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Wenn schon, denn schon – fasst mein Filmjahr 2023 wohl am besten zusammen. Noch nie habe ich so viele Filme in einem Jahr gesehen, noch nie war ich auf Filmfestivals unterwegs. Also ging es in diesem Jahr direkt auf zwei der Größten weltweit. Durchaus überrascht nehme ich mit: Das Festival de Cannes und die Biennale schinden nicht gerade wenig Eindruck und boten einen durchaus gelungenen Einstieg in die Welt von Glamour sowie die teilweise besten Filme des Jahres. Statt Martin Scorsese und Christopher Nolan in den Ring zu werfen, deren neuen Filmen ich nicht sonderlich viel abgewinnen konnte und die ohnehin in jeder anderen Liste vorkommen werden, möchte ich einen leicht divergenten Ansatz verfolgen. In der nachfolgenden Liste werdet ihr kaum die üblichen High-End-Filme finden, sondern natürlich diejenigen Werke, die am meisten in meinem Herzen geblieben sind.
Ein Hinweis noch vorab: Natürlich gibt es noch weitere Top-Filme, die dieses Jahr in Deutschland erschienen sind. Ich habe einige Highlights wie The Banshees of Inisherin oder The Whale jedoch schon 2022 gesehen, weshalb sie in dieser Liste fehlen. Zudem werden bei CinemaForever.net generell Filme mit aktuellem Produktionsjahr beim Jahresrückblick berücksichtigt. Die einzige Ausnahme bildet mein Platz 1, den ich erst Ende Dezember 2022, dann aber bis Januar gleich drei mal im Kino gesehen habe. Ich wünsche viel Spaß beim Durchstöbern meiner Liste!
Lobenswerte Erwähnungen:
– Daaaaaali (Quentin Dupieux / gesehen in Venedig / Kinostart noch unbekannt)
– Ein Glücksfall (Woody Allen / gesehen in Venedig / Kinostart 11. April 2024)
– Geliebte Köchin (Tran Anh Hung / gesehen in Cannes / Kinostart 8. Februar 2024)
– Poor Things (Yorgos Lanthimos / gesehen in Venedig / Kinostart 18. Januar 2024)
– Roter Himmel (Christian Petzold / lief bereits im Kino und schon fürs Heimkino erhältlich*)
– King’s Land (Nikolaj Arcel / gesehen in Venedig / Kinostart 18. April 2024)
– The World to Come (Mona Fastvold / ursprünglich 2020 in den USA erschienen, folgte nun endlich eine deutsche Direct-to-VoD-Veröffentlichung)
– The Zone of Interest (Jonathan Glazer / gesehen in Venedig / Kinostart 29. Februar 2024)
Die größten Enttäuschungen:
– A Good Person (Zach Braff / Kinostart 31. März 2023)
– Oppenheimer (Christopher Nolan / Kinostart 20. Juli 2023)
– Suzume (Makoto Shinkai / Kinostart 13. April 2023)
– Der Junge und der Reiher (Hayao Miyazaki / gesehen in einer Vorpremiere / Kinostart 4. Januar 2024)
– The Creator (Gareth Edwards / Kinostart 28. September 2023)
Die schlimmsten Filme des Jahres:
Ant-Man and the Wasp: Quantumania (Peyton Reed), Barbie (Greta Gerwig), Fair Play (Chloe Domont), Fast X (Louis Leterrier), John Wick – Kapitel 4 (Chad Stahelski), Im letzten Sommer (Catherine Breillat), Perdidos en la noche (Amat Escalante) und The Palace (Roman Polanski)
2024 – meine meisterwarteten Filme:
Civil War (Alex Garland), Alien: Romulus (Fede Alvarez), Alles steht Kopf 2 (Kelsey Mann), Dune: Part Two (Denis Villeneuve), Furiosa: A Mad Max Saga (George Miller), Joker: Folie à Deux (Todd Phillips), Mickey 17 (Bong Joon Ho), The Challenge (Klim Shipenko), The Lord of the Rings: The War of the Rohirrim (Kenji Kamiyama) und Wo die Lüge hinfällt (Will Gluck)
Weitere heißerwartete Veröffentlichungen findet ihr im Filmkalender.
