die Karten. Zumindest der Humor und Gesangs- sowie Tanzeinlagen gegen Ende hin bleiben hängen, obgleich diese nicht die wunderschönen Erinnerungen an La La Land (ebenfalls mit Ryan Gosling) und Babylon (ebenfalls mit Margot Robbie) ersetzen können. In der Position als männlicher Filmkritiker stellt sich unabhängig davon ein paradoxes Gefühl ein. Besonders die Frauen sollten den Film wohl lieben, gäbe es nicht die erwähnten seltsamen Aussagen, die sich unmöglich übersehen lassen. Es scheint, dass der Diskurs, ob Barbie ein guter Film ist, vor diesem Hintergrund auf anderen Kriegsfeldern ausgetragen werden wird. Feministinnen aus allen unterschiedlichen Formen dieser Strömung als auch Frauen, die den subtilen Männerhass durchschauen und alle anderen, die sich mit Geschlechteridentität befassen, werden wohl viel Gesprächsstoff nach dem Film haben. Genügend Zündstoff für heiße Diskussionen bietet Barbie allemal – und das ist auch schon etwas wert.

★★★★★☆☆☆

Barbie startet am 20. Juli 2023 deutschlandweit im Kino. Ab dem 19. Oktober 2023 ist der Film bereits fürs Heimkino erhältlich. Hat euch die Kritik gefallen? Dann unterstützt CinemaForever.net gerne, indem ihr bei eurer nächsten Bestellung über einer der folgenden Bildlinks geht.* Hier geht’s zum Trailer.

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