Und hier nun meine Top 10 Lieblingsfilme des Jahres 2023:
10 | Le Livre des solutions
von Michel Gondry mit Pierre Niney und Françoise Lebrun (gesehen in Cannes, Kinostart noch unbekannt)
Humor ist bekanntlich so eine Sache. Ich für meinen Teil bekomme im Kino selten die Möglichkeit, richtig laut mitzulachen – und wenn, dann meist aus den falschen Gründen. Zum Glück gibt es noch Menschen wie Michel Gondry (Vergiss mein nicht), die Humor und Cleverness fantastisch zusammenbringen können. Le Livre des solutions (Internationaler Titel: The Book of Solutions) knüpft damit an seine, wie ich finde, bisher beste Komödie Human Nature – Die Krone der Schöpfung (2001) an. Die filmische Rezeptur fällt erneut einzigartig aus und besteht aus vielen Zutaten: Spielerische Schrulligkeit, künstlerische Extravaganz und Sonderbarkeit, überspitzter Einfallsreichtum, kombiniert mit teilweise traumhaften Einstellungen. Mein Dank gilt Gondry für die große Überraschung, dass mich wieder eine französische Komödie lautstark zum Lachen bringen konnte.
9 | The Holdovers
von Alexander Payne mit Paul Giamatti und Da’Vine Joy Randolph (gesehen in einer Vorpremiere, Kinostart 25.01.24)
Alexander Payne hat vor fast 20 Jahren mit Sideways schon einmal mein Herz erobert. Damals mit Paul Giamatti, heute mit Giamatti, stellt sich The Holdovers als zweites Glanzstück heraus. Das Besondere dabei: Eigentlich hat die Wiedervereinigung von Regisseur und Schauspieler in Hinblick auf die ganz klassische Inszenierung gar nicht so viel zu bieten. Ich zitiere an der Stelle jedoch am besten meine eigene Kritik: „Paynes neuestes Werk kann zwar weder mit Antworten, noch mit Weisheiten dienen, dafür aber mit einem großen Herz am rechten Fleck“. Mein Dank gilt Payne wegen seiner Weigerung, dem Publikum einen weiteren sentimentalen und gefühlsduseligen Weihnachtsfilm vorzusetzen. [Komplette Kritik]
8 | Die Theorie von Allem
von Timm Kröger mit Jan Bülow und Olivia Ross (gesehen in Venedig, Kinostart 26.10.23)
Bergfilm, Mystery sowie Film noir mit der Filmmagie von Stanley Kubrick, Alfred Hitchcock und Edgar Wallace unter einen Hut zu bringen gleicht einer exorbitanten Herausforderung. Timm Kröger hat es mit Die Theorie von Allem versucht und tatsächlich geschafft. Das filmische Resultat trifft dadurch konstant einen Nerv, wodurch ich bei der Premiere in Venedig immer weiter in den Bann gezogen wurde. Die Theorie von Allem entführt uns tief hinab in den Hasenbau und hält sich lange Zeit bedeckt. Geht es um Aliens, um Phänomene, die für einen Gott sprechen, um Männer in schwarzen Anzügen, die Teil einer Verschwörung sind, oder doch um etwas ganz anderes? Dadurch, dass sich Die Theorie von Allem an manchen Stellen wie ein Märchen anfühlt, im nächsten Moment dann aber doch wieder zur unerklärlichen Realität springt, entsteht eine unverwechselbare Atmosphäre.
7 | Der Killer
von David Fincher mit Michael Fassbender und Tilda Swinton (gesehen in Venedig, bereits exklusiv bei Netflix verfügbar)
John Wick und Robert McCall (The Equalizer) sind tot, es lebe der Killer von Mastermind David Fincher. Ich könnte jetzt in aller Ausführlichkeit über das titelgebende Subjekt des Films schreiben, doch viel interessanter finde ich das Drumherum. Nehmen wir die von Michael Fassbender fantastisch verkörperte Figur also für einen kurzen Augenblick aus dem cineastischen Gemälde heraus und blicken auf den Hintergrund. Schnell wird die Welt sichtbar, in der wir uns befinden – eine Welt voller Zahlen, Möglichkeiten und Regeln. Wer diese Systeme begreift, wird zu einer Figur, für die vermutlich erst noch ein Begriff gefunden werden muss, denn eines ist ganz klar: Der Killer, um den ein meisterliches Psychogramm gestrickt wird, ist definitiv mehr als nur ein rein egomaner Opportunist und schon gleich gar nicht eine Ausgeburt des klischeebehafteten Auftragskiller-Subgenres, sondern vereint in all seiner Komplexität sehr viel mehr. Finchers Mut, mit altertümlichen Stereotypen aufzuräumen und ganz klar zu kommunizieren, hat mich wirklich überzeugt. Vergesst moderne Auftragskiller-Blockbuster, welche sich ausschließlich an niedere Bedürfnisse richten.
6 | Club Zero
von Jessica Hausner mit Mia Wasikowska und Sidse Babett (gesehen in Cannes, Kinostart 28.03.24)
Als Club Zero im Mai in Cannes Premiere feierte, prognostizierte ich einen medialen Hype voraus, an dem ich bis zum heutigen Tag festhalte. Ich mache es mir wieder einfach, indem ich mich selbst zitiere: „Ziemlich sicher wird dieser Film alle Social-Media-Trends in die Luft jagen, einschließlich Selbstoptimierungs-Coaches, Food-Radikalisten, Veggie-Folk sowie allen anderen politisch verdrehten Menschen“. Hausners Blick in die Küchen der westlichen Zivilisation könnte dabei nicht würziger ausfallen. Metaphorisch gesprochen, versalzt sie uns die Suppe, macht vereinzelte Gerichte gänzlich ungenießbar und sollte dies für Hartgesottene nicht ausreichen, nimmt sie für das restliche Publikum gerne Pfefferspray zur Hand. So oder so bietet Club Zero genug Ideen, um jeden Menschen in irgendeiner Weise vor die Stirn zu stoßen – ohne dabei auf billige Mittel zurückzugreifen. Mein Dank gilt der schwarzhumorigen Satire für ihr hämisches Grinsen gegenüber allen, die arrogant meinen, etwas von Ernährung zu verstehen und dem Impact, dass es (hoffentlich) noch ein digitales Gemetzel zwischen all den erwähnten Gruppen auf Social-Media geben wird. Ich als Schaulustiger werde das Ganze dann gespannt mit Popcorn verfolgen.
5 | Leave the World Behind
von Sam Esmail mit Ethan Hawke und Julia Roberts (gesehen exklusiv bei Netflix)
Sam Esmail werden viele als Schöpfer der Mr. Robot-Serie kennen und vermutlich keiner durch seine fast zehn Jahre alte Filmperle Comet, in welcher er Romanze und Science-Fiction mit enormen Fingerspitzengefühl miteinander verwebt und damit schon einmal mein Herz gewonnen hat. Unwissend, was mich in seinem neuen Werk erwartet, wurde ich mit einer bunten Tüte voller unterschiedlicher Geschmacksrichtungen belohnt, wodurch Sam Esmail nun noch höher in meiner Gunst steht. Der Genremix aus Thriller, Mystery, Katastrophenfilm und bissiger Komödie mag an viele Filme erinnern und doch ist er völlig einzigartig – welch schöneres Lob kann es geben? Mein Dank gilt dem Motto, welches sich Leave the World Behind verschreibt – es ist ein Zitat direkt aus dem Film: „Du sollst eine gute Zeit haben!“, welches sich auch auf das gesamte Publikum übertragen lässt. Und die Kirsche auf der Torte: In Zeiten nationaler sowie globaler Krisen könnten sich viele Menschen vermutlich damit trösten, wenn dieser Film der letzte wäre, den sie zu Gesicht bekommen.
4 | Priscilla
von Sofia Coppola mit Cailee Spaeny und Jacob Elordi (gesehen in Venedig, Kinostart 04.01.24)
Baz Luhrmann und John Carpenter haben es versucht sowie viele andere mit ihnen. Filme über Elvis Presley gibt es inzwischen genug, wobei Carpenters 1979er Ausführung in klassischer Inszenierung meiner Meinung nach noch den gelungensten Vorzeigefilm abgibt. Mit Priscilla betritt nun Sofia Coppola (Lost in Translation) die Bühne und ergänzt den männlichen Counterpart mit der Geschichte über Priscilla Ann Presley. Sie kommt natürlich nicht daran vorbei, auch die Geschichte von Elvis zu erzählen. Das cineastische Glanzstück schafft damit mehr als alle anderen Filme vorher. Erstens: Priscilla ist kein typisches Wikipedia-Biopic, wie es auf so viele andere zutrifft. Zweitens: Priscilla ist ebenso wenig ein PR-gewurstetes Werk, um noch einmal ein paar Elvis-Produkte zu bewerben. Drittens: Coppola interessiert sich weder für Schuld, unschöne menschliche Entscheidungen und begangene Fehler, noch für eine klischeehafte, beschönigte Liebesgeschichte. Sie verschreibt sich voll und ganz einem altbekannten Zitat von Henry David Thoreau: Lieber als Liebe, als Geld, als Ruhm, gebt mir Wahrheit. Herzlichen Dank für die elaborierte Frauenfigur und die Wahrheit in Form von Poesie, die sich durch den gesamten Film durchzieht: Bitter-sweet memories, that’s all I’m taking with me.
3 | Hit Man
von Richard Linklater mit Glen Powell und Adria Arjona (gesehen in Venedig, Kinostart noch unbekannt)
4.9.2023, Filmfestspiele Venedig; Nachdem in der Früh Woody Allens Ein Glücksfall und nachfolgend Priscilla gesichtet wurden, stand am Abend noch der absolut unscheinbare Hit Man an. Glen Powell ziert das Filmcover und sonst – nicht die Spur von Informationen, was Richard Linklater im Gepäck hatte. Von tausenden Journalisten umringt, folgte wie durch Magiehand eine einmalige cineastische Drehung: Irgendwann gab es den Punkt, an dem ich nicht mehr das Gefühl hatte, mich mit tausenden Kritikern im Saal zu befinden. Hit Man ist ein perfekter Allrounder, der auf einem Filmfestival ebenso gut funktioniert wie bei einem Männerabend, einem Frauenabend, einem Partyabend, schlichtweg bei jedem Abend mit jeder Gesellschaft.
2 | How to Have Sex
von Molly Manning Walker mit Mia McKenna-Bruce und Lara Peake (gesehen in Cannes, Kinostart 07.12.23)
Als wäre es gestern gewesen, denke ich mit Freude an den 19. Mai zurück. Nachdem die Credits von How to Have Sex einsetzen, überschlagen sich unmittelbar darauf die Gefühle. Einerseits habe ich noch mit einer Träne im Auge zu kämpfen, andererseits stehen die ersten Journalisten auf und es folgt ein für Cannes-Verhältnisse wohl eher kleiner Massenbeifall. Ich befinde mich unter dem Getümmel und weiß gar nicht so recht, was gerade am wichtigsten ist: Diese cineastische Glanzleistung zu reflektieren, so laut wie es nur geht mich dem Applaus anzuschließen, das Ganze zu filmen, um diesen geschichtsträchtigen Moment festzuhalten oder doch eher meine Gefühle zu ordnen? Ich entschied mich dafür 30 Sekunden zu filmen (https://youtu.be/jQqdAKVWHEg) und gefühlt fünf Minuten mitzuklatschen. Tage später sichert sich Regisseurin Molly Manning Walker den Un Certain Regard-Preis und geht zweifach in die Geschichte ein: Einmal für ihr Werk und einmal für die prestigeträchtige Auszeichnung. Grob ein halbes Jahr später erhielt ich die Möglichkeit, den Film vorab ein weiteres Mal zu sehen. Erneut bin ich nach den Credits regelrecht baff und erst jetzt erschließt sich mir die vollständige Komplexität des Werks. Die ursprüngliche Frage, ob How to Have Sex tatsächlich eine Bewertung von 4/5 Sternen verdient, stellt sich nicht – das Gegenteil ist der Fall. Mittlerweile steht die Höchstwertung und wer noch mehr zu diesem sehr besonderen Herzensfilm lesen möchte, kann dies hier tun.
1 | Babylon – Rausch der Ekstase
von Damien Chazelle mit Margot Robbie und Brad Pitt (drei Mal im Kino gesehen, Kinostart 19.01.23, bereits fürs Heimkino erhältlich*))
Dieser Film verdiente von mir keine Filmkritik, sondern eine Lobeshymne, die ihr in aller Ausführlichkeit hier lesen könnt. Ich ließ es mir weiterhin nicht nehmen und reichte meinen Text für die beste Filmkritik beim Friedrich-Kracauer-Preis ein (leider vergebens), wobei mir eines von vornherein glasklar war. Hätte ich gewonnen, würde ich den Preis mitsamt dem vollen Preisgeld Damien Chazelle höchstpersönlich widmen. Denn kein Film der letzten knapp fünfzehn Jahre ist mir so viel Wert wie dieses Ultra-Meisterwerk, welches hoffentlich schon sehr bald seinen rühmenden Platz in der Filmgeschichte einnehmen wird.
>> Weitere “Top 10 des Jahres 2023”-Listen von Hendrik und Philippe. <<
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